Lübeck/Grönwohld. Staatsanwaltschaft beantragt elf Jahre Gefängnis, Nebenklage lebenslänglich. Verteidigung will Freispruch.
Im Prozess um den gewaltsamen Tod des 22 Jahre alten Mohamed C. auf einem Spielplatz in Grönwohld haben am Donnerstag vor dem Lübecker Landgericht die Plädoyers begonnen. Staatsanwaltschaft und Nebenklage fordern lange Haftstrafen für den Angeklagten Nick G. (Name geändert). „Für die Staatsanwaltschaft besteht kein Zweifel, dass der Angeklagte das Opfer mit 27 Messerstichen absichtlich getötet hat“, sagt die Vertreterin der Anklagebehörde, Mareike Lindner.
Die Tatwaffe wurde nicht gefunden
Am späten Abend des 21. Oktober 2020 sollen sich die beiden jungen Männer auf einem Spielplatz in der kleinen Gemeinde Grönwohld bei Trittau getroffen haben. Zuvor hatten sie sich per Chat laut Staatsanwaltschaft dort verabredet, das habe eine Auswertung der Mobiltelefone der beiden ergeben. Beide sollen in dem 1510-Einwohner-Dorf gelebt, sich durch Drogengeschäfte gekannt haben. Zeugen hatten ausgesagt, dass Mohamed C. und Nick G. gemeinsam Cannabis und Kokain verkauften, sich dazu regelmäßig abends auf dem Spielplatz trafen. Die Tatwaffe wurde nicht gefunden.
DNA-Spur des Angeklagten am Opfer gefunden
Ausschlaggebend sei zum einen die DNA des 21-Jährigen, die an Mohamed C.s Hand festgestellt wurde. Die Anklagebehörde geht davon aus, dass sie während des Angriffs dorthin gelangte. „Dann kommt hinzu, dass der Angeklagte im Besitz eines Schlagrings mit ausklappbarem Messer war, der nun verschwunden ist“, so die Staatsanwältin. Ein solcher soll laut Gerichtsmedizin mutmaßlich für den tödlichen Angriff verwendet worden sein. Mehrere Bekannte von G., darunter seine Ex-Freundin, hatten angegeben, dass der 21-Jährige eine solche Waffe besessen habe.
Nick G. soll Schulden beim 22-Jährigen gehabt haben
Zudem habe Nick G. ein Motiv gehabt. Er soll dem Opfer Geld geschuldet haben, insgesamt rund 700 Euro. Den Betrag habe er zu dem Treffen mitbringen sollen. Ein Chat belege, dass der 21-Jährige C. immer wieder vertröstet und schließlich vorgespielt habe, das Geld bereits überwiesen zu haben. „Eine Prüfung hat ergeben, dass niemals Geld eingezahlt wurde“, so die Staatsanwältin. Mohamed C. habe den 21-Jährigen außerdem beauftragt, neue Drogen für den Verkauf zu beschaffen und diese zu dem Treffen mitzubringen, das gehe aus einem Chat hervor. „Der Angeklagte hat vorgegeben, dies zu tun, tatsächlich aber nichts unternommen, um die Betäubungsmittel zu beschaffen“, sagt Lindner.
Polizei findet bei Durchsuchung gefälschte Arbeitsverträge
Neben der Absicht, dies zu verheimlichen, gebe es aber noch ein weiteres Motiv. In Mohamed C.s Zimmer seien bei der Durchsuchung zwei Arbeitsverträge zwischen ihm und Nick G. für eine Kernbaufirma sowie eine Gehaltsabrechnung gefunden worden. Beide Dokumente hatten am Rande des Verfahrens immer wieder eine Rolle gespielt. „Es handelt sich um Fälschungen“, sagt Lindner. Die Firma, von der C. glaubte, eingestellt worden zu sein, habe nie existiert. „Der Angeklagte hat seinem Opfer aus einem unbekannten Grund ein Beschäftigungsverhältnis vorgespielt und Gehalt zugesagt, das er niemals hätte zahlen können“, sagt sie.
