Hamburg. Die acht Angeklagten – darunter mindestens ein hochrangiges Mitglied der Hells Angels – sollen Kokain geschmuggelt haben.

So sieht er also aus, der mutmaßliche Hells Angel und Kopf jener Bande, die einen spektakulären Drogendeal ziemlich spektakulär vermasselt hat: ein braver, unauffälliger Typ. Blaues Hemd, die Frisur akkurat gerichtet – so sitzt Martin P. am Mittwoch zwischen seinen zwei Verteidigern in Gerichtssaal 337. Sein braver Habitus überrascht – schließlich zählt die Polizei den 39-Jährigen zur Führungsriege des Hells-Angels-Chapters Hellport. Unter anderen Umständen könnte man den Rocker glatt für einen Versicherungsangestellten halten.

Unter anderem Umständen wäre Martin P. jetzt aber auch steinreich, so wie die anderen sieben, zwischen 25 und 50 Jahre alten Angeklagten auch. Am 8. November 2018 sollen sie auf der A7 bei Garlstorf einen Laster überfallen und dessen Fahrer entführt haben. Der Lkw-Fahrer sollte einen aus Brasilien verschifften Container mit 40 Tonnen Gelatine nach Eberswalde bringen – tatsächlich befanden sich in dem Behälter auch 1100 Päckchen mit hochreinem Kokain. Die Angeklagten hatten den Container mit den Drogenpaketen fast entladen, als die Polizei zuschlug. Der Riesencoup scheiterte krachend – und die Hamburger Polizei freute sich über den größten Kokain-Einzelfund ihrer Geschichte.

31 Verhandlungstermine angesetzt

Statt unter Palmen zu liegen, sitzen die acht Männer deshalb seit Mittwoch auf der Anklagebank. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen unter anderem Drogenhandel, Raub und Freiheitsberaubung vor. Auf ihre Spur hatte die Ermittler einer der jetzt Angeklagten gebracht, ein Mitglied der sogenannten „Osdorf-Connection“. Der 25-Jährige steht aktuell in einem weiteren Drogenprozess vor Gericht, in dem es um den Handel mit 50 Kilogramm Marihuana geht. Die Ermittler in dieser Sache hatten ihn damals observiert – und waren dabei auf Verbindungen zum Kokain-Coup gestoßen.

Schon der Auftakt am Mittwoch lässt einen konfliktreichen Prozessverlauf erahnen. Die Verteidiger stellen drei Anträge, zwei greifen den Anklagesatz an. Aus ihrer Sicht präsentiere die Staatsanwaltschaft darin Vorwürfe als Tatsachen und beeinträchtige so die Unvoreingenommenheit der Schöffen. Einen Antrag auf Nicht-Verlesung lehnt das Gericht jedoch ab. Der dritte Antrag stellt die Zuständigkeit der Großen Strafkammer 3 in Frage. In ihrem Eröffnungsplädoyer beklagt Anwältin Christiane Yüksel zudem eine Vorverurteilung durch die Medien und beantragt die Einstellung des Verfahrens gegen ihren Mandanten. Vorsorglich hat die Kammer bis Mitte November 31 Verhandlungstermine angesetzt.

SEK-Einsätze in Hamburg gegen Drogendealer

Polizeibeamten führen einen Mann ab.
Polizeibeamten führen einen Mann ab. © TV Newskontor
Die Polizei hat einen Mann festgenommen.
Die Polizei hat einen Mann festgenommen. © TV Newskontor
Polizisten führen einen Verdächtigen ab.
Polizisten führen einen Verdächtigen ab. © TV Newskontor
Die Polizeibeamten stellten Bargeld und Ausweispapiere sicher.
Die Polizeibeamten stellten Bargeld und Ausweispapiere sicher. © TV Newskontor
Die Polizisten stellten während des Einsatze Bargeld und Ausweispapiere sicher.
Die Polizisten stellten während des Einsatze Bargeld und Ausweispapiere sicher. © TV Newskontor
Ein festgenommener Mann liegt mit Handschellen am Boden.
Ein festgenommener Mann liegt mit Handschellen am Boden. © TV Newskontor
Die Polizei im Einsatz
Die Polizei im Einsatz © TV Newskontor
Schwerbewaffnete Polizeibeamte
Schwerbewaffnete Polizeibeamte © TV Newskontor
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Lkw durch eine fingierte Polizeikontrolle gestoppt

