Hamburg. Am 12. April 2018 rächt sich ein Vater in einem Sorgerechtsstreit auf bestialische Weise. Richter und Polizist schildern ihre Erlebnisse.
Es war ein Verbrechen, das sich mitten in Hamburg ereignete – und vor den Augen vieler schockierter Zeugen. Ein Kleinkind und seine Mutter wurden heimtückisch niedergestochen. Die Opfer erlagen ihren schwersten Verletzungen. Dieser Doppelmord, verübt auf einem Bahnsteig der S-Bahn in der Haltestelle Jungfernstieg, hat in der Hansestadt und auch bundesweit für Entsetzen gesorgt.
„Für uns Experten galt es im Nachhinein, die tödlichen Verletzungen, die dem Kind und ebenso seiner Mutter zugefügt wurden, zu analysieren. Von wo kam der Angriff?“, sagt Rechtsmediziner Klaus Püschel in „Dem Tod auf der Spur“, dem Crime-Podcast des Hamburger Abendblattes mit Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher. „Wie ging der Täter vor? Musste ihm klar sein, dass seine Handlungen zur Folge haben würden, dass die Opfer sterben? Was lässt sich über das Tatwerkzeug sagen? In diesem Fall handelte es sich um ein Messer mit einer Klingenlänge von 19 Zentimetern. Es liegt wohl auf der Hand, dass damit allerschwerste Verletzungen zugefügt werden können.“
Prozess Hamburg: Anklage wegen Mordes gegen 33-Jährigen
„Der Fall wurde später vor dem Schwurgericht verhandelt, der Täter zu einer lebenslangen Freiheitstrafe verurteilt“, berichtet Mittelacher. Vorsitzender Richter in dem Prozess war Joachim Bülter, Jurist mit vielen Jahrzehnten Erfahrung und mittlerweile pensioniert. Zuvor hat Bülter etliche Jahre lang ausschließlich über Verbrechen verhandelt. „Bei dem Doppelmord am Jungfernstieg sei ,besonders bedrückend‘ gewesen, dass eines der Todesopfer ein kleines Kind war. Es war gleichsam zwischen die Fronten einer Beziehung geraten und wurde schließlich auf brutale Weise getötet.“
An jenem schicksalhaften 12. April 2018 ist eine 34-Jährige, Mutter von fünf Kindern, mit ihrer jüngsten Tochter unterwegs. Das kleine Mädchen ist gerade 21 Monate alt. Um das Kind gibt es einen Sorgerechtsstreit zwischen der Mutter des Mädchens und dem leiblichen Vater. Als der 33-Jährige eine juristische Niederlage erlitt, schmiedete Tayo N. (Name geändert) offenbar den Plan, sich zu rächen.
Motiv: Leiblicher Vater hatte Sorgerechtsstreit verloren
Wenig später werden Menschen Zeugen, wie am S-Bahnhof Jungfernstieg das kleine Kind, das noch im Buggy sitzt, mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt wird. Der Angriff ist so massiv, dass das Kind nahezu unmittelbar stirbt. Wenige Augenblicke später wird auch noch die Mutter des kleinen Mädchens schwer verletzt. Die 34-Jährige wird noch in ein Krankenhaus gebracht, wo dann ihr Tod festgestellt wird.
„Wenn man berücksichtigt, dass zwei Menschen getötet wurden und auch, auf welche Weise dies geschah, dann gibt dieser Fall einen Einblick in sehr dunkle Winkel der menschlichen Seele“, findet Püschel. „Auch die Motive, aus denen die Taten den Ermittlungen zufolge begangen wurden, sind besonders düster: nämlich Wut und Rache.“
Wut, Rache und ein Mord aus niedrigen Beweggründen
In dem Prozess, in dem von Ende 2018 an der Vater des getöteten kleinen Mädchens vor Gericht stand, wurde dem Angeklagten Mord in zwei Fällen vorgeworfen. „Weil Wut und Rache das leitende Motiv für Tayo N. gewesen sein soll, ging die Staatsanwaltschaft in der Anklage von einem Mord aus niedrigen Beweggründen aus“, erklärt Richter Bülter. Schon zuvor soll Tayo N. seine Ex-Freundin mehrfach bedroht haben.
Angeklagter drohte, es werde „etwas passieren“
In dieser Zeit gab es aber auch Hinweise, dass er in Deutschland Straftaten begangen hatte. Er soll unter anderem gedroht haben, dass seiner Freundin und der gemeinsamen Tochter „etwas passieren“ werde. Auch nach einem Termin beim Familiengericht äußerte er Dinge, die so interpretiert werden können, dass der 33-Jährige jedenfalls nicht akzeptieren werde, dass er nicht das Sorgerecht für seine Tochter bekommen hatte.
„Und die Tat, die er danach beging, sprach dafür, dass er das, was er für sein Recht hielt, gewaltsam durchsetzen wollte – beziehungsweise, dass er Rache dafür ausüben wollte, dass man ihm – aus seiner Sichtweise – seine Tochter wegnehmen wolle“, sagt Püschel. Tayo N. steckte am Morgen nach der familiengerichtlichen Entscheidung ein Messer mit einer langen Klinge in seinen Rucksack. Um gegebenenfalls jemanden zu verletzen oder sogar umzubringen?
