Hamburg. In Hamburg-Wohldorf-Ohlstedt finden Familien mit schwerstbehinderten Kindern ein Zuhause auf Zeit. Was hinter dem Projekt steckt.

Mitten im Naturschutzgebiet Wohldorfer Wald im Hamburger Stadtteil Wohldorf-Ohlstedt liegt ein besonderes Haus – seit zehn Jahren ist es ein Kraftort für pflegende Familien: der Neue Kupferhof des Vereins Hände für Kinder. In dem weißen, villenartigen Gebäude finden Familien mit schwerstbehinderten Kindern ein Zuhause auf Zeit.

„Eltern, die sich um ein schwerbehindertes Kind kümmern, sind pausenlos gefordert. Sie haben nie eine Auszeit, ein Wochenende oder Urlaub“, sagt Steffen Schumann, Vorstandsvorsitzender des Vereins „Hände für Kinder – Der Neue Kupferhof“. Im Kupferhof sollen die Familien wenigstens für eine Woche so etwas wie Erholung von ihrem fordernden Alltag finden. „Sie sollen einmal abschalten, aber ihrem Kind dennoch nahe sein können“, sagt Steffen Schumann.

Kupferhof-Initiator Steffen Schumann suchte Einrichtung für sein schwerbehindertes Kind

Steffen Schumann weiß, wovon er spricht. Nach zwei gesunden Kindern kam sein jüngster Sohn Noah 2005 mit einem sehr seltenen Gendefekt mit schwerster Mehrfachbehinderung zur Welt. Er hatte das Marshall-Smith-Syndrom, zu dessen Merkmalen ungewöhnliche Gesichtszüge, eine vorzeitige Knochenalterung und Atemprobleme zählen. „Er konnte nicht sitzen, nicht stehen, nicht krabbeln, Luft- und Speiseröhre waren defekt, er atmete durch einen künstlichen Zugang“, sagt Schumann.

Für ihn und seine Ehefrau Tamara, die als gelernte Krankenschwester ebenfalls im Kupferhof arbeitet, bedeutete der Zustand ihres Sohnes Pflege rund um die Uhr. „Die Körperfunktionen wurden über einen Monitor überwacht. Wenn die Überwachung nachts Alarm schlug, mussten wir raus, in einer guten Nacht dreimal, in einer schlechten bis zu zehnmal. Das zerrt auf Dauer an den Kräften“, sagt Schumann.

Steffen Schumann ist Mitbegründer und Vorstandsvorsitzender des Vereins „Hände für Kinder – der Neue Kupferhof“. Daniela Schadt, Lebensgefährtin von Altbundespräsident Joachim Gauck, besuchte 2016 die Einrichtung und tauschte sich mit Patty (r.) aus.
Steffen Schumann ist Mitbegründer und Vorstandsvorsitzender des Vereins „Hände für Kinder – der Neue Kupferhof“. Daniela Schadt, Lebensgefährtin von Altbundespräsident Joachim Gauck, besuchte 2016 die Einrichtung und tauschte sich mit Patty (r.) aus. © Michael Rauhe

Die Mega-Belastung neben Job und Familie brachte sie an ihre Grenzen. Als Ausweg blieb nur eine kurzzeitige Unterbringung im Kinderhospiz Sternenbrücke, eigentlich eine Palliativeinrichtung für unheilbar erkrankte Kinder. „Das war nicht der passende Ort für Noah, er lag ja noch nicht im Sterben“, sagt Schumann.

Weil es keine Kurzzeitbetreuung für Kinder wie seinen Sohn gab, wurde Schumann aktiv. Gemeinsam mit Frank Stangenberg, ebenfalls Vater eines behinderten Sohnes, gründete er 2009 den Förderverein „Hände für Kinder“, um eine eigene Einrichtung aufzubauen.

Eltern sollen im Kupferhof nachts endlich mal wieder durchschlafen können

Als 2010 der Kupferhof zum Verkauf stand, setzte der Verein alles daran, das Gebäude zu erwerben. Längere Verhandlungsphasen mit der Sozialbehörde der Stadt Hamburg und die umfangreiche Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten führten zum Erfolg. Die Sozialbehörde übernahm die Trägerschaft für den Kupferhof als Haus der Eingliederungshilfe. Erwerb und Umbau des Hauses wurden mit einem Kredit der Haspa-Stiftung finanziert sowie mit Spenden des Hamburger Spendenparlaments und des damaligen Abendblattvereins „Kinder helfen Kindern“. Im Mai 2013 wurde der Kupferhof als einzigartige Einrichtung in Deutschland eröffnet.

