Hamburg. Öffentlichkeit teils ausgesperrt. Mit Psychiater auf Platz 1 will Partei in die Bürgerschaft einziehen. Rebellen fechten Beschlüsse an.
Der Bundesvorstand des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) hat am Sonnabend in Hamburg seinen letzten in Deutschland noch offenen Landesverband gegründet. Als Landesvorsitzende wurden bei einer nicht öffentlichen Aufstellungsversammlung nach Parteiangaben der 59-jährige Fotograf Konstantin Eulenburg und der 70 Jahre alte Psychiater und Suchtmediziner Jochen Brack gewählt.
Beide erhielten bei der Versammlung in Marienthal mehr als 92 Prozent. Auf Eulenburg entfielen demnach 24 von 26 Stimmen, auf Brack 25 von 27. Stellvertretender Vorsitzender wurde den Angaben zufolge der frühere Linken-Politiker und Bürgerschaftsabgeordnete Metin Kaya, Schatzmeister Christian Kruse. Zum Landesgeschäftsführer wurde Manuel A. Tabiou gewählt. Zudem stellten die Parteimitglieder ihre Kandidatenliste für die Bürgerschaftswahl am 2. März auf. Zu der Sitzung waren auch die BSW-Bundesvorsitzende Amira Mohamed Ali und der Europaabgeordnte Fabio De Masi angereist.
Hamburg nun mit zwei BSW-Landesverbänden
In Hamburg gibt es damit jetzt zwei Landesverbände des BSW. Wie berichtet hatten bereits am vergangenen Wochenende mehrere Mitglieder gegen den Willen der Bundesspitze einen Landesverband gegründet. Zum Parteichef machten sie den früheren Linken-Politiker Alexander Konstantinov, Parteivize wurde den Angaben zufolge der frühere Linken-Politiker Norbert Weber. Gleichzeitig tilgten sie Wagenknechts Namen – wie von ihr selbst geplant – aus dem Parteinamen und nennen sich „Bündnis für Vernunft und Gerechtigkeit“.
Wie berichtet kürten die Parteirebellen den für seine schrägen Aktionen bekannten Ex-Linken Bijan Tavassoli zu ihrem Kandidaten für die Bundestagswahl. Im Jahr 2022 hatte sich der iranischstämmige Altonaer selbst zu einer „lesbischen Trans-Muslima“ umdefiniert und war beim Linken-Parteitag für den Frauenposten im Landesvorstand angetreten. Auch durch zahlreiche andere Aktionen hatte Tavassoli von sich reden gemacht.
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Der Bundesvorstand hält die Gründung der BSW-Rebellen für einen nichtigen Vorgang, „der mit dem Parteivorstand nicht abgesprochen war und unserer Satzung widerspricht“. Zwei Landesverbände könnten auch ernsthafte Folgen für einen möglichen Einzug des BSW in den Bundestag und auch in die Hamburgische Bürgerschaft haben. Denn dann müssten der Landeswahlleiter und der Wahlausschuss entscheiden, welchen von den beiden sie zu den Wahlen zulassen.
BSW Hamburg: Wenn es schlecht läuft, kann die Partei gar nicht antreten
Sie können aber auch beide Vorschläge zurückweisen, sodass das BSW in Hamburg gar nicht antreten könnte. Exakt dieser Fall war bei der jüngsten Bürgerschaftswahl in Bremen eingetreten, nachdem die AfD zwei konkurrierende Listen eingereicht hatte. Sollte das passieren, könnte das Fehlen der Hamburger Stimmen dann angesichts der BSW-Umfragewerte um die fünf Prozent der Partei den Einzug in den Bundestag kosten.
Nach Abendblatt-Informationen scheint man im Landeswahlamt aber der Einschätzung zuzuneigen, dass die Rebellengründung nicht den Vorgaben der BSW-Satzung und denen des Parteiengesetzes entspricht. Die Rebellen hatten nach eigenen Angaben bereits ihre Landesliste für die Bundestagswahl eingereicht.
