Hamburg. Königin für einen Vormittag: Arme und Obdachlose lassen sich in Borgfelde von Kopf bis Fuß verwöhnen - Schüler machen mit.
An einem frühen Sonnabendmorgen parkt auf dem Gelände der Sankt-Ansgar-Schule in Hamburg-Borgfelde ein Transporter. Mitarbeiter des Unternehmens Alsterfood liefern gerade eine komplette Landung Frühstück für rund 400 Menschen aus. 15 Kilogramm geräucherter Lachs sind dabei, 700 Brötchen aus eigener Bäckerei, 300 Croissants, Wurst, Käse, frisches Obst und Gemüse – alles, was zu einem leckeren Frühstück gehört.
Wohlfühlmorgen: 400 Gäste in der Sankt-Ansgar-Schule
„Guten Appetit!“ Immer mehr Gäste stre ömen auf das Gelände der katholischen Schule, die nach dem Heiligen Ansgar, dem Missionar des Nordens, benannt ist. Aber weder ihren Schülern noch Lehrern gilt das gastronomische Angebot, sondern bedürftigen, armen und obdachlosen Menschen. Für sie wird diese Schule heute nicht zum Lernort, sondern zur Wohlfühl-Oase für Körper und Seele. Hier können sie einige Stunden lang auftanken, sich von Kopf bis Fuß verwöhnen lassen und wie ein König und eine Königin fühlen.
Wie Karl, der auf der Straße lebt, und sich gleich in der ersten Etage des Schulgebäudes die Haare waschen und schneiden lässt. Oder Barbara, die jeden Cent herumdrehen muss, und nun einmal nach Lust und Laune frühstücken kann. Petra Yildiz aus Billstedt und Simone Pasow aus Altona sind mit ihren Hunden gekommen. Zuvor hatten sie bei Facebook von diesem Angebot gelesen. Heute können sie die teuren Tierarztkosten sparen, denn auf dem Schulhof hat eine Tierärztin aus Großborstel ihre mobile Praxis aufgebaut.
Malteser: 150 Ehrenamtliche helfen beim Wohlfühlmorgen mit
Die katholische Sankt-Ansgar-Schule öffnet ihre Pforten für Bedürftige bereits zum 28. Mal. Gekommen sind Hamburger, die sehr wenig zum Leben haben und auf jeden Cent schauen müssen. An diesem so genannten Wohlfühlmorgen stehen für die 400 Gäste aus ganz Hamburg und Umgebung kostenlose Angebote wie ein reichhaltiges Frühstück, Sozial- und Rechtsberatung, Massage, Maniküre, Pediküre und Brillenberatung und rund 150 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer bereit.
Doch nicht nur das: Auch ein Allgemeinmediziner, ein Zahnarzt sowie eben die Tierärztin Nicole Moniac mit ihrer Medizinischen Fachangestellten Nina Jaß sind für die Bedürftigen bzw. ihre Tiere da. Lange Wartzeiten? Keine. Und Kosten? Alles umsonst. „Der Hamburger Wohlfühlmorgen, der von den Maltesern, der Caritas, dem Sozialdienst Katholischer Frauen, der Alimaus und der St. Ansgar Schule zweimal im Jahr veranstaltet wird, gilt als Zeichen der Wertschätzung für arme und bedürftige Menschen in der Stadt“, sagt Judith Stieß, Sprecherin des Malteser Hilfsdienstes in Hamburg.
Katholische Privatschule: Zeichen der Barmherzigkeit
Während die meisten Schülerinnen und Schüler den freien Sonnabendmorgen zu Hause genießen, sind Finja, Julia, Frederik und Mia von der 11. Klasse bereits auf den Beinen. Es sind insgesamt rund 25 Schüler der Sankt-Ansgar-Schule, die unbedingt an diesem Tag mithelfen wollen. „Wir zeigen Mitgefühl mit Menschen, denen es nicht zu so gut geht“, sagt der 16-jährige Frederik. Es sei ein gutes Gefühl zu helfen, ergänzt die 17 Jahre alte Julia.
