Kiel. Konservative wie linke Politiker kritisieren die Abschiebepolitik Schleswig-Holsteins. Sozialministerin wehrt sich gegen Vorwürfe.
Erst ein Nein zu sicheren Herkunftsländern, in die abgeschoben werden darf, dann ein Ja. Erst ein Nein zu verschärften europäischen Asylregeln, dann ein Ja zu einer Bundesratsinitiative, die „für mehr Sicherheit und für mehr Ordnung bei der Migration“ sorgen soll. Die schleswig-holsteinische Integrationsministerin Aminata Touré steht in der Kritik. Im Abendblatt-Interview erklärt sie den Spagat zwischen Haltung und politischer Verantwortung.
Hamburger Abendblatt: Frau Touré, 48 Prozent der Deutschen halten laut einer Umfrage das Thema Flucht und Zuwanderung für das wichtigste Thema. 73 Prozent sind für dauerhafte Kontrollen an deutschen Grenzen. 72 Prozent sprechen sich für mehr Befugnisse für die Sicherheitsbehörden aus. Was machen diese Zahlen mit Ihnen?
Aminata Touré: So vehement, wie einige Politiker und Politikerinnen über dieses Thema diskutieren, prägen sie die gesellschaftliche Meinung und Haltung dazu. Viele sprechen den ganzen Tag von nichts anderem als Grenzkontrollen, der Begrenzung der Zuwanderung oder illegaler Migration. Damit besetzen sie es vorrangig negativ.
Ist der Vertrauensverlust für die Grünen bei den Landtagswahlen im Osten und in Umfragen gekommen, weil die Wählerinnen und Wähler den Grünen nicht abnehmen, das Problem wirklich lösen zu wollen?
Wir tragen in vielen Ländern sehr erfolgreich die Verantwortung in Regierungen für das Thema. Wir sind in einer absurden Situation. Konservative Kreise werfen uns vor, wir seien nicht restriktiv genug. Linke Kreise kritisieren uns, weil wir angeblich alle Migration verschärfenden Maßnahmen mittragen. Fakt ist, dass wir als Bundes-Grüne das Thema zu lange nicht aktiv aufgegriffen haben.
Warum das?
Wir haben zu lange gedacht, uns damit nur die Finger zu verbrennen. Und so haben wir immer nur auf die politischen Vorschläge anderer Parteien reagiert. Wir haben ein migrationspolitisches Konzept, das von der Ankunft in Deutschland bis zur möglichen Rückführung ins Heimatland alles zusammenbindet. Aber wir haben es nicht geschafft, dieses Konzept zu transportieren.
Wenn Ihre schwarz-grüne Koalition im Bundesrat deutlich härtere Gesetze und Maßnahmen zur Begrenzung der Migration einfordert und Sie sich auf dem grünen Parteitag gleichzeitig gegen weitere Verschärfungen aussprechen, dann streichelt das vielleicht die Seele Ihrer Partei. Aber die Menschen draußen müssen das als Zickzack-Kurs wahrnehmen.
Wir haben gemeinsam mit Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg eine Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht, die im Übrigen viele bereits beschlossene Maßnahmen auf europäischer und Bundesebene enthält. Meine langjährige Migrationspolitik auf diesen einzelnen Bundesratsantrag zu begrenzen, wäre aber zu kurz gesprungen. Es gibt nicht heute die Ministerin Aminata Touré und morgen die Parteitags-Aminata-Touré mit unterschiedlichen Meinungen. Als Ministerin trage ich die politische Verantwortung für das Thema Rückführung genauso wie für das Thema Integration. Und dieser Bandbreite wird der Parteitagsantrag gerecht. Denn wir brauchen Migration und müssen eine vernünftige Migrationspolitik gestalten.
Vor einem Jahr haben Sie persönlich noch gegen die Anerkennung von Moldau und Georgien als sichere Herkunftsländer gerungen, um Abschiebungen dorthin zu verhindern. Jetzt soll die Liste der sicheren Herkunftsländer laut dem schwarz-grünen Beschluss erheblich erweitert werden. Wie wollen Sie das den Wählern erklären?