Wahlen Hamburg: Durcheinander könnte BSW auch den Einzug in den Bundestag kosten
Von all dem ließ sich das offizielle BSW in Hamburg aber nicht beeindrucken. Nach der Gründung des Landesverbandes und der Wahl des Vorstandes ging es im Bürgersaal Wandsbek allerdings bei der anschließenden Aufstellung der Kandidatenliste für die Bürgerschaftswahl teils turbulent zu. Noch vor Beginn der öffentlichen Versammlung erteilte das BSW etwa dem früheren Linken-Politiker und von den Rebellen nominierten Kandidaten Bijan Tavassoli Hausverbot, ließ zur Durchsetzung auch die Polizei anrücken – um das Hausverbot anschließend wieder aufzuheben, da sonst die gesamte Listenaufstellung ungültig zu werden drohte. Bei Konstantinov, der auf Listenplatz 2 kandidierte, hieß es zunächst, er sei nicht ins Gebäude gelassen worden.
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Tavassoli hielt nach Angaben von Sitzungsteilnehmern schließlich eine Rede, in der er seine Kandidatur zurückzog, sich aber auch mit der psychiatrischen Praxis des neuen Parteichefs und Spitzenkandidaten Jochen Brack befasste. Angeblich soll er sich mit dessen Patienten unterhalten und sich in der Praxis umgesehen haben.
BSW Hamburg: Frauen haben in der neuen Partei wenig zu sagen
Diese erneute Spontiaktion schadete Brack aber offenbar nicht. Er wurde auf Platz 1 der Landesliste gewählt. Auf Platz 2 nominierte das Hamburger BSW den Ex-Linken Peter Wils. Insgesamt stellte das BSW 14 Kandidatinnen und Kandidaten auf.
„Mich haben die klaren friedenspolitischen Positionen dazu motiviert, mich beim BSW zu engagieren“, sagte Brack laut Pressemitteilung des BSW. „Und die Frage von Krieg und Frieden ist für mich auch das wichtigste Thema bei der Bürgerschaftswahl. In einer Zeit, in der man wieder Angst vor einem globalen atomaren Konflikt haben muss, ist das auch ein landespolitisches Thema. Es kann nicht sein, dass die Bundeswehr an Hamburgs Schulen um Nachwuchs wirbt, Hamburger Unternehmen kriegstüchtig gemacht werden sollen oder der Hamburger Hafen zu einer Drehscheibe für Truppenverlegungen und einem Umschlagplatz für Rüstungsexporte in Kriegs- und Krisengebiete wird.“
Auffällig ist das deutliche Übergewicht der Männer im Hamburger BSW. Nicht nur sind die beiden Parteivorsitzenden, der Schatzmeister und der Landesgeschäftsführer Männer. Auch auf der Landesliste des BSW für die Hamburger Bürgerschaftswahl muss man mit der Lupe nach Frauen suchen. Die ersten sieben Plätze sind durchweg von Männern besetzt, insgesamt gibt es nur drei Frauen auf der bis Platz 14 gewählten Liste – allesamt auf hinteren Plätzen.
Die beiden Parteirebellen Norbert Weber und Dejan Lazic blieben unter den wenigen Hamburger BSW-Mitgliedern am Sonnabend derweil offenbar weitgehend isoliert. Allerdings beschwerten sie sich nach Abendblatt-Angaben offiziell beim Sitzungsleiter und fochten die Beschlüsse der Gründungssitzung auch schriftlich an. Diese seien nichtig, da ihre fristgerecht eingereichten Änderungs- und Ergänzungsanträge nicht behandelt worden seien. Unklar ist auch, ob mit der Auswahl des Sitzungsleiters gegen rechtliche Vorgaben verstoßen worden sein könnte, da dieser angeblich aus einem anderen Landesverband des BSW kam.
Sie würden nun prüfen, ob sie auch mit einer Klage gegen das Agieren der BSW-Bundesspitze in Hamburg vorgehen würden, sagte Parteirebell Weber dem Abendblatt. Wie es mit dem BSW in Hamburg weitergeht, wird sich also nun beim Landeswahlleiter entscheiden – und möglicherweise vor Gericht. Helfen wird der Partei das Durcheinander vermutlich eher nicht. Jüngste Umfragen sehen das BSW in Hamburg derzeit ohnedies bei nur vier Prozent, also nicht in der nächsten Bürgerschaft.