Hamburg. In Hamburg-Lohbrügge unterstützen Stadtteilmütter und -väter mit eigener Migrationserfahrung Neuankömmlinge im Alltag.

Die Tücken der Verwaltung und der guten deutschen Ordnung, das weiß der routinierte Staatsbürger hierzulande, haben ihre eigenen Gesetze. Oft sind Durchblick und starke Nerven gefragt. Für zugereiste Menschen ohne Erfahrungen mit den Besonderheiten können Hürden hoch sein. Ein Segen, dass es anpackende Profis wie die 58 Stadtteilmütter im Hamburger Bezirk Bergedorf gibt. Mit vereinten Kräften, in letzter Zeit verstärkt durch vier Stadtteilväter, helfen sie Ankömmlingen, nicht nur bürokratische Barrieren aus dem Weg zu räumen.

Die Idee hinter dem 2014 gestarteten Projekt der Stadtteilmütter ist einfach – und genau deshalb so wirkungsvoll. Menschen, die einst ebenfalls als Fremde nach Hamburg kamen, mittlerweile indes längst Fuß fassten, wissen am besten um die Nöte der Neulinge. Sie sprechen deren Sprache, nicht nur im wahrsten Sinn des Wortes. Weil sie eben auch um die Sorgen wissen, wenn man neu an Bord ist. „Ich hätte mir damals eine Stadtteilmutter als Unterstützerin gewünscht“, sagt Kheda Yakhyaeva.

Stadtteilmütter treffen sich an rundem Tisch in Hamburg-Lohbrügge

Damals, vor 15 Jahren, als sie aus der russischen Republik Tschetschenien in unsere Stadt kam. Die alleinerziehende Mutter mit drei Kindern zwischen acht und 14 Jahren bringt das Kunststück fertig, sich neben familiärem Einsatz und Studium an der Hochschule HAW ehrenamtlich für Mitmenschen zu engagieren. Für sie und die anderen Kümmerer im Dschungel des Alltags gibt es kein Honorar, sondern eine Aufwandsentschädigung von in der Regel zwischen 15 und 20 Euro pro Einsatz. Und der kann unterschiedlich lang sein. Es kann sich dabei um gemeinsamen Termine bei Behörden, Ärzten, Krankenhäusern, Lehrern oder um Elternabende handeln.

Um sich ein Bild zu machen von einer sozialen Initiative mit den Standorten Lohbrügge, Neuallermöhe sowie Bergedorf-West, setzen wir uns im Bürgerhaus an der Leuschnerstraße an einen Tisch. Es ist eine bunte, informative Runde aus Sozialpädagoginnen des Organisationsteams, den Stadtteilmüttern Kheda Yakhyaeva und Zoreh Alipour, zudem einigen Gästen, die das Angebot gerne nutzen. Im vergangenen Jahr wurden 456 Familien unterstützt. In präzise 2117 Fällen wurden Menschen zu offiziellen Terminen begleitet. Die Kontakte laufen über Diensthandys. Job und Privates sollten getrennt werden, was nicht immer machbar ist.

Integrationshelferinnen haben Wurzeln in 17 Ländern

Jede Stadtteilmutter – und natürlich auch die vier Stadtteilväter – kümmert sich pro Monat im Schnitt um fünf Familien. Zwei Drittel der Anfragen stammen von Flüchtlingsfamilien. Ihnen werden Rückendeckung, Hilfe bei Sprachproblemen, aber auch menschliche Anteilnahme zuteil. „Die seelische Unterstützung ist nicht zu unterschätzen“, sagt Zoreh Alipour, eine gebürtige Iranerin. Das bringt ein bisschen Wärme in den Alltag. Jüngst betreute sie eine dreifache Mutter aus Afghanistan. Eines der Kinder war in der Kita gestürzt, musste erst zum Kinderarzt, anschließend zum Chirurgen begleitet werden. Ohne deutsche Sprachkenntnisse und Wissen um Regularien kann man da auf verlorenem Posten stehen.