Da werden Tische geschleppt, Zelte aufgebaut, Brötchen verteilt und Stühle platziert. Mia, 17, verweist auf das Vorbild Jesus Christus, der den Armen zur Seite stand. „Wir freuen uns, den Menschen hier ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern.“
Frederik ist vor allem deshalb in die Sankt-Ansgar-Schule gewechselt, weil diese ein klares soziales Profil hat. Als Gymnasium in jesuitischer Tradition vermittelt die staatlich anerkannte katholische Privatschule christliche Werte und will „Menschen für andere“ erziehen. „Wir stellen das wertschätzende Miteinander in den Mittelpunkt unseres Schullebens und unterstützen solche Projekte wie den Wohlfühlmorgen. Die Schülerinnen und Schüler praktizieren Barmherzigkeit“, sagt Lehrerin Katharina Gietmann.
Wohlfühlmorgen: Auch Alimus und Caritas sind mit dabei
Tatsächlich sieht man auf Schulhof, in den Fluren und Räumen freundlich lächelnde Jugendliche und junge Erwachsene, die Freude daran haben, dass sich andere Menschen freuen und dankbar sind für die Zuwendung. Ilka Kill, Koordinatorin des Wohlfühlmorgens, hatte kaum Mühe, freiwillige Helferinnen und Helfer zu gewinnen. Allein von den Maltesern seien rund 40 Leute dabei, sagt Anna Zaubitzer, stellvertretende Ortsleitung der Hamburger Gliederung. Selbstverständlich zeigen auch der Sanitätsdienst der Malteser, der Sozialdienst Katholischer Frauen, die Caritas, Alimaus und die vielen anderen ehrenamtlichen Unterstützer Präsenz.
Tierärztin aus Großborstel steht mit Rat und Tat zur Seite
Während die Band Tubatonk mit ihren Klängen für heitere Stimmung an den Frühstückstischen sorgt, haben die Friseure, Seelsorger, Rechtsberater und auch Tierärztin Moniac kräftig zu tun. Da werden die Fellnasen gegen Staupe, Hepatitis und Tollwut geimpft. Die Hunde von Petra Yildiz und Simone Pasow bekamen außerdem Mittel gegen Flöhe, Zecken und eine Wurmkur. Pro Hund, sagen die beiden Frauen, hätten sie rund 200 Euro gespart – Geld, das sie sonst dringend zum Leben brauchen.
Möglich machen das die vielen Spenden, darunter auch die von Alsterfood. Das Unternehmen verpflegt Kitas, Schulen, Institutionen und Firmen. Deren aus Salzburg stammender Geschäftsführer Amedeus Hajek sagt: „Wir möchten mit unserer Spende am Wohlfühlmorgen der Gesellschaft etwas zurückgeben und einen Beitrag zur Bekämpfung der Armut in unserer Stadt leisten.“
Experten: Hamburg hat sehr hohes Armutsrisiko
Wer sich auf dem Schulgelände umschaut, sieht an diesem Morgen auch zahlreiche junge Erwachsene mit ihren Kindern. Ihre Zahl bei dieser Aktion sei in den vergangenen Jahren gestiegen. Deshalb befindet sich bei den Maltesern ein spezieller Wohlfühlmorgen in der Planung. Familien sind von Armut besonders betroffen. Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung sind in Hamburg 27,5 Prozent der Familien mit drei und mehr Kindern armutsgefährdet. Nach Angaben des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes gehört Hamburg neuerdings zu den drei Bundesländern mit den höchsten Armutsrisiken – hinter Bremen und Nordrhein-Westfalen. Besonders von Armut bedroht sind in Hamburg Erwerbslose, Alleinerziehende, kinderreiche Familien und Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit.
Den deutlichsten Anstieg beim Armutsrisiko im Vergleich zum Vorjahr gibt es bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren (von 21,0 auf 26,3 Prozent) und bei kinderreichen Familien (28,2 auf 40,1 Prozent).
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Das Armutsrisiko von Rentnern bleibt im Jahr 2024 mit 19,4 Prozent wie im Vorjahr auf einem hohen Niveau – 2006 lag es noch bei 5,9 Prozent. Als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens (Median) aller Haushalte zur Verfügung hat. Bei Einpersonenhaushalten betrug diese Armutsschwelle im Jahr 2022 exakt 1186 Euro netto, bei einer Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren 2490 Euro netto.
Karl und Barbara sind dankbar für diesen gelungenen Morgen. Karl sieht richtig fesch aus mit seinem neuen Haarschnitt. Den nächsten Termin des Wohlfühlmorgens haben die beiden bereits notiert: Es ist der 16. November.