Hamburg. Sie kommen aus dem Iran, aus Somalia und dem Irak: drei Migranten, die den Weg in einen qualifizierten Job erfolgreich gefunden haben.
Das kleine Wüstendorf Kerzark war einst die Heimat von Sozan Shamo. Sie liebte die karge, trockene Landschaft im Norden des Irak, den weiten, sternenklaren Himmel über dem Haus ihrer Eltern und die kalten Winter. Doch das Leben in ihrem einst sicheren Zuhause ging jäh zu Ende, als die Schergen des „Islamischen Staates“ (IS) den Jesiden nach dem Leben trachteten. Das Dorf gibt es nicht mehr, es wurde zerstört.
Jesiden sind aus dem Norden Iraks geflohen
Sozan Shamo, 21 Jahre alt, ist Jesidin. Die Gläubigen sind eine religiöse Minderheit unter den Kurden, lebten vor allem im Norden des Landes und litten extrem unter der IS-Schreckensherrschaft. Während 5000 von ihnen ermordet und weitere 7000 verschleppt wurden, gelang Sozans Familie rechtzeitig die Flucht – erst in die Türkei, dann nach Deutschland.
Inzwischen wohnt die Kurdin mit Vater, Mutter und vier Geschwistern im schleswig-holsteinischen Geesthacht zur Miete. „Wir sind in Sicherheit“, sagt sie, „und können ohne Angst vor Verfolgung unseren Glauben leben.“ Die junge Frau mit den langen schwarzen Haaren hat seit ihrer Ankunft in Deutschland viel geschafft: die deutsche Sprache gelernt, Freundinnen gefunden, eine Ausbildung absolviert – und sie hat einen Job.
Flüchtlinge: Nicht mehr auf Hilfe vom Staat angewiesen
Sozan Shamo gehört zu jenen Migranten, die nicht mehr auf Unterstützungsleistungen des Staates angewiesen sind, sondern ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Mehr noch: Sie tragen mit ihrer Expertise, ihrem Können und Wissen dazu bei, den Arbeitskräftemangel in vielen Bereichen der Gesellschaft zu mindern.
Die 21-Jährige hat einen Abschluss als sozialpädagogische Assistentin in der Tasche und arbeitet jetzt in dieser Funktion in einer Einrichtung des Sozialkontors. Das Unternehmen mit seinen rund 800 Mitarbeitenden ist ein gemeinnütziger Anbieter von Wohn- und Assistenzleistungen für Menschen mit Behinderungen und mit psychischen Erkrankungen. Ein Schwerpunkt liegt auf Klienten mit erworbenen Hirnschäden, etwa nach einem Schlaganfall.
Veranstaltung des Sozialkontors mit Sozialsenatorin
Sozan erzählt im Foyer des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe von ihrem Leben. Gleich beginnt dort eine Veranstaltung des Sozialkontors, zu der Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) und EU-Jugendbotschafter Ali Mahlodji, ein ehemaliger Flüchtling aus dem Iran, erwartet werden.
Sozan strahlt, wenn sie von ihrer Ausbildung in Mölln und ihrem neuen Job im Wohnprojekt Sterntwiete Lohbrügge erzählt. Dort wohnen Menschen mit erworbenen Hirnschäden und schweren Körperbehinderungen. Dabei erhalten sie Unterstützung in Form von Assistenz. Und die bietet die junge Frau aus dem Norden Iraks von ganzem Herzen. Weil sie sehr gut Deutsch spricht, fällt ihr die Kommunikation mit den Bewohnern leicht. „Mir bereitet es Freude, anderen zu helfen“, sagt sie. Sie assistiert bei der Hausarbeit, begleitet Behördengänge und Arztbesuche.
Studie: Qualifizierung lohnt sich auch für Migranten
Außerdem kocht sie mit den Klienten, „zum Beispiel Lasagne“, wie sie sagt. Das mag sie inzwischen selbst sehr gern. Und ihre beruflichen Pläne? „Möglichst lange für Sozialkontor arbeiten und eine Ausbildung zur Heilerzieherin machen. Die werden auch dringend gesucht.“
Dass sich Qualifizierung auch für Migranten lohnt, hat eine Erhebung des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung am Beispiel der Flüchtlingskohorte aus dem Jahr 2015 ergeben. 70 Prozent der erwerbstätigen Geflüchteten üben demnach eine qualifizierte Tätigkeit aus, für die ein Berufs- oder Studienabschluss notwendig ist. Jeder dritte Erwachsene hat der Studie zufolge sechs Jahre nach der Ankunft in Deutschland Schulen und Hochschulen besucht oder Ausbildungen und Weiterbildungsmaßnahmen absolviert. Mehr noch: 54 Prozent der im Jahr 2015 nach Deutschland Geflüchteten waren im Jahr 2021 erwerbstätig.
