Hamburg. Auf dem LutherCampus in Bahrenfeld arbeiten Flüchtlinge ehrenamtlich bei der Ausgabe von Lebensmitteln mit. Sie lernen dabei Deutsch und können etwas zurück geben.
Offiziell beginnt ihre Schicht um 14 Uhr. Aber meistens sind Mariam und Ali ein bisschen früher da. Überall im Hauptgebäude des LutherCampus stapeln sich dann schon die Kisten mit den Lebensmittelspenden. Gemüse, Konservendosen, Tee, Cornflakes, alles bunt durcheinander. Mariam ist für die Kühltheke zuständig. Selbstverständlich packt die junge Iranerin einen Karton mit Joghurts und beginnt, die Becher in die Auslage zu sortieren. Sehr akkurat, Kante auf Kante. Ihr Mann hilft ihr. Daneben stellen sie Frischkäse und Dosen mit Salaten. „Es muss alles vorbereitet werden, bevor die Menschen kommen“, sagt die 32-Jährige. Vor zehn Monaten sind die beiden nach Deutschland geflüchtet, jetzt warten sie auf die Entscheidung ihres Asylverfahrens.
Dienstag ist ein besonderer Tag. Dann arbeitet das junge Ehepaar in der Lebensmittelausgabe der Lutherkirche. Ehrenamtlich. Knapp 150 bedürftige Familien aus Bahrenfeld werden hier in Kooperation mit der Hamburger Tafel unterstützt. Auch Achmed aus Afghanistan kommt jede Woche zum Helfen, ebenso Voldete aus Albanien und Ramo mit seiner Mutter Maria aus Serbien. Sie wollen sich nicht nur helfen lassen, sondern auch etwas zurückgeben. „Von den 30 Freiwilligen im Team sind inzwischen mehr als ein Drittel Asylbewerber“, sagt Bärbel Dauber, Leiterin des Gemeindezentrums an der Lyserstraße. Die Religionszugehörigkeit spielt dabei keine Rolle.
Die Asylbewerber möchten etwas von der erhaltenen Hilfe zurückgeben
Die Idee für den ungewöhnlichen Freiwilligeneinsatz war durch den Kontakt zu der Flüchtlingsunterkunft in der Schnackenburgallee entstanden. „Die Menschen haben wenig zu tun“, sagt die Theologin. „Die Lebensmittelausgabe ist etwas, wo sie gut mitmachen können, selbst wenn es mit der Sprache noch nicht so gut klappt.“ Auch im Gemeindegarten und in der Kleiderkammer sind inzwischen Flüchtlinge im Einsatz. Ohne sie wären die Berge an Kleiderspenden kaum zu bewältigen, sagt Dauber. Gleichzeitig ist das Engagement für die Flüchtlinge eine Art „Türöffner“. Auf jeden Fall ein Integrationsprojekt, das funktioniert.
„Wir hatten nichts zu tun, immer nur warten, warten, warten“, sagt der Iraner Ali. Der 34-Jährige ist von Beruf Computerspezialist, seine Frau Mariam Buchhalterin. Beide hatten Arbeit in der Hauptstadt Teheran, aber für sie als Christen sei die Situation in dem streng muslimischen Land immer schwieriger geworden. „Wir hatten Angst.“ Deshalb haben sie alles zurückgelassen, sind nach Europa gekommen und schließlich in Hamburg gelandet. Sechs Monate war das Paar in einem winzigen Zimmer in dem Containerdorf an der Schnackenburgallee untergebracht und von dort jede Woche in den Sonntagsgottesdienst der Lutherkirche gekommen.
„Die haben uns viel geholfen“, sagt Mariam. „Wir haben dann gefragt, ob wir auch etwas tun können.“ Seitdem arbeiten sie bei der Lebensmittelausgabe mit, fahren seit ihrem Umzug nach Hammerbrook dafür jede Woche fast durch die ganze Stadt.
Inzwischen stehen im Gemeinderaum des LutherCampus, wo sonst das „Café Käthe“ öffnet, lange Tische beladen mit Lebensmitteln. Es gibt eine Abteilung für Konserven, die Frischetheke, an diesem Tag ist auch eine Ladung Ketchup dabei und Kaffeepakete. Ein bisschen sieht es aus wie in einem Supermarkt. Achmed steht hinter dem Bereich mit Obst und Gemüse. Damit kennt der 70-Jährige sich aus. In seiner Heimat Afghanistan hat er auf dem Feld gearbeitet, übersetzt eine junge Landsfrau. Seit vier Jahren läuft sein Asylverfahren in Deutschland inzwischen. „Es tut gut, gebraucht zu werden“, sagt Achmed. Die letzten beiden Stunden hat er die gespendeten Sachen sortiert. Vieles hat kleine Macken, da müssen welke Salatblätter abgemacht, faule Kartoffeln oder schimmelige Tomaten rausgefischt werden. „Es macht mir einfach Spaß“, sagt Achmed.
Der Erfolg des Projekts hat sich bis in die Berliner Politik herumgesprochen
Und es läuft wie am Schnürchen, das Multikulti-Team ist inzwischen gut eingespielt. „Kannst du bitte die Tüten raufholen“, ruft Christina Oswald dem jungen Iraner Behrooz zu. Der nickt und verschwindet Richtung Keller. Er mache so gern mit, weil er dabei auch Deutsch lernen könne.
„Am Anfang war die Sprachbarriere ziemlich anstrengend und wir mussten uns mit Händen und Füßen verständigen“, sagt die Bahrenfelderin Oswald. Inzwischen ist es einfacher. „Man lernt auch viel dazu, wenn man in Kontakt mit den Flüchtlingen kommt“, sagt Christel Müller. „Man versteht ihre Geschichten.“
Der Erfolg der Essensausgabe hat sich inzwischen bis nach Berlin herumgesprochen. Initiatorin Dauber und eine junge Iranerin waren kurz vor Weihnachten zu einem Empfang von Integrationsstaatsministerin Aydan Özoguz eingeladen, an dem auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (alle SPD) teilnahmen.
Auch beim städtischen Unternehmen fördern&wohnen, das für die Unterbringung von Flüchtlingen in der Hansestadt zuständig ist, findet die Idee Anklang. Sprecherin Christiane Schröder sagte auf Abendblatt-Nachfrage, dass man die Möglichkeiten für ehrenamtliches Engagement von Flüchtlingen ausbauen und mehr Gelegenheiten dafür schaffen wolle. Schon jetzt gebe es zahlreiche Menschen, die einst als Flüchtlinge gekommen seien und sich jetzt freiwillig engagierten.
Am LutherCampus ist inzwischen alles vorbereitet. Draußen vor der Tür stehen schon die ersten Kunden, wie sie hier heißen, in der Schlange. Die Schicht von Ali und Marian ist jetzt zu Ende, die nächsten übernehmen Ausgabe und Aufräumen. „Es ist ein ganz wichtiger Termin für uns“, betont Ali. Ein Fixpunkt. Nächste Woche kommen sie natürlich wieder.
Informationen für Hamburger, die sich ehrenamtlich für Flüchtlinge engagieren möchten, gibt es im Internet unter www.hamburg.de/hh-hilft