Lübeck. 21-Jähriger tötete sein 22-jähriges Opfer auf dem Spielplatz mit 27 Messerstichen. Es ging um Drogengeschäfte.

Nick G. (Name geändert) sitzt regungslos da, als Richterin Helga von Lukowicz, die Vorsitzende der VII. Großen Strafkammer am Landgericht Lübeck, das Urteil verkündet: Zehn Jahre Haft wegen Totschlags.

Die Richter sind überzeugt, dass der 21-Jährige den 22 Jahre alten Mohamed C., seinen langjährigen Bekannten, am späten Abend des 21. Oktober 2021 mit 27 Messerstichen in Rücken und Hinterkopf auf einem Spielplatz in Grönwohld brutal getötet hat. Bis zuletzt hat Nick G. die Tat bestritten, sein Anwalt auf Freispruch plädiert. Doch letztlich waren die Anhaltspunkte für eine Täterschaft des jungen Mannes zu zahlreich.

Tod auf Spielplatz in Grönwohld: Urteil verkündet

„Für die Kammer besteht kein Zweifel, dass der Angeklagte den Geschädigten an jenem Abend getötet hat“, sagt von Lukowicz. Mit dem Urteil in dem Prozess, der Ende April begonnen hatte, geht ein aufwendiges Indizienverfahren zu Ende. Bis heute konnte die Tatwaffe nicht gefunden werden, unmittelbare Zeugen der Tat gibt es keine. Die Staatsanwaltschaft musste sich bei der Anklage allein auf ausgewertete Handydaten, ein DNA-Gutachten und Aussagen von Freunden und Bekannten von Täter und Opfer stützen.

Aus Sicht des Gerichts ergeben diese jedoch ein eindeutiges Bild. „Um 21.47 Uhr hat der Angeklagte am 21. Oktober seine Wohnung verlassen“, sagt von Lukowicz. Zu diesem Zeitpunkt sei die Verbindung zwischen dem Handy von Nick G. und dem WLAN-Router in der Wohnung getrennt worden, das habe die Auswertung des Gerätes ergeben. Um 22.18 Uhr habe sich das Mobiltelefon wieder mit dem Router verbunden. „Dem Angeklagten blieb abzüglich der Gehwege ein Zeitfenster von etwa zehn Minuten“, so die Richterin. Sowohl Mohamed C. als auch Nick G. wohnten in unmittelbarer Nähe des Spielplatzes.

Verabredung auf Spielplatz zur Übergabe von Drogen und Geld

Die Auswertung des Handys von Mohamed C. habe ergeben, dass sich der 22-Jährige für den Abend des 21. Oktober um 22 Uhr mit Nick G. auf dem Spielplatz verabredet habe. Dabei soll es um die Übergabe von Drogen und Geld gegangen sein. Mohamed C. und Nick G. sollen laut übereinstimmenden Zeugenaussagen seit Jahren mit Cannabis und Kokain gehandelt haben.

„Die Kammer hält es für ausgeschlossen, dass es in dem knappen Zeitfenster zu einem Treffen zwischen dem Geschädigten und einer weiteren, dritten Person gekommen ist“, so von Lukowicz. Auch hätten mehrere Zeugen bei dem Angeklagten einen Schlagring mit Messer gesehen, der nach der Tat verschwunden gewesen sei. Einen solchen hält eine Rechtsmedizinerin aufgrund des Verletzungsmusters für die wahrscheinliche Tatwaffe. Zudem sei G.s DNA an der Hand des Opfers gefunden worden.

Gemeinsame Betäubungsmittelgeschäfte als Motiv

Als Motiv nimmt das Gericht einen Streit um gemeinsame Betäubungsmittelgeschäfte an. Nick G. habe vorab zugesagt, neue „Ware“ zu besorgen. „Fakt ist, dass sich der Angeklagte zu keinem Zeitpunkt bemüht hat, neue Rauschmittel zu beschaffen“, so von Lukowicz. Er habe zwar vorgegeben, sich vor der Zusammenkunft auf dem Spielplatz mit einem Lieferanten zu treffen, in Wahrheit aber einen gemütlichen Abend mit seiner Freundin verbracht, wie diese vor Gericht ausgesagt habe.

