Verteidiger hält Staatsanwaltschaft und Polizei vor, einseitig gegen seinen Mandanten zu ermitteln. Die Justiz streitet die Vorwürfe ab.
Hamburg. Erstmals nach dem schweren Verkehrsunfall mit vier Toten in Eppendorf äußert sich der Unglücksfahrer Alexander S. Über seinen Rechtsanwalt Henry Schulitz teilt er mit, dass er nie wieder Auto fahren wolle. "Mein Mandant hat erklärt, dass er die vorläufige Entziehung seiner Fahrerlaubnis nicht anfechten wird", sagte Schulitz dem Abendblatt. S. bedauere den Unfall, konkrete Worte des Bedauerns könne er hingegen noch nicht finden, er habe das Geschehen bislang nicht hinreichend realisiert. Der Anwalt wirft Staatsanwaltschaft und Polizei vor, einseitig zu ermitteln und dadurch seinen Mandanten "massiv" vorzuverurteilen.
Der 38 Jahre alte Alexander S. wird derzeit stationär in einer psychiatrischen Einrichtung eines Hamburger Krankenhauses behandelt. Seit dem Unfall am 12. März sei er durchgehend in der Klinik, so Schulitz. Zunächst seien seine Hand- und Beinverletzungen behandelt worden. Darüber hinaus leide S. seit dem Unfall unter Depressionen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger Körperverletzung und Straßenverkehrsgefährdung gegen den Unglücksfahrer.
Er war nach bisherigen Erkenntnissen mit seinem Fiat an der Eppendorfer Landstraße mit knapp 100 Kilometern pro Stunde auf der Gegenfahrbahn in Richtung Eppendorfer Baum gefahren. Dabei stieß er ungebremst gegen das Heck eines VW Golf und schleuderte in eine Menschengruppe an einer Fußgängerampel. Bei dem Unfall kamen der Sozialwissenschaftler Günter Amendt, der Schauspieler Dietmar Mues und seine Ehefrau sowie eine weitere Frau ums Leben. Der Schauspieler Peter Striebeck und seine Frau, die in dem Golf saßen, wurden verletzt. Bei dem Unfall handelt es sich um eines der größten Unglücke im Hamburger Straßenverkehr der vergangenen Jahre.
Polizei und Staatsanwaltschaft gaben wenige Tage später bekannt, dass im Blut des Fahrers eine hohe Konzentration des Marihuana-Wirkstoffs THC festgestellt worden sei. Was sie laut Schulitz nicht erwähnten: In der Blutprobe fanden Rechtsmediziner auch Spuren eines Medikaments gegen Epilepsie. Durch das Verschweigen hätten Polizei und Staatsanwaltschaft zu einer Vorverurteilung seines Mandanten beigetragen. Seit etwa sechs Jahren werde sein Mandant wegen epileptischer Anfälle behandelt, hinsichtlich der Kraftfahrzeugführung gebe es aber keine Beeinträchtigungen. Er habe zuletzt das Medikament Valproat genommen.
Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers streitet den Vorwurf einer Vorverurteilung ab und sagt: "Die Staatsanwaltschaft geht allen entlastenden und belastenden Umständen nach. Im Übrigen äußern wir uns nicht zu Einzelheiten der Ermittlungen." Auch Polizeisprecher Mirko Streiber bestreitet den Vorwurf. Zwar wisse man, dass Alexander S. ein Medikament gegen Epilepsie genommen habe. Allerdings gebe es bislang keine Hinweise, dass er bei dem Unglück einen Anfall erlitten habe.
Anwalt Schulitz will dagegen mit dem Gutachten eines behandelnden Arztes beweisen, dass es doch einen epileptischen Anfall gegeben habe. In dem Gutachten stehe, dass sein Mandant ihn kurz vor der Kreuzung erlitten habe. Und dieser, nicht das Cannabis, sei allein Schuld am Unfall, behauptet der Anwalt. "Dafür spricht, dass mein Mandant das Gaspedal voll durchtrat, kein Ausweichverhalten zeigte und er sich einnässte." Das alles sei typisch für derartige Anfälle. Auf dieser Annahme fußt die Verteidigungsstrategie. "Die Vorwürfe fahrlässiger Köperverletzung und gar fahrlässiger Tötung sind nicht zu halten."
Jetzt soll ein rechtsmedizinisches Gutachten klären, wie ein Körper reagiert, wenn er Cannabis und dem Medikament ausgesetzt wird. "Eine Wechselwirkung zwischen dem Medikament Valproat und THC ist mir nicht bekannt", sagt Dr. Stefan Stodieck, Leiter des Epilepsie-Zentrums Hamburg am Evangelischen Krankenhaus Alsterdorf. Bei Valproat handele es sich um ein gängiges Antiepileptikum. Es gebe eine bestimmte Form von Epilepsie, bei der das Medikament häufig eingesetzt werde. Bei dieser Form träten Anfälle selten, dafür aber heftig und ohne Vorwarnung auf. Ob Alexander S. unter dieser Form der Krankheit leidet, ist allerdings unklar.
Zu der Frage, warum sein Mandant Cannabis konsumiert hat, wollte der Verteidiger keine Stellung nehmen.