Der Fall des Findelbabys Marie wird für die Polizei immer mysteriöser: Offenbar kommt der Mann mit dem Koffer aus einem anderen Bundesland.
Der unbekannte Mann, nach dem die Polizei wegen des Verdachts fahndet das Findelbaby Marie vor einer Woche in einem Koffer am CCH ausgesetzt zu haben, ist möglicherweise kein Hamburger. Bislang sind nicht einmal zehn Hinweise auf den Unbekannten, dessen Fotos aus einer Überwachungskamera veröffentlicht wurden, bei der Polizei eingegangen. "Bei ähnlichen Öffentlichkeitsfahndungen erhalten wir Dutzende Hinweise auf den Gesuchten, wenn es sich um Hamburger handelt", sagte ein Polizeisprecher gegenüber abendblatt.de. "Es ist gut möglich, dass er in einem anderen Bundesland lebt."
Die Polizei hat inzwischen neben den Fotos nun auch ein Video veröffentlicht, auf dem ein Mann zu sehen ist, der einen Koffer der Marke Omica trägt. Die Ermittler vermuten, dass darin die kleine Marie am Dienstag vor einer Woche vor dem Lieferanteneingang des CCH an der Tiergartenstraße ausgesetzt worden ist. Sowohl von dem abgebildeten Mann als auch von der Mutter fehlen bislang jede Spur.
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Familien aus Deutschland und der Schweiz wollen Marie adoptieren
Die Fotos aus der Überwachungskamera sind von bestechender Qualität. Sie sind derart gut, dass unter den Fahndern die Hoffnung bislang sehr groß war, dass der Mann, der darauf mit einem Koffer zu sehen ist, erkannt oder sich stellen wird. Nach Überzeugung der Ermittler ist auf diesen Fotos der Mann zu sehen, der vor genau einer Woche den Koffer mit dem erst einen Tag alten Säugling Marie vor dem Lieferanteneingang des CCH an der Tiergartenstraße abgelegt hat.
Die Polizei hatte den Mann mit dem Koffer der Marke Omica bereits in der vergangenen Woche auf den Videoaufzeichnungen des Bahnhofs Dammtor entdeckt. Er verließ den Bahnhof am Dienstag um 15.01 Uhr - zu der Zeit, als auch der Koffer laut Polizeiangaben vor dem CCH abgelegt worden sein muss. Zuvor waren die Ermittler noch davon ausgegangen, dass die Mutter ihr Kind ausgesetzt hatte.
Die Fotos dürfen allerdings erst jetzt veröffentlicht werden. So ist die Polizei gehalten, zunächst intern mit den Bildern zu fahnden. Das bedeutet, dass das Videomaterial an allen Polizeiwachen ausgelegt wird, in der Hoffnung, dass Beamte die gesuchte Person erkennen. Erst wenn das keinen Erfolg hat, kann die Staatsanwaltschaft eine öffentliche Fahndung bei einem Richter beantragen. Dieser hat gestern Nachmittag einen entsprechenden Beschluss gefasst. Hinweise auf den Gesuchten nimmt die Polizei unter der Telefonnummer 4286-56789 entgegen.
Unterdessen haben Familien aus ganz Deutschland und sogar der Schweiz ihr Interesse bekundet, die kleine Marie zu adoptieren. "Unsere Telefone stehen praktisch nicht still", sagt Katja Glahn, Sprecherin des Bezirksamts Nord, dem Sitz der für ganz Hamburg zuständigen Adoptionsvermittlungsstelle. Infrage kommen allerdings nur Interessierte, die sich bereits in die Bewerberliste haben eintragen lassen. "Das Verfahren, um als Adoptiveltern anerkannt zu werden, dauert etwa ein halbes Jahr", erklärt Glahn. Momentan befinden sich 40 Interessenten auf der Liste.
Sie alle haben sich in intensiven Gesprächen und Beratungen als geeignet erwiesen. Voraussetzungen für eine Adoption seien unter anderem, dass bei Paaren ein Partner mindestens 21 Jahre alt ist, Alleinstehende mindestens 25 Jahre. Sie müssen zudem über ein festes Einkommen verfügen. Auch die Gründe für den Adoptionswunsch werden geprüft, etwa ungewollte Kinderlosigkeit.
Im vergangenen Jahr sind in Hamburg zwölf Kinder im Alter von null bis einem Jahr adoptiert worden. Vor zehn Jahren waren es noch 30 Babys. "Das liegt unter anderem daran, dass sich die finanziellen Verhältnisse für Mütter verbessert haben", sagt Katja Glahn. "Außerdem hat sich das Ansehen in der Gesellschaft geändert. Ein Kind wird gerade bei sehr jungen alleinerziehenden Müttern nicht mehr als Schande angesehen." Kinder, die älter als ein Jahr sind, werden in Hamburg nicht mehr zur Adoption freigegeben. Sie kommen in der Regel in Pflegefamilien unter. Das habe sozialpädagogische Gründe. So sei der Kontakt zu den leiblichen Eltern gewünscht. Man will den Kontakt zu ihnen nicht unterbinden, in der Hoffnung, dass die Kinder irgendwann dorthin zurückkehren können.
Eine Adoption wird erst acht Wochen nach der Geburt wirksam. Das Familiengericht hat allerdings verfügt, dass die Adoptivfamilie Marie für den Fall wieder abgeben muss, dass sich die Mutter meldet. Dann würde das Gericht prüfen, ob das Kindeswohl bei der Mutter gewährleistet ist. Wenn das nachgewiesen würde, bekäme die Mutter die Vormundschaft.
Derzeit sucht das zuständige Jugendamt Mitte eine geeignete Familie für Marie. "Es gibt laufend Gespräche mit Interessierten", sagt Bezirksamtssprecher Lars Schmidt. Diese hätten Marie bereits im Altonaer Kinderkrankenhaus besucht. Zwar seien alle Familien, die auf der Bewerberliste der Adoptionsvermittlungsstelle stünden, geeignet. "Aber am Ende entscheidet natürlich auch der persönliche Eindruck der Jugendamtsmitarbeiter", so Schmidt weiter. In wenigen Tagen werde eine Entscheidung erwartet.
Laut Krankenhaussprecher Rainer Süßenguth habe sich Marie gut entwickelt. "Sie hat in einer Woche 150 Gramm zugenommen und wiegt nun 2350 Gramm. Ende der Woche kann sie dann in eine Familie kommen."