Sozialkontor-Chef: Junge Menschen wollen diverses Arbeitsumfeld
„Junge Menschen wünschen sich ein diverses Arbeitsumfeld, in dem ihre Einzigartigkeit geschätzt wird“, sagt Sozialkontor-Geschäftsführer Kay Nernheim. Hier seien soziale Unternehmen gefordert, Mitarbeitende aus unterschiedlichen Kulturen und mit diversen Fähigkeiten noch besser miteinander zu vernetzen und zu fördern.
Auch Mohamed Muhudin-Abdulle (59) hat es in Hamburg geschafft, einen Job zu finden, der seiner Qualifikation entspricht. Allerdings dauerte es eine Zeit lang, bis die deutschen Behörden die Berufsabschlüsse des Somaliers als Lehrer für Englisch und Geschichte anerkannten. „Man muss als Geflüchteter sehr viele Formulare ausfüllen“, sagt Kathrin Schwarz. Sie leitet beim Sozialkontor den Treffpunkt Kirchdorf-Süd und ist die Chefin von Mohamed Muhudin-Abdulle aus Mogadischu. Er floh aus dem Land, wurde bei einem Autounfall schwer am Bein verletzt, zwei der Insassen kamen ums Leben. „Ich bin Gott dankbar, dass ich gehen kann.“ Aber die vierte Bein-OP stehe bevor.
Sozialkontor Hamburg: Beschäftigte werden nach Tarif bezahlt
Weil er Englisch, Arabisch, Somalisch, Amharisch und Italienisch spricht, ist er bestens geeignet, an diesem Standort als Sozialberater zu arbeiten. Das tut er denn auch, 35 Stunden in der Woche. Die Bezahlung erfolgt, wie beim Sozialkontor üblich, nach Tarif. „Neulich habe ich einem jungen Mann geholfen, den Antrag auf Grundsicherung auszufüllen. Das waren immerhin 19 Seiten“, sagt Mohamed.
Migrant aus Somalia arbeitet in der Sozialberatung
Seit März leben rund 200 geflüchtete Menschen in Kirchdorf-Süd in Wilhelmsburg, überwiegend Frauen und Kinder. „Um die Integration von diesen Familien im Quartier zu fördern, haben wir unsere offene Sozialberatung erweitert“, berichtet Kathrin Schwarz. Sie ist sehr dankbar, dass Mohamed ihr Team mit seiner sprachlichen Kompetenz ergänzt. Er plant nun, eine Ausbildung zur sozialpädagogischen Assistenz zu absolvieren und Klienten künftig auch sozialpsychiatrisch zu unterstützen, ebenfalls ein Schwerpunkt des Sozialkontors.
Ali Mahlodji aus dem Iran ist heute ein gefragter Speaker
Wie wichtig es ist, den Arbeitsmarkt für qualifizierte Migranten zu öffnen, machte die Netzwerk-Veranstaltung des Sozialkontors Anfang dieser Woche deutlich. Der EU-Jugendbotschafter Ali Mahlodji appellierte an die Unternehmen, geflüchteten Menschen eine Chance zu geben. „Sie sind mehrsprachig, mobil und lernfähig – und somit perfekte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“, sagte er. Gelungene Integration bedeute, gemeinsam Brücken zu bauen und Vielfalt nicht nur zu tolerieren, sondern als Chance zu begreifen. „In dieser Vielfalt finden wir die kreativen Impulse, die uns als Gesellschaft stärken, bereichern und für Innovation sorgen“, sagte Mahlodji.
Er selbst ist ein Beispiel dafür, wie man den Weg in die Arbeitswelt erfolgreich schaffen kann: Der 42-Jährige kam mit zwei Jahren als Flüchtling nach Europa und hatte in seinem Leben über 40 verschiedene Jobs – vom Bauarbeiter bis zum Top-Manager. Jetzt ist er ein gefragter Keynote Speaker und Chef der Berufsorientierungsplattform Whatchado, auf der 7000 Karrieregeschichten aus 100 Ländern geschildert werden.
Sozan aus dem Irak, Mohamed aus Somalia und Ali aus dem Iran – drei Beispiele von Menschen, die ihren Weg gefunden haben. Sie machen anderen Migranten Mut. Angesichts des Fachkräftemangels sei für Unternehmen jetzt die Zeit, diese Potenziale „stärker in den Fokus zu rücken“, so Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer.