Hamburg. Kokain: Die Drahtzieher rüsten technisch immer weiter auf und nutzen die Schwachstellen in der Zusammenarbeit der Behörden.

Ein unscheinbarer weißer Transporter schiebt sich am Donnerstagabend die Bremer Reihe in St. Georg entlang, plötzlich öffnet sich das Heckrollo – und mehr als ein Dutzend Polizisten stürmen heraus. Es ist ein weiterer kleiner Schlag gegen die Schattenwelt des grassierenden Geschäfts mit Kokain in Hamburg.

Erst vor zwei Wochen hatte die Polizei den spektakulären Fund von mehr als einer Tonne der Droge am Präsidium präsentiert. Im Fokus steht ein hochrangiger „Hells Angel“ vom Charter „Hellport“, der als Drahtzieher des Kokaingeschäfts gilt. Aber auch eine Gruppierung aus Osdorf ist im Visier der Ermittler. Im Straßenverkauf hätte das Kokain in gestreckter Form bis zu 200 Millionen Euro erlöst.

Konsequentes Vorgehen gegen Drogenhandel

Das Geschäft gilt selbst für ein Mitglied der Hells Angels als mehr als eine Nummer zu groß. Die Höllenengel treten jedoch auch beim Kokaingeschäft fast nie als Gruppe auf. Eher handelt es sich um wechselnde „Joint Ventures“ führender Rocker mit Kriminellen aus teils ganz anderen Strukturen.

Die jüngste Aktion in St. Georg dagegen galt der niedrigeren Verteilebene in der Stadt. „Wir werden auch in Zukunft konsequent gegen Drogenhandel in Hamburg vorgehen“, sagte ein Polizeisprecher. Trotz vermehrter Anstrengungen wird aber auch das Problem immer größer. Das zeigen allein die Daten des Zolls: Bereits im Jahr 2007 schlugen die Beamten Alarm, weil sich die Menge des beschlagnahmten Kokains in kurzer Zeit auf 500 Kilogramm verdreifacht hatte. Im vergangenen Jahr gingen den Zöllnern nun bereits 3,58 Tonnen der Droge ins Netz.

Wäre allein diese Menge auf den Markt gelangt, hätten die Hintermänner bereits mehr als eine halbe Milliarde Euro an Erlös eingestrichen. „Dabei sehen wir nur den kleinsten Zipfel der Spitze des Eisbergs“, sagt Jan Reinecke, Landeschef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK). „Wir haben es mit professionellen, internationalen Strukturen von Organisierter Rauschgiftkriminalität zu tun.“ Wie es heißt, rüsten die Drahtzieher auch technisch weiter auf – und nutzen Schwachstellen in der Zusammenarbeit der Behörden.

Wer nicht kooperiert, wird getötet

Die große Marge für die Schmuggler liegt auf dem Weg zwischen Südamerika und Europa. Der Wert der Droge vervielfältigt sich um das bis zu 15-Fache. Entsprechend streng sorgen die Kriminellen dafür, dass Umschlagplätze wie Santos im brasilianischen Bundesstaat São Paolo unter ihrer Kontrolle sind. Arbeiter und Verantwortliche werden geschmiert, wer nicht kooperiert, wird häufig getötet. Die Reedereien lassen ihre Matrosen kaum noch an Land, da sie möglicherweise sofort gezwungen würden, Kokain an Bord nach Europa zu schmuggeln.

Neben Hamburg werden die als Kakao, Gemüse oder andere Ware getarnten Lieferungen auch im großen Stil in Antwerpen und spanischen Häfen umgeschlagen. Ermittler gehen davon aus, dass auch das Kokain aus dem jüngsten Großfund mindestens für den bundesweiten Markt, wahrscheinlich auch für das Ausland bestimmt war. „Man steht da als Landespolizei gegen international handelnde, milliardenschwere Rauschgiftnetzwerke – ein ziemlich ungleicher Kampf“, sagt ein Ermittler.

