Hamburg. Zwei Ereignisse mit großem Effekt: Immer mehr Menschen wollen sich politisch engagieren. Welche Parteien in Hamburg besonders profitieren.
- Die Wahl von Trump und das Ende der Ampel haben viele Menschen zu mehr politischem Engagement getrieben.
- Alle Parteien berichten von vielen zusätzlichen Mitgliedsanträgen.
- In Hamburg bleibt die SPD die mit Abstand mitgliederstärkste Partei.
Wenn man so will, war es ein schwarzer Mittwoch: In den USA bejubelte Donald Trump am Morgen des 6. November seinen Wahlsieg, und in Berlin verkündete Olaf Scholz am Abend desselben Tages das Zerbrechen der deutschen Regierungskoalition. Aber natürlich gibt es auch Menschen, die diese beiden Ereignisse ganz anders bewerten und die womöglich von einem Mittwoch der Freude sprechen würden. Das hängt von der politischen Einstellung ab. Unabhängig davon aber hat jener Mittwoch einen massiven Effekt auf die politische Landschaft, auch in Hamburg. Als Erstes haben den die Parteien gespürt –, und zwar in Form eines regelrechten Mitgliederansturms.
Der Doppelwumms aus Washington und Berlin hat offenbar zur starken Politisierung beigetragen, und zwar über das gesamte politische Spektrum hinweg, von links bis rechts. So jubelt die Linke derzeit über das 2000. Hamburger Parteimitglied, allein im November seien 100 neue Mitglieder aufgenommen werden, oft junge Frauen, hieß es. Seit besagtem Mittwoch allerdings seien bei den Neugenossen auch wieder mehr Männer und auch Ältere dabei.
Parteien Hamburg: AfD und Linke freuen sich über Mitgliederzuwachs
„Die Anzahl der Mitglieder allein sagt natürlich noch nichts über die Qualität einer Partei aus, wie Union, SPD und Grüne bestätigen – aber so viel Leben an der Basis hatten wir schon lange nicht mehr“, sagte der Hamburger Linken-Sprecher Thomas Iwan. „Wir sind jünger geworden, weiblicher, und wir streiten mit großer Einigkeit für ein soziales und gerechtes Hamburg. Nach der Ampel links – ich freue mich über das Interesse an linker Politik! Deutschland rückt nach rechts – wir laden alle ein, die mit uns für Gegenwind sorgen wollen.“
Am anderen Ende des politischen Spektrums, bei der AfD, gibt es offenbar ähnlich viel Bewegung. „Die AfD Hamburg verzeichnet eine positive Mitgliederentwicklung. Aktuell befinden sich rund 100 Aufnahmeanträge in Bearbeitung“, sagte ein Sprecher der Partei. „Der Ampel-Ausfall beschert uns weiteren Zulauf.“ Bisher habe die AfD in Hamburg „knapp 530 Mitglieder“.
BSW Hamburg: Erst 28 Mitglieder, aber angeblich stark gestiegenes Interesse
Dass es nun zwei Wahlen binnen einer Woche gebe, „beflügelt die Leute eher noch, weil zwei Dinge gleichzeitig auf dem Spiel stehen“, sagte der Hamburger AfD-Parteivize Alexander Wolf. „Beim Schicksal von Hamburg und Deutschland stellen sich die gleichen Fragen: In beiden Fällen ist eine rot-grüne Regierung im Amt. Die gilt es abzuschaffen.“ Trotz der Eintrittswelle dauere die Aufnahme länger, denn die Partei führe „sorgfältig Aufnahmegespräche“.
Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) spricht ebenfalls von einer Zunahme des Interesses an einer Aufnahme in die neue Partei. „Die Mitgliedsanträge und Unterstützungszusagen sind nach dem 6. November bundesweit und auch in Hamburg stark angestiegen“, sagte die Hamburger BSW-Bundestagsabgeordnete Żaklin Nastić dem Abendblatt. Allerdings handhabt die Partei die Aufnahmen extrem strikt, über jeden Antrag wird zentral im Bundesvorstand entschieden. In Hamburg hatte die Partei zuletzt gerade einmal 28 Mitglieder. Zur Bundestagswahl will sie auf jeden Fall antreten. Am Freitagmittag verkündete die Partei, dass sie ihren Landesverband Hamburg am 15. Dezember gründen werde, um im März auf den Wahlzetteln zu stehen.
