Hamburg. Die Polizei hat zumindest den Ablauf der jüngsten Schießerei rekonstruiert, vom Täter fehlt jede Spur. Die Mordkommission ermittelt.

Nach der Schießerei im Phoenix-Viertel, bei der zwei Männer schwer verletzt wurden, ist deren Hintergrund weiter unbekannt. Klarer ist dagegen das Bild, das die Polizei vom Ablauf der Tat hat. Demnach wurde zumindest eines der beiden Opfer bei der Tat am Sonntagnachmittag ganz gezielt niedergeschossen. Die Mordkommission ermittelt. Auch die Abteilung gegen Organisierte Kriminalität hat zumindest einen Blick auf die Tat.

Nach bisherigen Erkenntnissen der Ermittler stellt sich der Ablauf so da: Gegen 15.15 Uhr hatte der Schütze an der Lassallestraße Ecke Baererstraße einem 25 Jahre alten Kosovaren aufgelauert und mit mehreren Schüssen in den Unterbauch und die Beine niedergestreckt. Mehrere Kugeln aus der Waffe trafen dabei auch ein dort abgestelltes Auto. Der 25-Jährige wurde so schwer verletzt, dass er reanimiert und notoperiert werden musste. Sein Zustand ist mittlerweile stabil.

Harburg: Polizei ermittelt nach Schießerei im Phoenix-Viertel

Kurz darauf schoss der Täter mindestens dreimal auf einen 41 Jahre alten Mazedonier, der zu dem Geschehen dazugekommen war. Dass der Mann nicht flüchtete, sondern offenbar eingreifen wollte, hat einen plausiblen Grund: Er ist mit dem zuerst angeschossenen 25-Jährigen verwandt.

Drei Kugeln trafen den 41-Jährigen in Beine und Gesäß. Auch er kam ins Krankenhaus. Beide Angeschossenen sind der Polizei bislang nicht im Zusammenhang mit Straftaten bekannt. Ungewöhnlich: Einer der Männer hatte 7000 Euro dabei und eine Rolex am Handgelenk, die nicht geraubt wurden.

Phoenix-Viertel: Trotz Polizei-Großaufgebot entkam der Täter

Der Täter flüchtete zu Fuß in Richtung Hoffmeyerstraße. Die Kreuzung Las­sallestraße/Baererstraße wurde gesperrt und Polizeibeamte mit Maschinenpistolen waren am Tatort sowie auch rund um das Einkaufszentrum Phoenix-Center und am Bahnhof im Einsatz. Obwohl die Besatzungen von mehr als 15 Funkstreifenwagen nach ihm suchten, entkam der Mann unerkannt. Die Polizei hofft deshalb nun auf Zeugenhinweise, auch wenn die Beschreibung des Gesuchten dürftig ist: Er soll 1,80 bis 1,85 Meter groß und schlank sein. Zur Tatzeit soll er ein Baseballcap und eine Daunenjacke getragen haben.

Zeugen, die Hinweise zu dem Tatverdächtigen geben können, werden gebeten, sich unter der Rufnummer 040/428 65 67 89 beim Hinweistelefon der Polizei Hamburg oder an einer Polizeidienststelle zu melden.

Obwohl die Hintergründe der Tat zunächst weiterhin unklar sind, schloss die Polizei eine weitere Gefährdung der beiden Angeschossenen offenbar nicht aus. Die beiden Männer, die in verschiedene Krankenhäuser eingeliefert worden waren, wurden noch am Montag von der Polizei bewacht.

Viele Gewalttaten im sozialen Brennpunkt Hamburgs

Mit der Schießerei ist das etwa 20 Hektar große Phoenix-Viertel, in dem rund 5000 Menschen leben, erneut durch eine Gewalttat in die Schlagzeilen geraten. Kaum ein sozialer Brennpunkt in Hamburg fällt so stark wegen Gewalttätigkeiten auf. Dazu trägt nicht nur die Bevölkerungsstruktur, sondern auch die Verquickung von Wohnungen und gewerblichen Räumen bei. 37 gewerblich genutzte Flächen gibt es dort.

Klassische Geschäfte sind die absolute Ausnahme. Sogenannte Kulturvereine, Barbershops, Spielhallen oder Wettläden prägen das Bild. In solchen Läden hat das Landeskriminalamt in der Vergangenheit immer wieder Treffpunkte der kriminellen Einbrecherszene ausgemacht. In berüchtigten Kneipen kam es zu skurrilen Vorfällen, wie 2007 der Penis-Biss durch eine angetrunkene Frau auf der Tanzfläche einer Eckkneipe. Bereits 2003 hatte die Wilstorfer Straße sich einen Namen als „Straße der Gewalt“ gemacht, nachdem es immer wieder zu Übergriffen, auch gegen die Polizei kam.

Die Liste der blutigen Gewalttaten in dem Viertel ist lang und spektakulär: Im Juni vergangenen Jahres stach ein 19-Jähriger einen 16-Jährigen tot. Das Motiv: Der Bruder des Opfers war ertrunken. Der 16-Jährige, sein bester Freund, hatte versucht, ihn zu retten, es aber nicht geschafft.

Phoenix-Viertel: Liste der Gewalttaten ist lang

2020 wurde ein Afghane (31) an der Wilstorfer Straße angeschossen und verletzt. Dabei war zur Feierabendzeit quer über die Straße gefeuert worden. Die Abteilung gegen Organisierte Kriminalität hatte den Fall übernommen. 2018 stach ein 23-Jähriger im Streit seinen Bruder (24) mit einem Samuraischwert nieder und verletzte ihn lebensgefährlich. Ein 49-Jähriger übergoss 2015 seine Frau (48) mit heißem Öl, weil sie angeblich etwas mit einem anderen Mann hatte. 2014 starb bei einer Schießerei zwischen Türken und Albanern ein 32-Jähriger. Ein zweiter Mann wurde durch einen Bauchschuss verletzt.

2013 tauchte ein Bayram A. (25) mit einem Fußdurchschuss im Krankenhaus auf. Alarmierten Polizisten tischte er eine Geschichte von einem ihm unbekannten Schützen mit Irokesenschnitt auf. 2011 wurde nach einem Streit in einer der berüchtigten Kneipen ein Kontrahent niedergeschossen. Der 26-Jährige überlebte schwer verletzt. Der Schütze, ein gleichaltriger Tschetschene, wurde später in Frankreich festgenommen.

Dazu gilt das Phoenix-Viertel seit Jahren als Drogenumschlagplatz, der nach Erkenntnissen der Polizei „als fester Anlaufplatz für Drogen-Konsumenten und Händler“ gilt.