Drogenspuren in Hamburgs Abwasser

Hamburg ist nicht nur als Drehkreuz, sondern auch als Absatzmarkt lukrativ. Nach einer Auswertung der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) wird Kokain im Bundesvergleich im Verhältnis zur Einwohnerzahl nur in Dortmund und Frankfurt noch häufiger konsumiert. Die Statistik ergibt sich aus Rückständen der Droge im Abwasser – der Wert in der Hansestadt liegt dabei vor Brüssel, Paris und Berlin. Am Wochenende verdoppelt sich der tägliche Konsum laut der Analyse.

Hinter der Kokainschwemme in Hamburg steht eine immer größere Verbreitung der Droge, die bereits in den 1990er-Jahren Heroin als die Nummer eins des Hamburger Drogenmarktes verdrängte. Damals waren Süchtige auf Crack umgestiegen, das aus Kokain hergestellt wird. Es galt als „sauberer“, weil man es sich nicht spritzen musste. Bis dahin war Kokain eine Schickimicki­droge gewesen, die besseren Kreisen vorbehalten schien. Mit der Ausbreitung fiel auch der Preis für Kokain. Laut World Drug Report der Vereinten Nationen lag der Preis in diesem Jahr in Deutschland bei durchschnittlich 72 Euro pro Gramm.

Bei den Straßendealern gibt es besonders schlechte Ware

In Hamburg ist er oft noch niedriger. Schon für 50 Euro gibt es Kokain dieser Menge. Bei den Straßendealern, die vor allem am Hafenrand, auf dem Kiez, in St. Georg oder im Schanzenpark zu finden sind, bekommen die Konsumenten besonders schlechten „Stoff“, der in der Regel dann auch noch teurer ist als bei Dealern, die „Stammkäufer“ haben und sie direkt beliefern. Dort ist Kokain in der Regel auch noch von höherer Qualität. Dahinter steckt eine einfache Rechnung: Das Risiko für den Dealer ist niedriger, und es fehlt oft eine weitere Ebene im Kokainhandel, die mitverdienen will.

Nach den Erkenntnissen der Polizei wird in Hamburg der Straßenhandel etwa aus Shisha-Bars koordiniert. Der Gewinn ist hoch. Damit ist das Geschäft lukrativ und hart umkämpft. Laut dem BDK-Landeschef Jan Reinecke hat die Szene in den vergangenen Jahren massiv aufgerüstet. „Schon die einfachen Dealer, die sich eigentlich nichts leisten können, laufen mit speziell verschlüsseltem Handy herum“. Die Geräte kosteten bis zu 2000 Euro pro Stück. „Das sind Modelle, die sonst etwa Bundesminister benutzen“, so Reinecke.

Auf der anderen Seite reichten die technischen Mittel der Ermittler oft nicht einmal aus, um Zugriff auf Unterhaltungen per WhatsApp zu bekommen. „Es reicht personell, von der Ausstattung und angesichts der datenschutzrechtlichen Bestimmungen einfach nicht, um die Strukturen sprengen zu können.“ Tatsächlich ist auch die Zahl der Verfahren überschaubar. 2017 gab es laut Kriminalstatistik 713 Fälle von „allgemeinen Verstößen“ gegen das Gesetz mit Kokain, 342 Fälle von Kokainhandel, 14 Fälle von Schmuggel und 49 Verfahren wegen Verkaufs von „nicht geringen Mengen“ der Droge.

Die Händler können offenbar auf verlässliche Abnehmer und Süchtige zählen. „Die große Gefahr beim Kokainkonsum besteht darin, dass der Körper bei regelmäßigem Konsum immer größer werdende Mengen verlangt“, sagt Linda Heitmann, Geschäftsführerin der Hamburgischen Landesstelle für Suchtfragen. 2016 hatte gut ein Drittel aller Süchtigen, die sich an Drogenhilfsstellen wandten, ein Kokainproblem.