Nützlich, dass Zoreh Alipour die deutschen Spielregeln gelernt hat und sich in Hamburg inzwischen zu Hause fühlt. Seit sieben Jahren ist sie beim Projekt dabei. Auch Ehemann Amir ist als Stadtteilvater aktiv. Fast alle Stadtteilbetreuer kamen früher als Fremde. Wer sich im Raum Bergedorf umhört, vernimmt Gutes über die Aktion. Im Kleinen, vor Ort auf Augenhöhe Alltagsprobleme regeln, kann Probleme herrlich unkompliziert lösen, bevor sie ausufern. Die ehrenamtlichen Integrationshelferinnen mit Wurzeln in 17 Ländern verstehen sich als Brückenbauerinnen zwischen den Kulturen. Voraussetzung ist eine dreimonatige Schwerpunktausbildung. Das Wissen über demokratische Werte und Abläufe gehört selbstverständlich dazu. Das weiß keiner besser als das Organisationsteam.

Frauke Walkusch, Larissa Steinbrenner, Hanna Gellrich (v. l.) vom Trägerverein.
Frauke Walkusch, Larissa Steinbrenner, Hanna Gellrich (v. l.) vom Trägerverein. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Träger der Stadtteilmütter ist der gemeinnützige Verein Sprungbrett. Hanna Gellrich, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der vor bald 25 Jahren gegründeten Einrichtung, sitzt mit am Tisch und bereichert die lebhafte Diskussion mit Fakten. So trage die Finanzierung der Stadtteilmütter durch die Sozialbehörde allein nicht zum erfolgreichen Einsatz bei. Jedes der drei Projekte erhält 73.000 Euro als Sockelbeitrag. Das Budget komplettieren die Bürgerstiftung Hamburg, weitere Stiftungen und ein Fonds sowie der Lions Club. „Viele Familien, die aus dem Ausland neu in Hamburg ankommen, sind überfordert mit unserem System. Die Stadtteilmütter helfen, damit Eltern möglichst gute Rahmenbedingungen für ihre Kinder schaffen können“, sagt Heike Schmidt, Projektkoordinatorin in der Bürgerstiftung. Ihre Institution ist mit 20.000 Euro im Jahr in Lohbrügge dabei.

Nachbarschaftlich orientiert sollen die Lebensbedingungen im Stadtteil und im familiären Alltag verbessert werden. Hand in Hand. Von Mensch zu Mensch. „Sprachbarrieren und interkulturelle Schwierigkeiten verstellen oftmals den Zugang zum Leben im Stadtteil“, sagt Frauke Walkusch, Lohbrügger Projektkoordinatorin. Mitstreiterin Larissa Steinbrenner aus Neuallermöhe berichtet von „alltäglichen Erfolgserlebnissen, die Mut machen“. Zwei „Beispiele“ aus dem Bezirk Bergedorf kommen zu einer Stippvisite vorbei. So freut sich eine gebürtige Russin über kompetente Begleitung in ihrer Muttersprache bei Arzt- und Behördengängen – ein Fall für die Tschetschenin Kheda, die im Fachbereich Soziale Arbeit inzwischen im siebten Semester studiert. Der Bachelor-Abschluss ist in Sicht. Stadtteilmutter möchte sie auch danach gerne bleiben.

Der Syrer Basel Hallak, Vater von fünf Kindern und von Haus aus Bäckermeister, hat eine Flüchtlingsfamilie mitgebracht. Zwei der vier Kinder sind in der Schule. Die sechsköpfige Familie lebt in einer Wohnunterkunft in Nettelnburg. Wohnung: dringend gesucht. Lage: schwierig. „Gemeinsam sind wir stärker“, ist Stadtteilvater Basel Hallaks Meinung aus eigener Erfahrung. „Ich kann mein erworbenes Wissen weiterreichen. Dabei lerne auch ich. Tag für Tag.“ Seit zwei Monaten begleitet er Omars Familie zu allen möglichen Terminen: Gesundheitsamt, Sozialamt, Krankenkasse, Jobcenter. Und so weiter. Nicht nur Basel Hallak weiß: „Man braucht viele Papiere.“ Hilfreich, wenn sich einer damit auskennt.