Das steht nicht in der Bundesratsinitiative. Dennoch: Im November des letzten Jahres hatte ich mich im Vorfeld der Ministerpräsidentenkonferenz klar positioniert und gesagt, dass ich das Instrument der sicheren Herkunftsstaaten für falsch halte. Aber uns Grünen ist es nicht gelungen, diese Verschärfung aufzuhalten. Wir haben in diesem Punkt politisch verloren. Ein Zickzack-Kurs wäre es gewesen, den Beschluss später nicht mehr mitzutragen, dem wir zunächst zugestimmt hatten. Man muss zwei Punkte unterscheiden: die Haltung zu einem Thema und die politische Verantwortung für dessen Umsetzung. Mit einer klaren Haltung gehe ich in politische Verhandlungen, für die werbe ich. Mal gewinne ich, mal verliere ich. Aber wenn ich verliere und die Durchsetzung dann in meinen Verantwortungsbereich fällt, dann mache ich das auch, denn dazu bin ich qua Exekutivamt verpflichtet und halte die Kritik daran aus.
Stichwort Haltung. Zuletzt wurden Flüchtlinge nach Afghanistan abgeschoben, demnächst könnte der nächste Flieger starten. Abschiebungen nach Syrien werden vorbereitet. Halten Sie das für richtig?
Ich kann gesellschaftlich und politisch nachvollziehen, dass gefordert wird, Menschen nach schweren Straftaten wie Mord und Totschlag abzuschieben. Um diesen Personenkreis geht es und gilt es zu unterscheiden von Menschen, die vor Krieg und Terror selbst geflohen sind und hier Schutz suchen.
Sie können es nachvollziehen, aber halten Sie es auch für richtig?
Ja. Genauso habe ich mich politisch schon vergangenes Jahr positioniert.
Es soll zudem Asylverfahren an den Außengrenzen geben und Rücknahmeabkommen mit den Herkunftsländern. Asylsuchende sollen den Schutzstatus verlieren, wenn sie in ihr Heimaltland reisen. Ist das die humane Flüchtlingspolitik, die Sie bei Ihrer Amtsübernahme machen wollten?
Diese Fragen werden nicht auf Landesebene entschieden. Das ist die Konsequenz aus den Verschärfungen aus dem letzten Jahr des „Gemeinsamen Europäischen Asyl-Systems“, kurz GEAS. Ich habe immer wieder auf Bundes- und Landesebene gesagt, dass ich die Maßnahmen wie Asylverfahren an den Außengrenzen für falsch halte. Aber ich habe keine Mehrheit für meine Position gewinnen können. Und so wurden die Maßnahmen in einem demokratischen europäischen Kompromiss beschlossen. Und an den halte ich mich als Ressort-Verantwortliche, die das nun umzusetzen hat.
Schleswig-Holstein hat ein „Vollzugsdefizit bei Rückführungen“. Das heißt bei Abschiebungen, freiwilligen Ausreisen und Überstellungen in zuständige EU-Länder funktioniert es nicht so wie es sollte. Wie wollen Sie dieses „Vollzugsdefizit“ abstellen?
Bundesweit scheitern rund 45 Prozent der Rückführungen an abgesagten Flügen oder fehlenden Rücknahmeabkommen. Oder, weil die Personen untertauchen. Der Bund muss Rücknahmeabkommen abschließen und Charterflüge organisieren. Was wir als Land machen können, diskutieren wir gerade mit den Kommunen. Wir müssen Prozesse vereinfachen und zentralisieren, die jetzt noch bei 15 verschiedenen Ausländerbehörden liegen. Darunter fällt die Rückführung von Menschen, die straffällig geworden sind. Man muss aber auch feststellen, dass die Zahl der Rückführungen gestiegen ist. 2022 waren es rund 750, 2023 dann rund 1000. In diesem Jahr hatten wir diese Größenordnung bereits Ende September erreicht. Wichtig ist für mich, dass dabei auch die Zahl der freiwilligen Ausreisen stetig gestiegen ist. Das zeigt, dass unser Rückkehrmanagement greift.