„Alles, was der Angeklagte in dem Chat kommuniziert hat, war erlogen“, so Lindner. „Die Sorge, dass diese Blase platzen könnte und seine Lügen auffliegen, hat den Druck auf den Angeklagten so stark erhöht, dass er seinen Bekannten tötete“, ist die Anklagevertreterin überzeugt. Ein fremdenfeindliches Motiv, wie von der Nebenklage ins Spiel gebracht, sieht Lindner nicht. Die Staatsanwaltschaft fordert elf Jahre Haft wegen Totschlags.
Keine Hinweise, dass die Tat geplant war
Nebenklagevertreter Joachim Breu, der die Familie von Mohamed C. in dem Verfahren vertritt, geht das nicht weit genug. Er fordert eine Verurteilung wegen Mordes und damit einhergehend eine lebenslange Freiheitsstrafe. „Das rechtsmedizinische Gutachten hat gezeigt, dass die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers zum Zeitpunkt des Angriffs gegeben war“, sagt der Anwalt. Eine Rechtsmedizinerin hatte anhand des Verletzungsmusters festgestellt, dass Mohamed C. sich während der Attacke kaum gewehrt haben könne. Zudem erfolgten alle Stiche von hinten in Rücken, Nacken und Kopf. Die Rechtsmedizinerin hatte deshalb eine Umarmungssituation für wahrscheinlich gehalten, in der G. unvermittelt zugestochen und sein Opfer festgehalten habe.
Das Gericht sieht keine Möglichkeit einer Verurteilung wegen Mordes
Die Staatsanwaltschaft teilt die Ansicht, dass es sich um einen Mord handelt, nicht. Das Gutachten beweise zwar, dass sich Täter und Opfer direkt gegenüberstanden, jedoch nicht eine Umarmungssituation. Möglicherweise habe Mohamed C. unter Schock gestanden, als G. das Messer zog und sich deshalb nicht gewehrt oder aber seinem Bekannten die Tat schlicht nicht zugetraut. „Es gibt auch keine Hinweise, dass die Tat geplant war“, sagt die Staatsanwältin. Vielmehr sei ein Streit wahrscheinlich, in dessen Kontext Nick G. spontan zugestochen habe. Das Gericht sieht ebenfalls keine Möglichkeit einer Verurteilung wegen Mordes. Den Antrag der Nebenklage, einen entsprechenden Hinweis zu erteilen, lehnte die Kammer ab.
Verteidigung sind die Indizien zu vage
Der Verteidigung sind die Indizien zu vage. „Es gibt auch Widersprüche, etwa im zeitlichen Ablauf“, sagt G.s Anwalt Eric Goldbach. Anwohner wollten etwa Schreie gehört haben, als Mohamed C. laut Anklage bereits tot gewesen sei. Auch das DNA-Gutachten bemängelt er, da ein solches grundsätzlich keine hundertprozentige Aussagesicherheit biete. Aufgrund mangelnder Beweise fordert Goldbach deshalb einen Freispruch.
Urteilsverkündung am 3. Juni
Ins Leere verläuft die von der Verteidigung gesetzte Spur zu dem ehemaligen besten Freund des Angeklagten. Er soll bei einer Party gegenüber zwei Bekannten gesagt haben, er habe Mohamed C. getötet und nicht Nick G. Alle drei waren zu dem Zeitpunkt nach eigenen Angaben stark betrunken und standen teilweise unter Drogeneinfluss. „Es war ein makabrer Spaß, ich habe mir nichts weiter dabei gedacht“, sagt der Freund. Er erinnere sich an den Abend kaum noch. Auch die beiden anderen Gäste geben an, die Bemerkung nicht ernst genommen zu haben.
Das Gericht berät nun zunächst. Am kommenden Donnerstag, 3. Juni, soll das Urteil in dem Verfahren fallen.