Prof. Bernd-Rüdeger Sonnen, 70, Kriminologe und Rechtswissenschaftler aus Hamburg.
Hamburger Abendblatt: 1. Alexander S. soll für den Tod von vier Menschen verantwortlich sein - trotzdem läuft der Mann, der den verheerenden Unfall in Eppendorf verursacht hat, frei herum. Der Hamburger Politiker Bülent Ciftlik wiederum steht unter anderem wegen Urkundenfälschung im Visier der Staatsanwaltschaft und befindet sich in U-Haft. Wird mit zweierlei Maß gemessen?
Prof. Bernd-Rüdeger Sonnen: Das liegt schlicht daran, dass der Fahrer in Eppendorf nicht vorsätzlich handelte, sondern fahrlässig. Bei Ciftlik ist es offenbar genau andersherum. Und bei ihm liegt neben dem dringenden Tatverdacht auch noch ein Haftgrund vor: Verdunkelungsgefahr. Unabhängig von der Schwere der Tat dient die U-Haft aber allein der Verfahrenssicherung.
2. Aktuell fehlt von Alexander S. jede Spur, die Polizei erreicht ihn nicht. Wäre es nun nicht an der Zeit zu handeln?
Sonnen: Theoretisch hätte man den Mann für 24 Stunden festhalten können. In diesem Fall wäre das sicherlich der bessere Weg gewesen. Ist und bleibt er nicht auffindbar, könnte ein Haftbefehl wegen Fluchtgefahr erlassen werden. Man sollte in solchen Fällen die extreme psychische Belastung auch für den Täter nicht außer Acht lassen. Würde man in seinem Fall eine erhöhte Selbstmordgefahr annehmen müssen, wäre eine Zwangseinweisung in die Psychiatrie nach dem Psychischkrankengesetz möglich und vertretbar.
3. Welche Strafe wäre denn bei dieser Tat angemessen, sofern man davon in dem Zusammenhang überhaupt sprechen kann?
Sonnen: Der Gesetzgeber erlaubt bei einer Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung die Verhängung einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. Dass dieser Strafrahmen voll ausgeschöpft wird, ist unwahrscheinlich. Ich denke, dass sich die Strafe im bewährungsfähigen Bereich von zwei Jahren Freiheitsstrafe bewegt.
4. Wie könnte das Gericht zu einer derart milden Strafe kommen?
Sonnen: Alexander S. handelte fahrlässig, auch wenn er eine rote Ampel überfahren und Drogen genommen hat. Nahm er einen Unfall billigend in Kauf, weil er zuvor möglicherweise Drogen genommen hat? Das ist sicherlich zu bejahen. Wollte er wirklich Menschen töten? Sicherlich nicht. Eine harte Sanktion setzt bei einem Tötungsdelikt aber das Wissen und Wollen des Täters voraus.
5. Hätte man eine solche Tragödie nicht verhindern können?
Sonnen: Sie hätte nie passieren dürfen. Es gibt viele Möglichkeiten, solche Unglücke zu verhindern. Mehr Kontrollen von Autofahrern zum Beispiel, mehr Drogentests. Im konkreten Fall wäre es sicherlich hilfreich, an diesem Unfallschwerpunkt einen Kreisverkehr zu installieren.