Am 12. Oktober 2018 bricht die MS Elodie von Santos in Brasilien nach Hamburg auf. In einem Container lagern die 1100 Päckchen mit Kokain, jedes einzelne wiegt ein Kilogramm. Nach der Ankunft am 6. November wird der Container mit der Gelatine zur Tarnung auf den Lkw verladen. Weil Martin P., so die Anklage, keine Chance sieht, das Rauschgift im Hafen durch Dritte aus dem Behälter holen zu lassen, will er den Lkw durch eine fingierte Polizeikontrolle stoppen. Jan C. und Andrzey H. sollen an der Scharade mitwirken – die Polen sind dafür mit gefälschten Ausweisen nach Hamburg gereist. Den Laster fahren soll Michael M., er erhält für seine Dienste einen mit 150.000 Euro in bar gefüllten Rucksack. Weil sich die Auslieferung des Containers verzögert, schreitet die Bande erst am 8. November zur Tat.

An der Reginenstraße, wo das Koks entladen werden soll, halten sich Markus G., Lorenzo U., Sammy C. mit einem gemieteten Transporter bereit, während Jan C., Andrzey H., Christopher Z. und Martin P. mit einem Mercedes Vito und einem VW-Golf in den Hafen fahren. Ausgerüstet sind sie mit schwarzen Shirts, auf denen die Aufschrift „Polizei“ prangt, einem Blaulicht und Handfesseln. Um nicht aufzufliegen, benutzen sie abhörsichere Mobiltelefone und Störsender. Am Altenwerder Kirchtal warten sie auf den Kokain-Laster.

Gegen 12.33 Uhr, nach der Zollabfertigung, fährt der Lkw durch das Stadtgebiet auf die A7 in Richtung Süden, verfolgt von den fünf Angeklagten. Gegen 13. 15 Uhr überholen sie den Laster, einer der Angeklagten hält das Blaulicht aus dem Fenster und lotst ihn auf den Parkplatz „Am Garlstorfer Wald“. Dort ziehen sie den Fahrer, der von einer regulären Polizeikontrolle ausgeht, aus der Kabine. Damit der Mann keinen Widerstand leistet, ruft ihm Martin P. zu: „This is police“. Sie zwängen ihn in den Mercedes Vito, setzen ihm ein zusammengeknotetes T-shirt über den Kopf und legen ihm Handschellen an.

Beute wird an einem unbekannten Ort verwahrt

Drei der Angeklagten, darunter Martin P., fahren mit ihm nach Harburg, während Michael M. und Andrzey H. den Laster zum Zielort steuern: einer Lagerhalle an der Reginenstraße. Sie und die übrigen Angeklagten bilden eine Kette, um den Container zu entladen, die Pakete stapeln sie in einem kleinen Lagerraum. Als Spezialkräfte der Polizei eintreffen, haben sie bereits 1091 der 1100 Pakete entladen. Eine Minute nach dem Zugriff um 14.19 Uhr wird der entführte Lkw-Fahrer in Harburg freigelassen. Alle acht Angeklagte sitzen seither in U-Haft.

Die sichergestellte Beute verwahrt die Polizei an einem unbekannten Ort. „Das Kokain dient als Beweismittel in einem Strafverfahren“, sagt Polizeisprecher Ulf Wundrack. Zu gegebener Zeit werde man die 1,1 Tonnen Rauschgift verbrennen – rund 160 Millionen Euro, soviel hätte der Verkauf auf der Straße gebracht, lösen sich dann in Luft auf.