Hamburg. Im Urlaub verletzte sich der Student Edoardo Bianchini so schwer, dass er seitdem vom Hals abwärts gelähmt ist. Doch er gab nicht auf.
- Urlaub auf Ibiza endete für Hamburger Studenten in einem Horrorszenario
- Edoardo Bianchini verletzte sich bei einem Badeunfall so schwer, dass er nun querschnittsgelähmt ist
- Wie der junge Mann zurück in sein Leben fand und warum ihm ein Fisch das Leben gerettet hatte
Ein Fisch war das Tier, das ihm Zuversicht im schlimmsten Moment seines Lebens schenkte. Dem einen Moment im Element Wasser, der einfach alles veränderte: Im Sommer vor gut einem Jahr passierte Edoardo Bianchini, heute 26 Jahre alt, Architekturstudent aus Hamburg, Ehemann, Bruder, Sohn, Fußballspieler, Tierfreund, kreativer Geist und Familienmensch das, wovor eigentlich alle Angst haben: Das Schicksal schlug zu.
Edoardo Bianchini erlitt einen schweren Badeunfall. Völlig unerwartet wurde aus dem paradiesischen Familienurlaub auf Ibiza ein realer Albtraum. „Detaillierter kann ich darüber zu diesem Zeitpunkt nicht sprechen“, erklärt er, „in Bezug auf den Unfallhergang habe ich ein noch unverarbeitetes Trauma. Es kommt zu viel wieder hoch, wenn ich darüber rede.“
Gelähmt nach schwerem Badeunfall: Hamburger kämpft sich zurück ins Leben
Er schweigt kurz. Und fährt dann fort: „So ein Schicksalsschlag, wie ich ihn erlebt habe, das ist extrem intim, da sollte man sehr vorsichtig sein.“ Deshalb nur so viel: Als es passiert war, da habe er schnell das Ausmaß realisiert. Nachdem der junge Mann, der liebevoll „Dodo“ genannt wird, gerettet wurde, verbringt er eine Woche auf der Intensivstation in einem Krankenhaus auf Ibiza, „zugeballert mit Medikamenten“ wird Bianchini dann mit dem ADAC ins BG Klinikum Hamburg-Boberg geflogen. Hier sind die Mediziner auf die Akutversorgung und Rehabilitation schwer verletzter Menschen spezialisiert.
Bianchinis Rückenmark ist auf Höhe des dritten Halswirbels, C3, verletzt, er kann weder Arme noch Beine bewegen. Vom Hals abwärts gelähmt. „Ich konnte nur verwaschen und ganz wenig sprechen“, sagt er und macht vor, wie es sich damals anhörte, wenn er sich mitteilen wollte: flüsternd, stoßweise, angestrengt. Als müsse er wertvolle Ressourcen sparen. „Mein Zwerchfell kam glücklicherweise zurück, und mithilfe der Logopäden dort habe ich zurückerlangt, dass ich gut sprechen, schlucken und essen und trinken kann.“
Hamburger erleidet Badeunfall – warum ihm ein Fisch das Leben rettete
Bei einer so hohen Schädigung des Rückenmarks wie bei ihm, da sei eigentlich immer eine Beatmung durch Intubation nötig. „Mein größter Erfolg ist, dass ich mein Zwerchfell stabilisieren konnte und ich nicht künstlich beatmet werden musste und muss“, sagt Bianchini und grinst etwas beim Reden. „Ich habe sehr viel geredet, eigentlich pausenlos, das hat mir geholfen.“ Der Halbitaliener, der in Ottensen aufgewachsen ist und nun in Eimsbüttel wohnt, ist die Ausnahme, einer von Tausenden, die so weiterleben. „Eine Rückenmarksverletzung, das habe ich in Boberg gelernt, ist wie ein Fingerabdruck. Bei einigen kommt vieles wieder.“ Dieses Wissen, es sei auf der einen Seite Hoffnung spendend, natürlich ist sein Wunsch, möglichst viel wieder eigenständig machen zu können. Auf der anderen Seite bedeutet es auch Qual, da auch die Möglichkeit bestehe, dass man im momentanen Zustand unverändert verharre.