FDP Hamburg: „Wir werden von einer Neumitglieder-Welle überrollt“
Sehr erfreut gibt man sich auch bei der gerade aus der Bundesregierung geflogenen FDP. „Wir werden bundesweit und auch in Hamburg von einer Neumitglieder-Welle geradezu überrollt“, sagte Katarina Blume, FDP-Spitzenkandidatin für die Bürgerschaftswahl. „Seit der Entlassung Christian Lindners durch Olaf Scholz sind bundesweit über 1000 Mitgliedsanträge bei der FDP eingegangen, und jeden Tag kommen mehrere Hundert dazu.“
Allein in Hamburg seien in den ersten 48 Stunden nach dem Ampel-Aus rund 50 Anträge eingegangen. „Wir spüren einen großen Befreiungsschlag, der mir und meinem Team Aufwind gibt“, so Blume. „Auch im Gespräch mit den Hamburgern an den zahlreichen Infoständen vergangenes Wochenende erhielten wir viel Zuspruch für unsere klare Haltung und für eine Wirtschaftswende in unserem Land. Mit diesem Rückenwind werden wir wieder in die Hamburgische Bürgerschaft einziehen.“
Grüne Hamburg: Kurz vor dem Knacken der 5000er-Marke
Was alle anderen können, das können die Grünen natürlich schon lange. Auch die Partei des Küchenkanzlerkandidaten Robert Habeck freut sich über ein gewachsenes Interesse. „Aktuell haben wir im Landesverband Hamburg knapp 5000 Mitglieder. Seit dem 6. November sind 167 elektronische Mitgliedsanträge eingegangen“, sagte eine Parteisprecherin. Allerdings seien die Zahlen noch unbereinigt, exakte Werte zu Aufnahmen gebe es binnen sechs Wochen.
„Wir bekommen gerade – sowohl im Bund als auch in Hamburg – sehr viel Zuspruch“, ließen die Parteivorsitzenden Maryam Blumenthal und Leon Alam mitteilen. „Darüber hinaus steigt die Zahl unserer Mitglieder kontinuierlich, und wir sind zuversichtlich, in Kürze die Marke von 5000 Mitgliedern zu knacken. Das sind Menschen, die gemeinsam mit uns Politik gestalten und Wahlkampf machen wollen. Das finden wir großartig!“
Bürgerschaftswahl Hamburg: CDU mit 26 neuen Mitgliedern im November
Wo die Kleinen so laut jubeln, wollen die (ehemaligen) Volksparteien natürlich nicht hinten anstehen. Die Hamburger CDU freute sich nach Auskunft ihres Sprechers über 39 Neueintritte im Oktober und im November schon jetzt (Stand 13.11.) über 26 neue Mitglieder. Insgesamt habe die CDU jetzt 6037 Mitglieder in Hamburg, 189 mehr als vor einem Jahr.
„Wir freuen uns über einen großen Zulauf und Rückenwind für die anstehenden Wahlen in Hamburg und Deutschland“, sagte Parteichef Dennis Thering. „Die CDU Hamburg ist wieder da, das zeigen auch die Mitgliederzahlen und das hohe Interesse an unserer Arbeit. Als starke und geschlossene Partei wollen wir Hamburg wieder besser machen.“
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Mit Abstand größte Partei in Hamburg ist und bleibt allerdings die SPD. Sie hat derzeit laut Parteisprecher Manuel Preuten mehr als 10.300 Mitglieder. Zwischen dem 1. und 12. November habe es zudem eine hohe zweistellige Zahl von Beitrittsanträgen gegeben, „was etwa zwei- bis dreimal so viel ist wie im gleichen Zeitraum der Vorjahre“, so Preuten.
Im Nachgang der Correctiv-Veröffentlichung „Geheimplan gegen Deutschland“ über ein Treffen von Rechtsextremen und AfD-Politikern bei Potsdam und den Großdemos gegen Rechts im Januar „gab es ein größeres Eintrittsgeschehen“, so Preuten. Vermutlich hänge das zuletzt aber auch mit dem Wahlsieg Trumps und dem Auseinanderbrechen der Ampel zusammen, aber genau lasse sich das nicht sagen.
Parteien Hamburg: Polarisierung sorgt für mehr politisches Interesse
So oder so scheint die Polarisierung der politischen Diskussion, die im Übermaß immer auch zu einer Spaltung der Gesellschaften führen kann, auch ihre guten Seiten zu haben: Sie kann zu mehr politischem Engagement der Bürgerinnen und Bürger führen.
Wie viele Menschen ihre Parteibücher zuletzt aus Frust zurückgegeben haben, darüber haben die Parteien jetzt übrigens wenig detaillierte Angaben gemacht. Alle versichern aber, dass es mehr Ein- als Austritte gebe. Überprüfen lässt sich das nicht.