Hamburg. Die FDP erhebt Vorwürfe gegen Sozialministerin Aminata Touré und Regierungschef Daniel Günther. Die Zahl der Abschiebungen steigt.

Hamburg ist Schleswig-Holstein um viele Monate voraus. Während die Flüchtlinge in Erstaufnahmeeinrichtungen der Stadt schon seit Mitte Februar die sogenannte Bezahlkarte statt Bargeld für Einkäufe nutzen müssen, ist der Start der „SocialCard“ im Nachbarland nicht vor Ende des Jahres oder Anfang des kommenden zu erwarten. In Hamburg hatte sich die SPD über Bedenken des grünen Koalitionspartners hinweggesetzt und ein Pilotprojekt gestartet, in Schleswig-Holstein entschied sich die CDU mit Blick auf den Widerstand der Grünen hingegen, auf eine bundeseinheitliche Regelung zu warten.

Der FDP-Innenexperte Bernd Buchholz kritisiert allen voran die schleswig-holsteinische Sozialministerin Aminata Touré. Er wirft der Politikerin der Grünen vor, die Einführung auszubremsen. „Wieso die Landesregierung für die Einführung der Bezahlkarte inzwischen sogar auf das erste Quartal 2025 verweist, während in Hamburg die Karte bereits im Einsatz ist, erschließt sich mir nicht“, sagt Buchholz.

Bezahlkarte: Verschleppen Schleswig-Holsteins Grünen die Einführung? Die Vorgeschichte

Monatelang hatten die Regierungspartner in Schleswig-Holstein hinter den Kulissen um die Bezahlkarte gerungen – ohne Erfolg. Wäre es nach den Grünen gegangen, würde es die Karte nie geben. Dann, als sie nicht mehr zu verhindern war, konnten sich CDU und Grüne nicht einigen, wie viel Geld Asylbewerber damit bar abheben dürfen. 50 Euro im Monat, wie von der CDU gewünscht, oder um die 200 Euro, wie von den Grünen gefordert?

Angesichts des grünen Widerstands vertagte die CDU den Konflikt erneut – und wartete auf „Geleitschutz“ durch eine bundeseinheitliche Regelung. Was führende CDU-Politiker damit meinten: Sollten die Grünen die 50-Euro-Regelung auf Bundesebene mitgehen, könnten ihre Parteifreunde auf Landesebene sie kaum noch blockieren. Diesen „Geleitschutz“ hat Daniel Günthers CDU seit April. Die Bezahlkarte gibt es trotzdem nicht.

Ein Geflüchteter zeigt – in Baden-Württemberg – eine „Debitcard“.
Ein Geflüchteter zeigt – in Baden-Württemberg – eine „Debitcard“. © dpa | Philipp von Ditfurth

Jetzt verzögern Rechtsstreitigkeiten den Start. Nach Beschwerden unterlegener Unternehmen im Ausschreibungsverfahren liegt das Verfahren bei der Vergabekammer Baden-Württemberg, informierte Dataport kürzlich. Die Hamburger Firma war von allen Ländern außer Bayern und Mecklenburg-Vorpommern mit der Ausschreibung beauftragt worden.

Wer aber glaubt, dass Schleswig-Holstein die Bezahlkarte einführt, unmittelbar nachdem dieses Vergabeverfahren überprüft ist, irrt. Dann wird das Land dem Anbieter erst einmal mitteilen, wie genau die Karte „ausgestaltet sein soll und welche Leistungen erbracht werden sollen“. Auch liefen noch Gespräche mit den Kommunalen Landesverbänden. Danach erst „kann mit der sukzessiven Umsetzung begonnen werden“, informiert eine Sprecherin des Kieler Sozialministeriums.

Was sich die Politik von der Bezahlkarte verspricht

Mit der Karte will die Politik Überweisungen ins Ausland – zum Beispiel an die Familie im Heimatland oder an Schleuser – verhindern. Denselben Grund hat das Limit von 50 Euro Barabhebung im Monat. Ziel ist, den Anreiz für irreguläre Migration zu senken.

Das könnte funktionieren. So berichtete der Landkreistag vom Wegzug aus thüringischen Kreisen, in denen es die Karte schon gibt. „Die flächendeckende Einführung der Bezahlkarte ist ein wichtiges Signal, um Fluchtanreize und Flüchtlingszahlen zu reduzieren“, sagte der schleswig-holsteinische CDU-Fraktionschef Tobias Koch. Der grünen Integrationsministerin nimmt hingegen das „Thema Bezahlkarte in der politischen Debatte um die Integration der Flüchtlinge einen viel zu großen Raum ein“. Das sagte Aminata Touré dem Abendblatt im Frühjahr. Die Grünen halten die Bezahlkarte weder für das richtige Instrument noch das drängendste Problem.

Die Karte soll nur im Inland funktionieren, Überweisungen von Karte zu Karte werden genauso verboten wie Überweisungen ins Ausland, Onlineeinkäufe sind tabu, bei Missbrauch kann die Karte leicht gesperrt werden, bar gibt es monatlich nur 50 Euro, pro Kind sind weitere 10 Euro in bar möglich. Schleswig-Holstein will die Karte an rund 21.500 Frauen und Männer ausgeben. Flüchtlinge aus der Ukraine sind nicht darunter, sie erhalten weiterhin Bürgergeld.

Hamburg hat schon mehr als 1100 Karten ausgegeben

Hamburg hat seit Mitte Februar mehr als 1100 Bezahlkarten an Asylbewerber ausgegeben. Jeder Erwachsene erhält eine monatliche Gutschrift von 185 Euro, mit der er Dinge des täglichen Bedarfs kaufen kann. Für Kritiker wie die Linke in Hamburg ist die Bezahlkarte „reine Repression“.

Bernd Buchholz, der FDP-Innenexperte, sieht die Verantwortung für den wenig ambitionierten schleswig-holsteinischen Zeitplan aber nicht nur bei der grünen Sozialministerin, sondern auch bei Regierungschef Daniel Günther. „Diese Landesregierung fällt dadurch auf, dass der Ministerpräsident auf der bundespolitischen Bühne Dinge fordert, während seine eigene Migrationsministerin in Kiel bei der Umsetzung der MPK-Beschlüsse nicht vorankommt. Einerseits zu bremsen und gleichzeitig volle Fahrt zu brüllen, passt nicht zusammen“, sagt Buchholz.

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Dem FDP-Abgeordneten fehlt es auch an Tempo bei der Abschiebung abgelehnter Asylbewerber. „Es fehlt bis heute ein Rückkehrmanagement“, kritisiert Buchholz. Schleswig-Holstein hinkt nicht nur bei der Bezahlkarte, sondern auch bei den Abschiebungen Hamburg hinterher, wenngleich die Zahlen steigen. Im Juni sind 60 Asylsuchende freiwillig wieder aus Schleswig-Holstein ausgereist, 31 wurden abgeschoben.

Im ersten Halbjahr 2024 hat Schleswig-Holstein damit bereits 156 Menschen gegen ihren Willen in ihre Heimatländer zurückgeschickt. Zum Vergleich: Im gesamten vergangenen Jahr waren es 199. Die meisten neuen Flüchtlinge – im Juni waren es, ohne Ukrainer mitzuzählen, 462 – sind Syrer, Afghanen und Jemeniten. Die Zahl der Neuankömmlinge ist gegenüber Juni 2023 deutlich um rund ein Drittel gesunken.