Hamburg. Altbürgermeister Klaus von Dohnanyi über das Fest, die frohe Botschaft und sein Ratschlag für die westlichen Staaten.

Matthias Iken: Ihr Onkel Dietrich Bonhoeffer hat einen der schönsten christlichen Texte überhaupt geschrieben, der bald wieder tausendfach gesungen wird. „Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr.“ Geschrieben hat er es vor 80 Jahren in der Gestapo-Haft. Haben wir dieses Gottvertrauen verloren?

Klaus von Dohnanyi: Ich würde in diesen Tagen, an denen es erneut um Syrien und Damaskus geht, gerne noch einmal viel weiter in die Geschichte zurückschauen: Vor rund 2000 Jahren machte sich ein junger Jude aus dem heute türkischen Taurusgebirge auf nach Jerusalem, um dort christliche Abweichler der jüdischen Gemeinde zur Raison zu bringen. Das war sein offizieller Auftrag. Der junge Mann hieß Saulus und wählte seinen Weg über die syrische „Hauptstadt“ Damaskus. Dort erschien ihm, wie er berichtete, in grellem Licht der inzwischen gekreuzigte Jesus, machte ihn zum jüdischen Reformer und bekehrte ihn zum Christentum. Aus Saulus wurde Paulus, der Heilige Paulus, und aus dem jüdischen Kontrolleur der Begründer der christlichen Kirche. Es war Paulus, der das Fundament des christlichen Glaubens festigte und die kleinen christlichen Gemeinden zusammenhielt. Wenn ich also in diesen Tagen das Wort „Damaskus“ höre, dann klingt mir zugleich immer auch im Unterton das Wort „Bekehrung“ mit und verbreitet mit diesem Wort eine Strömung von Hoffnung: Jeder kann sein „Damaskus-Erlebnis“ haben, seinen Ruf zur Bekehrung, zur Umkehr. 

Iken: Mir drängt sich der Eindruck auf, wir alle seien religiös unmusikalisch geworden. Weihnachten ist vor allem ein Konsumfest.

Dohnanyi: Unsere Tradition der Weihnachtsgeschenke hat sich von der christlichen völlig gelöst. Zur Geburt Christi kamen zwar nach biblischer Erzählung auch die Heiligen Drei Könige an die Krippe nach Bethlehem und brachten Myrrhe, Weihrauch und Gold. Weihnachtsgeschenke haben also eine biblische Tradition. Natürlich können wir keine so königlichen Geschenke verteilen, aber heute sind die Geschenke oft wahllose Konsumartikel; es ist dann gewissermaßen nur noch Geld in Konsumform, das geschenkt wird. Und dann werden nach amerikanischem Brauch auch noch vorgedruckte Weihnachtskarten verschickt, oft ebenfalls ziemlich wahllos und nicht einmal persönlich unterschrieben. Als ich aufwuchs, bastelte mein wirklich sonst sehr beschäftigter Vater des Nachts eine kleine Burg für uns Jungens, ein Schränkchen für die Puppen meiner Schwester und so fort. Aber auch von uns Kindern erwarteten Eltern und Großeltern, dass wir irgendetwas „Gebasteltes“ zustande bringen würden; ein Gedicht aufsagen würde genügen. Die Überraschung und die Freude, auch aufseiten meiner Eltern, waren dann groß. In solchen Geschenken steckt eben auch Engagement und Liebe. Und das konnte man spüren. 

Iken: Auch die Friedensbotschaft der Weihnacht scheint manchen nicht mehr zeitgemäß.

Dohnanyi: Frieden ist die große Sehnsucht der meisten Menschen – wer will schon Krieg? Aber wir verstehen oft nicht, was zum Streit und zum Krieg führt, denn wir sind überzeugt, selbst im Recht zu sein, der andere hat für uns immer die Schuld. Wir wollten den Krieg doch nicht. So aber denken immer beide Seiten. Die christliche Friedensbotschaft spricht deswegen nicht von den Ursachen eines Krieges, sondern vom „Frieden auf Erden“ als Ziel und Ergebnis. Den kann es aber nur geben, wenn beide Seiten eines Streits bemüht sind, die Ursachen und die verschiedenen Interessen zu erkennen und dann einen Ausgleich zu finden. „Frieden auf Erden“ ist nicht nur ein Wunsch, sondern ein christlicher Auftrag an uns Menschen. Frieden muss gemacht, muss geschaffen, muss erarbeitet werden. Frieden ist kein Geschenk Gottes zu Weihnachten, sondern ein Auftrag. Und nicht nur ein christlicher! 

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Iken: Was bedeutet das für das christliche Abendland, also den Westen?

Dohnanyi: Es würde schon genügen, wenn wir etwas bescheidener wären: Wir haben eben nicht immer recht, sind nicht immer die besseren Menschen. Wir sollen anderen auch mal zuhören und nachdenken, ob wir selbst es immer richtig gemacht haben. Das könnte unser Beitrag sein zum weihnachtlichen „Frieden auf Erden“.