„Einmal kam eine Ärztin zu mir und sagte, dass sie sich Sorgen machten, weil ich mich zu sehr an die Hoffnung klammere und mich mit meiner Situation besser abfinden solle“, erinnert sich der Mittzwanziger. „Da bin ich so sauer geworden, ich hatte das Gefühl, die wollte mir von Anfang an diese Hoffnung nehmen. Ich habe ihr dann deutlich gesagt, dass sie für das Medizinische zuständig sei, die Hoffnung, die sei aber meine Sache.“
Und er behält recht, kann durch viele Stunden der Physiotherapie seinen Rumpf stabilisieren und arbeitet erfolgreich an seiner Schulterbeweglichkeit. Doch das ist nur ein Teil. Bianchini ist auch in Boberg, um zu lernen, sich in seinem neuen, zukünftigen Leben zurechtzufinden. Die Situation, seinen Körper, sein Leben nach diesem Unfall anzunehmen. „Zu Beginn habe ich alle fünf Minuten geweint“, sagt Bianchini, „vor Schock, aus Traurigkeit. Ich war und bin dankbar, dass ich das nicht allein durchstehen musste, meine Mutter, mein Vater, meine Schwester, meine Frau und der Großteil meiner Freunde und Kommilitonen kamen regelmäßig, ich war keinen Tag ohne Besuch.“
Sonne und Wind gespürt: „Geschenk, wenn einem so eine Scheiße passiert“
Die Familie war auch dabei, als er drei Tage nach der Einlieferung in Hamburg in seinem Bett das erste Mal ans Tageslicht nach draußen geschoben wurde. „Da habe ich die Sonne und den Wind gespürt“, sagt er. „Das war wie ein High und prägendes Erlebnis, weil ich gespürt habe, dass ich leben darf. So war es, auch wenn das kitschig klingt. Es beruhigt mich, daran zu denken, wenn ich einen schlechten Tag habe“, sagt er. „Ein Geschenk, wenn einem so eine Scheiße passiert.“
Nach sieben Monaten verlässt er im Aktivrolli, einem herkömmlichen Rollstuhl, die Klinik. Seine Familie hat mittlerweile eine barrierefreie Wohnung für ihn gefunden. Jedoch begleitet ihn von nun an immer jemand aus dem mittlerweile zehnköpfigen Assistenzteam, schiebt den Rollstuhl, erledigt alle Handgriffe. Was er am meisten vermisst? „Alles.“ Alltägliches wie das Fußballspielen mit den Jungs, aber auch unbewusst ausgeführte Bewegungen. „Ich würde mich gern an der Nase kratzen können, wenn es mal juckt.“
„Bootcamp“-Reha mit Hochtechnologie: In Antwerpen arbeitet er wie ein Leistungssportler
Auch in Belgien ist er auf Unterstützung angewiesen. Dorthin zieht es alsbald den sportlichen jungen Mann, der von einer neuartigen Art der Physiotherapie gehört hat, die mit Hochtechnologie arbeitet und durch Laufroboter in der Nachrehabilitation helfen kann. „Ich war dort schlussendlich insgesamt zwei Monate, doch leider hatte ich nach einer Woche ein furchtbares Erlebnis“, sagt Bianchini. Sein Vater, der mit ihm dort war, habe für ihn einen Krankenwagen rufen müssen, da er aus einem Grund, der nicht wichtig sei, ins Krankenhaus gebracht werden musste.
„Die Sanitäter haben mir dann eine Art Tuch unter den Po gelegt, um mich vom Bett auf die Trage heben zu können. Auf Englisch habe ich ihnen gesagt, dass ich Tetraplegiker bin, also meine Arme und Beine nicht bewegen kann, und auch mein Vater mithelfen könne.“ Die beiden hätten jedoch abgewinkt und ihn allein verfrachtet. „Dabei haben sie mir einen Arm gebrochen, wie im Krankenhaus dann festgestellt wurde.“
Bianchini schweigt ob der Erinnerung an den Vorfall, der ihn zurück nach Deutschland reisen und in einen „psychischen Terror“ stürzen ließ. Denn die Reise war lange geplant, und vor allem hatte seine Frau Lina auf der Plattform gofundme eine Spendenaktion gestartet, die über 65.000 Euro eingebracht hatte – Geld für Antwerpen, da Leistungen außerhalb von Deutschland nicht von der Krankenkasse übernommen werden.
In Hamburg hatte er Architektur studiert, das möchte er nun weiterführen
Da Edoardo Bianchini sich aber nicht unterkriegen lassen will, startet er nach fünf Wochen erneut und ist absolut begeistert: Die Atmosphäre ist völlig anders als in einem sterilen Krankenhaus oder einer Physiopraxis, vielmehr habe er sich wie in einem modernen Fitnessstudio gefühlt, lebensnah, mittendrin, nicht abgesondert. Vielfältige, ehrliche und detaillierte Einblicke in diese hoch technologisierte und emotionale Zeit gibt er auf seinem Instagram-Account und dankt seinen Unterstützern.