Die 18-Jährige hatte auch gesagt, dass Nick G. an diesem Abend habe aus den Drogengeschäften aussteigen wollen. Das habe er ihr versprochen. „Möglicherweise hat der Angeklagte den Geschädigten an dem Abend mit seiner Absicht konfrontiert“, so die Richterin.

Dazu habe Mohamed C. den 21-Jährigen wiederholt aufgefordert, ihm einen Betrag in Höhe von 700 Euro zu überweisen, die Nick G. ihm geschuldet habe. Der 22-Jährige habe seinen Bekannten tagelang immer wieder vertröstet und letztlich angegeben, bei der Einzahlung sei es wohl zu einem Fehler gekommen. In Wahrheit habe G. das Geld nie eingezahlt, wie eine Überprüfung durch die Bank ergeben habe.

Richterin geht nicht von einer geplanten Tat aus

Auch in einem weiteren Punkt soll Nick G. sein Opfer belogen haben. „Der Angeklagte hat dem Geschädigten ein Beschäftigungsverhältnis vorgegaukelt.“ In dem Zimmer von Mohamed C. waren zwei Anstellungsverträge für eine Kernbaufirma gefunden worden, die nie existiert hat. „Die Scheinwelt einer geschäftlichen Zusammenarbeit drohte ebenso aufzufliegen wie die übrigen Täuschungsmanöver.“ Möglicherweise seien beide Männer an dem Abend darüber in Streit geraten

Grönwohld: Kerzen stehen auf dem Spielplatz, auf dem ein Mann getötet worden ist.
Grönwohld: Kerzen stehen auf dem Spielplatz, auf dem ein Mann getötet worden ist. © Daniel Bockwoldt/dpa

Das Gericht geht davon aus, dass Nick G. die Tat vorher nicht geplant hat. „Der Angeklagte befand sich in einer emotional aufgeladen Situation und hat in dem Moment beschlossen, seinen Bekannten zu töten.“ Anders als die Vertreter der Nebenklage, die Anwälte Jutta Heck und Joachim Breu, die die Familie des Opfers vertreten, ordnet die Kammer die Tat nicht als Mord ein.

„Der Angeklagte handelte weder aus Habgier noch heimtückisch“, sagt von Lukowicz. Auch das von der Nebenklage ins Spiel gebrachte fremdenfeindliche Motiv sehe die Kammer nicht. Dagegen spreche, dass beide sich gut kannten und lange zusammen Geschäfte gemacht hätten. Den Versuch der Nebenklage, ein solches zu unterstellen, bezeichnete von Lukowicz als „befremdlich“.

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Schlagring zur Verteidigung oder Einschüchterung?

Das Mitführen des Schlagrings lasse nicht auf einen Tötungsvorsatz schließen. Möglicherweise habe G. die Waffe zur Verteidigung in Erwartung einer körperlichen Auseinandersetzung oder zur Einschüchterung dabei gehabt. Im Gegensatz zur Rechtsmedizinerin, die einen hinterhältigen Angriff während einer Umarmungssituation für wahrscheinlich gehalten hatte, geht die Kammer nicht von einer solchen aus.

„Gegen eine Umarmung spricht die Gefahr für den Angeklagten, dabei den eigenen Arm mit der Klinge zu treffen“, so von Lukowicz. Die Feststellung der Rechtsmedizinerin, dass sich C. kaum gewehrt haben könne, sei auch damit zu begründen, dass der 22-Jährige seinem Bekannten die Tat bis zuletzt nicht zugetraut habe. Gleichwohl habe das Gericht den genauen Ablauf des Treffens und der Tat nicht rekonstruieren können. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Beteiligten könne innerhalb einer Woche gegen die Entscheidung vorgehen.