Türkischunterricht an Schulen - der umstrittene Vorschlag von Cem Özdemir wird an der Heinrich-Wolgast-Schule praktiziert. Diskutieren Sie hier mit oder schreiben Sie uns unter schule@abendblatt.de

Lehrertag an der Heinrich-Wolgast-Schule in St. Georg: Die Schüler basteln kleine Geschenke für ihre Lehrer, sie zeigen ihnen damit Respekt und Anerkennung. "Eigentlich ist dies eine türkische Tradition, aber wir finden die Idee so schön, dass wir sie in unseren Schulalltag übernommen haben", sagt Schulleiterin Petra Demmin (53). Respekt und Anerkennung - genau darum geht es in der Grundschule mit bilingualem deutsch-türkischen Unterricht. Hier wird schon seit 2003 das umgesetzt, was Grünen-Chef Cem Özdemir forderte: Deutschsprachige und türkischsprachige Kinder lernen hier miteinander und voneinander, auf Deutsch und Türkisch im Wechsel.

Die etwa 20 Mädchen und Jungen in einer Klasse lesen sich gegenseitig Texte vor und korrigieren einander in sogenannten Tandem-Übungen. Ausgelacht wird niemand. Auch nicht, wenn die deutschen Schüler im Türkischen etwas holpern, sodass ihre türkischen Mitschüler kaum etwas verstehen. Gegenseitige Verständigung ist wichtiger als bloßes Verstehen. Obwohl die meisten von ihnen das Wort Integration kaum kennen, praktizieren sie es von der ersten Klasse an.

"Eine sehr engagierte Lehrerin mit deutsch-türkischem Hintergrund hat das Projekt damals vorangetrieben", berichtet Petra Demmin, die seitdem die Schule leitet. Sie selbst hat Portugiesisch gelernt, Türkisch fällt ihr immer noch schwer. Aber die türkischen Eltern freuen sich über jeden mühsam formulierten Satz. Familien aus Wilhelmsburg und Wandsbek schicken ihre Kinder nach St. Georg, damit sie Erfolgserlebnisse, nicht nur beim Lernen, haben. "Durch die Aufwertung ihrer Sprache bekommen sie ein größeres Selbstbewusstsein, fühlen sich geachtet. Außerdem ist es für sie eine schöne Bestätigung, dass auch sie einmal ihren Mitschülern sprachlich überlegen sind." Die deutschen Eltern, die vorwiegend aus St. Georg kommen, betrachten das Konzept als "spannendes Projekt", das ja irgendwie auch zum Flair des Multikulti-Stadtteils passt. Und, so formuliert es die Mutter Inga Gaertner: "Es kann ja nie schaden, eine andere Sprache zu lernen." Viele möchten auf diese Weise auch ihren Beitrag zur Integration leisten. "Diese Haltung muss selbstverständlicher werden", meint Petra Demmin.

Zumal die Lehrsituation in der jeweils einen bilingualen Klasse pro Jahrgang fast luxuriös ist: Denn es kümmern sich häufig zwei Lehrkräfte zur gleichen Zeit um eine Klasse. Das türkische Konsulat entsendet eine Lehrkraft für zwölf Stunden pro Woche in die Schule. Alle Lehrer, die in den bilingualen Klassen arbeiten, sind zweisprachig und lehren im sogenannten Team Teaching: Lehrerin Hanife Durmus erklärt den Kindern, wie sich türkische Verben in den unterschiedlichen Zeiten verändern, Klassenlehrerin Rebekka Witte zeigt, wie es sich im Deutschen verhält. "Dieses zweisprachige Lehrangebot macht die Schüler nicht nur in der Muttersprache fit, sondern sie lernen auch eine zweite Sprache viel schneller", sagt die Schulleiterin. Dass die Hälfte aller Kinder eine Empfehlung für das Gymnasium bekommt, spricht für den Erfolg des Konzepts. Dennoch: "Wir können noch besser werden", sagt Petra Demmin, "wir möchten noch mehr Kinder mit Migrationshintergrund fit für das Gymnasium machen." Helfen würden Unterrichtsmodelle für bilingualen Unterricht sowie mehr Stunden, um mehr Zeit zum Lernen zu haben. 2010 möchte Petra Demmin daher den Zuschlag für Ganztagsunterricht bekommen.

Neben Sach- und Sprachkunde lernen die Mädchen und Jungen auch Landeskunde und Kultur wie etwa typische Lieder und Tänze. In dieser Woche wird zum Beispiel bilingual für einen Basar gebastelt. Schließlich steht Weihnachten vor der Tür. Das höchste christliche Fest ist im Feierrhythmus der Heinrich-Wolgast-Schule natürlich fest verankert.


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