In der verbleibenden Freizeit kann er sich Antwerpen anschauen. „Über zehn Wochen habe ich dann täglich vier Stunden trainieren können, das war eine Challenge an mich, ein Bootcamp“, sagt Edoardo Bianchini. Zweimal schläft er aufrecht im Laufroboter ein, so zehrend sind die Einheiten. Seitdem kann er selbstständig sitzen, er habe seinen Rumpf trainiert und an der Schulterkoordination gearbeitet, und für seine Organe sei es toll gewesen, wenn er minutenlang aufrecht geübt habe.
„Nach dieser Zeit kam in mir der Wunsch auf, mein Architekturstudium wieder aufzunehmen und meinen Bachelor zu beenden, denn ich sah, dass alle meine Kommilitonen ihren Abschluss machten, und habe deshalb wieder angefangen zu studieren“, sagt Bianchini. Seit einigen Wochen büffelt er also wieder, noch recht entspannt, wie er lachend bemerkt. „Wenn die Prüfungsphase beginnt, sieht das sicher anders aus.“ Dazu merkt er, dass ihm das Zeichnen fehlt. „Wie ein typischer Architekturstudent habe ich früher gezeichnet, mit Aquarellstiften, Finelinern“, sagt er. Das seien zum einen natürlich Gebäude gewesen, aber ein wirkliches Faible hatte er für skurrile Charaktere.
Pop-up-Store in Hamburg: Dodo verkauft seine Shirts mit mundgemalten Motiven in Partyatmosphäre
Da es mit den Händen aktuell nicht möglich ist, malt er nun mit dem Mund: Den Stift klemmt er zwischen Zähne und Lippen, dann zeichnet er auf einen Block, der auf Kopfhöhe in einer Halterung vor ihm eingespannt ist. „Zuerst war ich total frustriert, dann hat mir geholfen, dass meine Frau Lina mich bestärkt hat und meinte, ich würde meinen neuen Stil schon finden.“ Und so sollte es sein. Bianchini gab nicht auf, übte, mit der neuen Weise und dem Filzstift umzugehen. Er lacht wieder kurz: „Mit einem Filzstift, den mochte ich früher gar nicht. Da kommt in mir der Waldorf-Schüler hoch.“
Sein Durchhaltevermögen und die Fähigkeit, aus seiner neuen Lebenssituation heraus etwas zu schaffen, lässt ihn zum T-Shirt-Designer werden. Denn nachdem die ersten Motive, „eigentlich nur als Geschenk für Freunde“ so hohen Anklang fanden, findet er mithilfe seines Vaters einen Produzenten. „Mindestabnahmemenge waren 600 Shirts, das hat mir erst einmal kurz Angst gemacht, aber jetzt gehe ich es an“, sagt Bianchini, dessen Werke man unter www.dodopunto.de ansehen und erwerben kann.
Das Besondere: Die mundgemalten Motive des Architekturstudenten haben alle eine Bedeutung für ihn persönlich. Jedes einzelne steht in Zusammenhang mit seinem lebensverändernden Unfall, alle sollen aufklären, über das Leben von Menschen mit Querschnittlähmung und anderen Behinderungen.
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Neben den Motiven eines Rollstuhls mit Bluemenrädern, die „Rollblume“, die für die Verbindung von Hoffnung und die Herausforderungen, die ein Leben im Rollstuhl mit sich bringe, stehe, gibt es auch ein Bild eines Goldfischglases mit vielen kleinen bunten Fischen darin. „Fisch sei Dank“, diese Worte stehen darüber. Warum?
Es hat mit dem Unfalltag zu tun. „Ein Moment an diesem Tag hat sich bei mir nachhaltig tief eingeprägt. Während ich mit dem Kopf unter Wasser war, überkam mich Panik. Ich konnte mich nicht bewegen und hatte das Gefühl, dass alles vorbei sei. Ich war kurz vor dem Ertrinken. In diesem Augenblick dachte ich, ich würde sterben, und begann, mich innerlich mit diesem Gedanken abzufinden“, so erklärt es Bianchini. „Doch dann geschah etwas Unerwartetes: Ein kleiner Fisch schwamm direkt vor meinem Gesicht vorbei. Ganz ruhig, als wäre alles um mich herum völlig normal. Dieser Fisch hatte eine beruhigende Wirkung auf mich. Er gab mir in dem Moment das Gefühl, dass alles gut werden würde. Eine innere Kraft kam in mir auf: ein Wille zu leben.“
Und dieser trägt den jungen Hamburger tagein, tagaus. Nicht über jede Bordsteinkante, nicht über hohe Schwellen vor Clubs oder in den Linienbus. Dafür durchs Leben.