Blickt man auf die Zahlen, schiebt Hamburg deutlich häufiger ab als Schleswig-Holstein und nutzt auch die sichere Unterbringung in der Abschiebehaftanstalt in Glückstadt konsequenter, um ein Untertauchen der Betroffenen zu verhindern.
Die Frage der Unterbringung in der Abschiebehaftanstalt ist keine politische, sondern eine juristische. Richter entscheiden das, wir steuern das nicht. Die zwangsweise Rückführung über eine Abschiebehaft ist das letzte Mittel. Das beste Instrument ist aber die freiwillige Rückkehr.
Warum sollten Menschen freiwillig ausreisen? Zahlt Schleswig-Holstein Prämien an Menschen, die freiwillig Deutschland verlassen?
Schleswig-Holstein stellt 2025 insgesamt mehr als eine Million Euro für freiwillige Ausreisen zur Verfügung. Wir fördern Beratungsstellen bei uns im Land, die mit Staaten wie Albanien oder dem Kosovo kooperieren. Einige Länder akzeptieren Rückführungen nur, wenn Geld zur Verfügung gestellt wird, sodass keine Obdachlosigkeit entsteht.
Wie haben sich die Zuzugszahlen landesweit entwickelt? Wie viele Menschen haben einen Asylantrag gestellt, wie viele Ukrainer sind neu hier angekommen?
Pro Monat kommen ungefähr 1000 Geflüchtete aus der Ukraine und Asylsuchende aus anderen Ländern zu uns. Das sind rund 20 Prozent weniger als 2023. In den Erstaufnahmeeinrichtungen sind rund 4500 Plätze belegt. Wir kommen mit der Aufnahmesituation insgesamt gut zurecht. Die größere Aufgabe ist aber, die Rahmenbedingungen für gelingende Integration zu schaffen. Dafür haben wir als Land mit den Kommunen drei Vereinbarungen und weitere Absprachen in meiner Amtszeit getroffen, um sie finanziell und strukturell zu unterstützen und nicht alleine zu lassen. Und wir haben eine gemeinsame Integrationsstrategie auf den Weg gebracht.
Was tun Sie als zuständige Ministerin, um diese Menschen in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt zu integrieren?
Das ist mein Hauptfokus in der Migrationspolitik derzeit: Die Menschen, die vor Krieg und Verderben zu uns geflohen sind, schneller Teil der Gesellschaft werden zu lassen. Deshalb haben wir im März in den Erstaufnahmeeinrichtungen zwei Pilotprojekte gestartet. Hier prüfen wir von Tag eins an, was diese Menschen können. Welche Ausbildung sie gemacht haben. Personal der Bundesagentur arbeitet vor Ort mit und sucht nach passenden Jobangeboten oder Praktika. Die Vermittlung findet hier direkt in der Erstaufnahme statt.
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Mit welchem Ergebnis?
Wir haben seit dem Start rund 800 Beratungsgespräche driekt nach der Ankunft geführt. Daraus folgten 300 konkretere Gespräche mit der Bundesagentur. 30 Geflüchteten konnte Arbeit bzw. ein Vorab-Praktikum vermittelt werden. Das ist ein Anfang. Aber natürlich prüfen wir bereits, wie es noch besser geht. Und man muss bedenken: Es dauert sonst im Schnitt fünf Jahre, bis Menschen in Arbeit gebracht werden. Das liegt auch an den Sprachdefiziten. Deshalb bieten wir als Land – neben den Integrationskursen des Bundes – auch eigene Sprachkurse an. Ganz viele Menschen, die in unseren sieben Landesunterkünften unterkommen, haben keine Perspektive. Wir wollen sie vorbereiten auf das neue Leben und verhindern, dass sie mehrere Jahre ungenutzt verlieren.