Dem Angeklagten ging es um Macht- und Besitzansprüche an seiner Tochter
„Genau das passierte dann leider auch“, berichtet Bülter. „Er hatte die Tötung seiner Tochter also zumindest vage geplant.“ Die Situation eskalierte, als Sandra P. dann während ihres Streits mit Tayo N. wohl zu ihrem neuen Freund sagte, dass sie die Polizei rufen werde. Sie wolle nicht mehr, dass Tayo N. die gemeinsame Tochter sehen könne. Als der 33-Jährige diese Aussage hörte, entschloss er sich nun, seine Planung in die Tat umzusetzen. „Wir haben das später, am Ende des Prozesses gegen Tayo N., so gewertet, dass er seine Ex-Freundin bestrafen wollte“, sagt der Jurist. „Er wollte sich dafür rächen, dass Sandra P. ihn nicht jederzeit seine Tochter sehen ließ. Es ging ihm auch darum, seine Macht- und Besitzansprüche an seiner kleinen Tochter zu demonstrieren.“
Tayo N. gab zu Prozessbeginn über seinen Verteidiger eine Erklärung ab, in der der Angeklagte einräumte, seine Tochter Mariam und deren Mutter „getötet zu haben. Was er ihnen und ihren Angehörigen angetan hat, ist bei Gott eine Sünde.“ Der Angeklagte „betet für Mariam und Sandra“, heißt es. Auch die Tat gegen die Mutter sei „kein Versehen“.
Opfer starben unter anderem an massivem Blutverlust
Im Prozess kamen unter anderem mehrere Tatzeugen zu Wort. Es gab beispielsweise eine Frau, die beobachtet hatte, wie der Angeklagte in seinen Rucksack griff und sich offenbar dafür bereit machte, das Messer, mit dem er kurze Zeit später die Taten verübte, griffbereit zu machen.
Wie er die Waffen dann einsetzte, das wurde bereits am Bahnsteig und dann später im Detail bei der Obduktion der Opfer deutlich. „Ein Messerstich traf das kleine Mädchen in den Bauch, mit schwersten Folgen“, berichtet Püschel. „Sodann versetzte der Täter dem 21 Monate alten Kind von hinten einen sehr langen und sehr tiefen Schnitt in den Hals. Das Opfer verstarb binnen weniger Sekunden, unter anderem wegen des massiven Blutverlusts.“ Sandra P. wurde von dem Messerstich, den Tayo N. gegen sie führte, in den seitlichen Rücken getroffen. Mehrere Organe waren getroffen, außerdem die Wirbelsäule. Auch die 34-Jährige verstarb letztlich infolge eines massiven Blutverlusts.
Polizist: Es wurde geschrien, aber manche waren einfach nur still
Zu den Geschehnissen wurden im Prozess mehrere Zeugen gehört. Ein Beamter sagte dazu: „Ich bin seit zwölf Jahren Polizist. Und das war mit Abstand mein schlimmster Einsatz.“ Er habe in seinem Dienstwagen über Funk die Meldung bekommen, es sei am Bahnhof Jungfernstieg „zu einem Messerstich gekommen“. Als er zum Bahnsteig kam, sei es „chaotisch“ gewesen, sagte der Polizist weiter. „Es wurde geschrien, manche Menschen waren auch einfach nur still.“ Er habe sich noch eine ganze Weile bemüht, Erste Hilfe zu leisten, musste aber wenig später erfahren, dass beide Opfer nicht mehr zu retten gewesen waren.
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Am Ende der Beweisaufnahme forderte die Staatsanwaltschaft eine lebenslange Haft wegen Mordes in zwei Fällen sowie die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Die Verbrechen seien in der Art einer „hinrichtungsartigen Bestrafung“ sowie heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen erfolgt, so die Anklägerin. Tayo N. habe die Tochter „zum Werkzeug seiner Rache“ an der Mutter gemacht, so die Anklägerin. Der Verteidiger meinte indes, sein Mandant sei „jedenfalls nicht ausschließbar nur eingeschränkt schuldfähig“ gewesen. Die Wahrnehmung seines Mandanten sei es gewesen, dass er um die Vaterschaft habe kämpfen müssen, sagte der Verteidiger und plädierte auf eine zeitlich begrenzte Freiheitsstrafe wegen Totschlags.
Richter: Angeklagter habe „schweres Leid über viele Menschen gebracht“
„Wir als Gericht waren schließlich überzeugt, dass es sich bei beiden Taten um Mord handelte, mit den Mordmerkmalen der niedrigen Beweggründe und Heimtücke“, so Richter Bülter. „Der Angeklagte hatte die Arg- und Wehrlosigkeit beider Opfer ausgenutzt. Zusätzlich zur lebenslangen Haft stellten wir die besondere Schwere der Schuld des Angeklagten fest.“ In der Urteilsbegründung bescheinigte Bülter dem Angeklagten, er habe mit der Tötung der kleinen Mariam, die nur 21 Monate alt wurde, und deren Mutter Sandra P. „schlimmes Leid über viele Menschen gebracht“.
Zudem habe Tayo N. mit dem Verbrechen die vier weiteren Kinder der 34 Jahre alten Frau, die sie mit anderen Männern hatte, zu Halbwaisen gemacht. Er habe das Recht „in die eigene Hand genommen“.
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