Das Mehrgenerationenhaus am See in Hohenhorst ist Beratungsstelle und Treffpunkt für alle in Jenfeld und Rahlstedt.
Auf der Suche nach dem gruseligsten
Einkaufszentrum Hamburgs besteht die Möglichkeit, in Jenfeld fündig zu werden. Am Berliner Platz ist Tristesse beheimatet. Eine Handvoll Geschäfte hält noch die Stellung. Auch die Kneipe „Zum Kumpel“ hat den Laden dichtgemacht. Bald werden Abrissbirne und Bagger zum Einsatz kommen. So heißt es s seit Jahren. Es soll dann bunter, lebendiger, einladender werden in der 1960 errichteten Großbausiedlung Hohenhorst. Es ist höchste Zeit.
„Das Wohngebiet beherbergt zum Teil prekäre Lebensverhältnisse“, weiß Torsten Höhnke, gemeinsam mit André Braun Geschäftsführer des gemeinnützigen Vereins Erziehungshilfe Hamburg und Leiter des Hauses am See. Im Team mit zwei Dutzend Ehrenamtlichen aus der Nachbarschaft gedeiht in einem Quartier mit 11.400 Einwohnern und reichlich sozialem Zündstoff diese Oase anpackender Hilfsbereitschaft. Das „Haus am See“, tatsächlich an einem Rückhaltebecken am Rande eines üppigen Grüngürtels attraktiv gelegen, gilt als Lichtblick in einem Viertel, in dem eine Menge Grau zu Hause ist. Vor allem bei Anwohnern unter 25 Jahren sind Arbeits- und Perspektivlosigkeit erschreckend hoch. Eine Flüchtlingsunterkunft, mit 700 Menschen eine der größten unserer Stadt, macht die Verhältnisse nicht einfacher. „Die Armut hat zugenommen“, heißt es.
Mehrgenerationenhaus in Hamburg-Hohenhorst ist Beratungsstelle und Treffpunkt
Umso wichtiger, dass gerade in einem derart problembehafteten Umfeld eine Institution wie das „Haus am See“ an der Schöneberger Str. 44 hoffnungsvolle Signale aussendet: „Mensch, wir sind da. Für dich da.“ Sieben soziale Einrichtungen unter einem Dach mit 25 hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern machen das 2011 für rund 1,7 Millionen Euro öffentlicher Gelder errichtete Gebäude zu einem Anlaufpunkt für jene, die handfeste Unterstützung prima gebrauchen können. Das Angebot reicht vom Babykursus bis zum Seniorentreff. Die aktiven, lebensbejahenden Nachbarschaftsmütter sind ein Beispiel, das ankommt. 17 Ehrenamtliche, ausgestattet mit der Kraft zehn verschiedener Sprachen, stehen jenen zur Seite, die das Dickicht deutscher Bürokratie, behördlicher Auflagen und medizinischer Verordnungen noch nicht ausreichend kennen. Die Erfolgsbilanz ist beeindruckend.
Doch vor den Details und einem Kaffee im Bistro „Horst Friends“ bittet Torsten Höhnke zum Rundgang durch das „Haus im See“. Das zweistöckige Gebäude mit skandinavischer Architektur gehört zu den etwa 530 von Bund und Ländern hierzulande gebauten Mehrgenerationenhäusern. Sechs bestehen in Hamburg. Auch wenn es so klingen mag: In den Häusern wohnt niemand. Indes werden soziale Dienstleistungen angeboten. Es gibt eine entzückend eingerichtete Kita, eine Elternschule, einen Versammlungssaal mit 60 Plätzen, einen Seniorentreff „U 99“, Berufsförderung, qualifizierte Beratung in Sachen Gesundheit, Arbeitssuche sowie Unterstützung bei sozialen Fragen. In der Tat deckt das Spektrum alle Altersgruppen ab. Der Begriff Mehrgenerationenhaus passt folglich.
Eine Anlaufstelle für alle Anwohner aus Jenfeld und Rahlstedt
Herz der in Hohenhorst etablierten Institution ist ein Empfangstresen mittenmang. Drei zuvor selbst langzeitarbeitslose Frauen, Sprachmittlerinnen genannt, sind als Profis erste Anlaufstelle für Anwohner, die sich noch nicht überall auskennen. Die Sprachvielfalt ist enorm, der Wissensdurst groß. Von Optimismus beseelt, sollen in den kommenden Monaten neue Initiativen an den Start gehen.
