Itzehoe. Wie viel wusste die 96 Jahre alte ehemalige KZ-Sekretärin Irmgard F.? Verteidiger wirft Sachverständigem Parteilichkeit vor.

Wochenlang war sie krank. Offenbar schwer krank. Doch als Irmgard F. am Dienstag wie vorher auch im Rollstuhl in den Saal des Landgerichts Itzehoe geschoben wird, wirkt sie wie immer. Aufmerksam folgt sie dem 16. Verhandlungstag im KZ-Prozess – dem ersten seit acht Wochen.

Erneut hatte der historische Sachverständige Stefan Hördler von der Uni Göttingen das Wort. Er machte anhand von Aussagen von SS-Wachmännern und Zivilbeschäftigten deutlich, dass das Wissen um die furchtbaren Verbrechen im KZ Stutthof bei den Bediensteten weit verbreitet war.

Stutthof-Prozess: Krematorium stank enorm

So zitierte Hördler etwa die Zeugenaussagen von mehreren Wachmännern des SS Totenkopfsturmverbandes, die teilweise nur wenige Monate im Lager eingesetzt waren, aber trotzdem detailreich Kenntnisse über Erschießungen, Erhängungen und Vergasungen von Inhaftierten hatten. Auch die Existenz des Krematoriums war den Wächtern nicht verborgen geblieben. Dies soll „furchtbar gestunken“ haben. Laut einer Aussage war der Geruch nach verbranntem Fleisch so stark, dass man es auf dem Wachturm in der Nähe des Krematoriums kaum aushalten konnte.

Der Sachverständige zitierte auch die Aussagen von zwei weiblichen Zivilangestellten, die ebenfalls angaben, dass es unter den Bediensteten „allgemein bekannt gewesen ist, das jüdische Personen in dem Lager vergast wurden“.

KZ Stutthof: Wie viel wusste Irmgard F.?

Die in einem Quickborner Altenheim lebende Irmgard F. war von Juni 1943 bis April 1945 als Zivilangestellte im KZ Stutthof tätig und als Schreibkraft im Büro des Lagerkommandanten eingesetzt. Die Anklage wirft ihr Beihilfe zum Mord in mehr als 11.000 Fällen vor. In dem seit September 2021 andauernden Verfahren hat sich die 96-Jährige bisher nicht geäußert. Die Äußerungen anderer Zivilangestellter und des Wachpersonals, die Hördler zitierte, lassen jedoch den Schluss zu, dass die Angeklagte damals sehr wohl über die Ermordungen in dem Lager Bescheid wusste.

Der Sachverständige zeigte auch einen Lebenslauf von Irmgard F., die in Kalthof (heute Kaldowo) bei Danzig geboren wurde und nach dem Schulabschluss ein sogenanntes Landjahr absolvierte. Anschließend nahm sie eine Tätigkeit bei der Dresdner Bank (Hördler: „Das war die Kredit- und Hausbank der SS“) auf, wo sie bis Mitte Mai 1943 für Kredite und Überweisungen zuständig war und dabei offenbar auch in Berührung mit KZ-nahen Betrieben kam.

Ein weiterer wichtiger Punkt des Gutachtens ist die Frage, in welcher Sichtbeziehung das Kommandanturgebäude zum Lager stand. Hördler hat an Hand von Bildern rekonstruiert, dass aus den Fenstern des Geschäftszimmers die Gärtnerei und dahinter der neue Lagerbereich im Blickfeld lagen. Sichtlich sei auch der eigentliche Eingang zum Lager und die Deutschen Ausrüstungswerke (DAW) zu sehen gewesen.

KZ Stutthof: Streit um Gutachten

Wolf Molkentin, der Verteidiger von Irmgard F., warf dem Gutachter erneut Parteilichkeit vor. Er rücke „belastende Details und Aussagen in den Fokus“ und versuche dagegen, entlastendes Material „zu unterdrücken“. Außerdem würden die Erhängungen und die Erschießungen im Lager im Mittelpunkt der Ausführungen stehen, obwohl diese gar nicht Bestandteil der Anklageschrift seien.

Hördler wies dies zurück und betonte, den Beteiligten lediglich „historische Anknüpfungspunkte“ zu liefern. Der Sachverständige wird auch bei den nächsten beiden Prozesstagen am 16. und 17. Mai das Wort haben. Die Kammer hat unterdessen weitere Prozesstage bis in den Spätsommer eingestellt.