Hamburg. Ausweise lagen offen herum, der Kühlschrank hatte keinen Strom: Staatsanwalt ermittelt im Skandal um das Impfzentrum an Gleis 5.

Der Impfstoff war mutmaßlich nicht richtig gekühlt, Spritzen lagen im Mülleimer, die Hygiene vor Ort – ein Trauerspiel. Der Skandal um das Impfzentrum im Hamburger Hauptbahnhof ist mit der behördlichen Schließung nach einer Woche Betrieb Anfang Dezember des vergangenen Jahres noch nicht vorbei. Auch nach einer ausführlichen Antwort des Senates auf eine Anfrage des Linken-Gesundheitsexperten Deniz Celik zu der geschlossenen Einrichtung, in der zwischen knapp 500 oder sogar deutlich mehr als 1000 Menschen gegen das Coronavirus vermeintlich immunisiert wurden, bleiben Fragen offen.

Celik sagte dem Abendblatt: „Die Verantwortlichen waren keine zugelassenen Leistungserbringer und daher hätte das Impfzentrum gar nicht erst in Betrieb genommen werden dürfen. Umso erschreckender ist es, dass sie unbehelligt von den Aufsichtsbehörden am zentralsten Ort der Stadt Hunderte von Menschen mit falsch gelagerten Impfstoffen impfen konnten.“

Impfzentrum am Hauptbahnhof: Ermittlungen gegen zwei Männer

Die Staatsanwaltschaft Hamburg ermittele gegen zwei Männer wegen des Verdachts der Körperverletzung, heißt es in der Senatsantwort. Ein anderes Verfahren wegen des Verdachts auf Ausstellung unrichtiger Gesundheitszeugnisse sei eingestellt worden. Zu den Beschuldigten gehört nach Abendblatt-Informationen der Arzt Tammo B., der offenbar weder bei der Ärztekammer noch bei der Kassenärztlichen Vereinigung für eine Tätigkeit in Hamburg angemeldet war.

In seiner verklausulierten Antwort spricht der Senat davon, dass es ein weiteres laufendes Verfahren in Approbationsangelegenheiten gebe, zu dem man sich nicht äußern könne. Celik wollte wissen, ob B. überhaupt eine Zulassung hat. Der Beschuldigte war vor Jahren wegen vielhundertfachen Abrechnungsbetruges verurteilt worden.

Betreiber war eine Briefkastenfirma: "Kontrollversagen"

Das Impfzentrum oberhalb von Gleis 5 und 6 musste nach Senatsangaben augenscheinlich keine großen Hürden überwinden, um seinen Betrieb aufzunehmen. Es habe weder einen Auftrag des Senates gegeben noch eine Ausschreibung. Im Übrigen sei der Betreiber Hammonia Hospital auch keine Arztpraxis. Diese „virtuelle Klinik“ hat im Geschäftszweck jedoch die medizinische Versorgung von Patienten. Nach diversen Geschäftsführerwechseln und einem Umzug aus der Altstadt in die HafenCity hat Hammonia nun einen Briefkasten in einem Büroturm dort. Ärztlicher Leiter war zuletzt Tammo B. (Chief Medical Officer). Dessen früheres Profil bei einem Arzt-Terminservice ist inzwischen verschwunden.

Celik sagte: „Hier liegt ein schwerwiegendes Kontrollversagen und eine Regelungslücke vor. Es kann nicht angehen, dass jede beliebige Person ein Impfzentrum eröffnen kann und die Behörden sich nicht zuständig fühlen. Der Senat ist in der Pflicht zu erklären, wie er in Zukunft solche skandalösen Vorgänge unterbinden will “.

Moderna im Kühlschrank – ohne Strom

Der Senat hat nach eigenen Angaben 480 Schreiben von Menschen bearbeitet, die sich im Hauptbahnhof haben impfen lassen. Vermutlich waren es mehr. Daten liegen nicht vor. Wegen der gerissenen Kühlkette und des dadurch vermutlich wirkungslosen Moderna-Impfstoffes sollten sich alle Impfkandidaten erneut impfen lassen.

Der Senat führt in seiner Antwort aus, wie sich im Detail die Situation vor Ort darstellte. Bei einer Kontrolle am 8. Dezember seien die Mindestabstände in dem rund 20 Quadratmeter kleinen Raum nicht eingehalten worden. Drei Impfkandidaten und sechs Mitarbeiter waren zur selben Zeit anwesend. Impfausweise und Personalausweise waren auf Tischen zu sehen, Ampullen und Verpackungen wurden im Hausmüll entsorgt, „offene Speisen und Getränke“ lagen im Arbeitsbereich. Die Lüftung war mangelhaft.

Die Verpackungen von 2900 Dosen Moderna wurden entdeckt, wie viel davon verimpft wurde – unbekannt. Sicher ist, dass der Kühlschrank bei der Kontrolle ohne Strom war. Wie lange schon, war nicht zu erfahren. Nicht einmal das Paul-Ehrlich-Institut konnte klären, ob der Impfstoff noch wirksam war. Es empfahl das österreichische Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen. Darauf verzichtete der Senat. Begründung: Die Experten hätten ohnehin zu einer weiteren Impfung geraten – und der Impfstoff wäre beim Transport vermutlich weiter in seiner Wirksamkeit beeinträchtigt worden.