Von Mitte September, erst einmal bis Ende 2024, wird es einen „Friday for free“ geben, einen Freitag also, an dem im „Haus am See“ viele Esswaren sowie gebrauchte Bekleidung zum Nulltarif ausgegeben werden. Ein großer, mit einfachen Lebensmitteln gefüllter Kühlschrank steht dann zur Selbstbedienung bereit. Außerdem werden im Bistro gut 60 Mittagessen frisch gekocht und gratis gereicht. Unterstützt wird das Projekt vom Deutschen Hilfswerk. Einnahmen aus der Glücksspirale helfen beim Helfen.
„Unser Ziel ist es, ein gutes Gemeinwesen herzustellen“, sagt Torsten Höhnke zum Abschluss des Rundgangs. Beratung, Bildung, Gesundheit, Kultur und Freizeit aus der Region für alle Altersgruppen – das ist die Idee des Mehrgenerationenhauses in Hohenhorst. Ein Drittel des Wohngebiets gehört zu Jenfeld; zwei Drittel werden Rahlstedt zugeordnet. Organisation und Führung des Hauses kosten 310.000 Euro im Jahr. 54.000 Euro davon steuert der Bezirk Wandsbek bei, 10.000 der Bund. Zuwendungen für die sieben im Haus aktiven Träger werden separat berechnet.
Jetzt aber hinein ins Café „Horst Friends“. Die Frauenquote ist ausgeprägt an diesem Vormittag, von Koch Andreas sowie Torsten Höhnke abgesehen. In lebhafter Runde sitzen Nachbarschaftsmütter und die Motoren des Seniorentreffs beisammen. Nicht nur die Kleidung ist bunt und lebensfroh. Delphine Amelie und Madeleine, beide dreifache Mütter mit Verankerung im Stadtteil, sind seit Jahren als Nachbarschaftsmütter aktiv. Voraussetzungen dafür sind eine dreimonatige Schulung, Kenntnisse der Nachbarschaft, der hiesigen Sitten und Gebräuche sowie der Pluspunkte und Fallstricke des deutschen Sozialsystems. „Wir geben unsere Erfahrungen gerne weiter“, sagt Delphine Amelie. Als sie einst nach Hamburg kam, hatte sie ähnliche Anlaufschwierigkeiten wie die Neulinge heutzutage. Pro Jahr unterstützen und begleiten in Hohenhorst 16 Nachbarschaftsmütter und ein Vater rund 1400 Einsätze für Familien – bei Behördengängen, Arztbesuchen, Terminen bei Krankenkassen oder Arbeitgebern.
Das Mehrgenerationenhaus am See: Ein Lichtblick in Hohenhorst
„Wir leisten Hilfe zur Selbsthilfe“, sagt Projektleiterin Wiebke Meyer. In den knapp zehn Jahren seit Bestehen der Initiative wurden 50 Anwohner zu Nachbarschaftsmüttern und vereinzelt zu Nachbarschaftsvätern ausgebildet. Fast die Hälfte von ihnen fanden Ausbildung und festen Beruf. „Das Konzept geht auf“, weiß die diplomierte Pädagogin.
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Bei schönem Wetter steht neben dem Café eine große Terrasse am Wasser zur Verfügung. Heute dient sie als passender Ort für ein Gruppenfoto. Man kennt sich. Die Stimmung ist fröhlich. „Jammern nutzt ja nichts“, sagt Rita auf gut Hamburgisch. Die 76-Jährige leitet seit zwei Jahren eine Malgruppe für ältere Menschen – mittwochs von zehn bis zwölf Uhr. Die Seniorinnen und Senioren treffen sich regelmäßig zum Klönschnack, zu Gedächtnisübungen, zu Gesellschaftsspielen, zum Boule.
„Die Entwicklung in Hohenhorst ist traurig“, sagt Rita. Sie lebe seit 45 Jahren vor Ort und könne sich ein Urteil erlauben. Ihre Erkenntnis: „Die Natur im Stadtteil ist großartig, aber die Möglichkeiten zum Einkaufen oder Bummeln sind miserabel.“ Ritas Meinung: „Vor allem für alte Menschen ist das schlimm.“
Nicht nur für sie und ihre Mitstreiter ist das „Haus am See“ ein Lichtblick, der Hilfe bringt und Hoffnung schafft.“