Das Haus ist in jeder Hinsicht auf die Bedürfnisse der behinderten Kinder und deren Familien angelegt. Im Kinderwohnbereich des hellen, freundlich gestalteten Gebäudes sind in zwölf Einzelzimmern Kinder mit Handicap untergebracht. Sie werden von Kinderkrankenschwestern und Heilerziehungspflegern betreut, können Therapie- und Spielräume nutzen. Eltern und Geschwisterkinder wohnen in eigenen Zimmern oder Familienappartements. Die getrennte Unterbringung ist wichtig: „Die Eltern sollen nachts durchschlafen können, sollen dabei aber auch sicher sein, dass ihre Kinder gut versorgt werden“, sagt Schumann.

Für Eltern schwerbehinderter Kinder ist der Kupferhof eine Oase

Davon profitieren auch Daniela Pfeiffer und ihr Ehemann Tobias Siever. Gemeinsam mit den Kindern Leonard (6) und Rosalie (2) verbringt die Familie aus Asperg in Baden-Württemberg eine Woche im Kupferhof. „Für uns ist das eine Oase, ein richtiges Geschenk“, sagt Daniela Pfeiffer. Ihr Sohn Leonard kam nach einer Schwangerschaftsvergiftung als Ex­tremfrühchen zur Welt. Die Folge: eine frühkindliche Hirnschädigung, die zu mehrfachen körperlichen und geistigen Einschränkungen führte bis hin zu epileptischen Anfällen.

„Er kann nicht sprechen, nicht gut sehen, nicht stehen und laufen und nach einem schweren epileptischen Anfall, mit einseitiger Lähmung nicht mal mehr über den Fußboden robben“, sagt Daniela Pfeiffer. Leonard braucht bei allem Hilfe. Dazu kommt die ständige Sorge wegen eines erneuten epileptischen Anfalls in der Nacht, der lebensbedrohlich sein kann.

Für die Eltern, die als Architekten in Voll- und Teilzeit angestellt sind, ist das eine Dauerbelastung. Auszeiten gebe es nur, wenn Leonard in der Förderschule sei. „Wir sind Leos rechte Hand, wir müssen einfach immer funktionieren“, sagt Tobias Siever. Ein Angebot wie der Kupferhof sei da Gold wert. „Ein tolles Konzept und dazu in einer freundlichen Atmosphäre, ohne Berührungsängste, aber mit viel Austausch mit Pflegern und anderen Eltern“, sagt Tobias Siever.

Kupferhof: Großes Sommerfest zum Jubiläum mit prominenten Gästen

Jederzeit können die Eltern mit ihren Kindern zusammen sein. Sie können ihre Kinder aber auch in die Obhut der Pfleger und des Pädagogik-Teams geben. Es gibt viele Angebote vom Snoezelen-Raum bis zur Musiktherapie. „Viele Eltern melden uns positiv zurück, dass es hier mal nicht um Diagnosen geht, sondern einfach darum, sich und dem Kind etwas Gutes zu tun“, sagt Kinderkrankenschwester Daniela Berning vom Kupferhof.

Steffen Schumanns Sohn Noah ist mit 14 Jahren gestorben. „Wir sind froh, dass wir ihn hatten, und dank ihm ist der Kupferhof entstanden, als Akkuladestation für pflegende Eltern. Und das seit zehn Jahren“, sagt Schumann mit etwas Stolz in der Stimme.

Um das Angebot zu erhalten, sammelt der Verein weiter Spenden. Das Jubiläum wird am 18. Juni mit einem großen Sommerfest mit buntem Programm und einer Tombola gefeiert. Und mit den Schauspielern Samuel Koch und Jürgen Vogel als Gäste.

Sommerfest: 18. Juni, 11 bis 17 Uhr, Neuer Kupferhof, Kupferredder 45, weitere Infos: www.haendefuerkinder.de