Hamburg. Beim Banküberfall schoss der 70-Jährige einem Mann in den Bauch. Nun leistet sich der Angeklagte einen irren Auftritt vor Gericht.

Ein Millimeter. So knapp ist Lars K. am Tod vorbei geschrammt. So knapp verfehlte eine Kugel seine Bauchschlagader. Der Bankmitarbeiter weiß, wie viel Glück er gehabt hat, dass er diesen Schuss überlebte, mit dem ein Bankräuber seinen Unterbauch traf. Doch warum wurde überhaupt auf ihn geschossen? „Das ist die einzige Frage, die ich an den Täter habe“, sagt der 48-Jährige. Eigentlich, meint der Zeuge, habe der Verbrecher doch schon sein Geld bekommen, seien seine Forderungen erfüllt gewesen. Über den Schuss auf sich sagt der Zeuge: „Das war der Abschiedsgruß.“

Zweieinhalb Jahre liegt der Banküberfall nun zurück, bei dem Lars K. lebensbedrohlich verletzt wurde. Am 12. Januar 2017 hatte ein maskierter Mann die Filiale der Hamburger Sparkasse an der Holstenstraße überfallen. Zwei Jahre später war der Verdächtige Michael J. gefasst worden, ein mehrfach vorbestrafter 70-Jähriger, dem nun wegen dieser Tat im Prozess vor dem Schwurgericht unter anderem versuchter Mord und räuberische Erpressung vorgeworfen wird.

"Donnerstagsräuber" erbeutete 25.000 Euro

Zudem hat der Angeklagte laut Staatsanwaltschaft zwei weitere Überfälle auf Geldhäuser begangen, einen bereits im Jahr 2011, den anderen zu Beginn dieses Jahres. Da war Michael J. beim Verlassen der Bank festgenommen worden. Wegen seiner Eigenart, stets am selben Wochentag zuzuschlagen, wurde der Täter in der Öffentlichkeit als „Donnerstagsräuber“ bekannt. Insgesamt sind bei den Überfällen laut Anklage knapp 25.000 Euro erbeutet worden.

Aufmerksam fixiert der Angeklagte den Zeugen. Michael J., ein Mann mit Sakko, Krawatte und Fönfrisur, wirkt wie zum Sprung bereit, kritisch, zweifelnd, vor allem ungeduldig. Ausschweifend hat er am Morgen dieses vierten Verhandlungstags dargelegt, wie er den Überfall vom Januar 2017 „generalstabsmäßig geplant“ habe, so wie er stets alle seine Verbrechen bis ins Detail vorbereite.

Er habe in der Bank mit seiner Waffe „ein Drohpotenzial einsetzen“ wollen. „Und ich war schaurig maskiert.“ Er habe deutlich gemacht, dass keiner den Alarmknopf drücken dürfe, „sonst erschieße ich euch“. Ein Kassierer, der ihm das Geld habe herausgeben sollen, habe ihn „provoziert“, weil er zunächst nur kleine Scheine und diese sehr langsam herausgegeben habe. „Er wollte Zeit schinden, damit ich in flagranti erwischt werde.“

Räuber: "Ich hatte eine wahnsinnige Wut"

Er sei deswegen „verärgert“ gewesen, fährt Michael J. fort, die Worte überschlagen sich fast, und es hält ihn nun nicht mehr auf dem Stuhl. Er habe gedroht, wenn der Kassierer sich weiter verweigere und nicht endlich weiteres Geld herausgebe, „dann schieße ich auf deinen Kollegen. Dann habe ich geschossen. Nicht gezielt, sondern einfach so in die Richtung. Ich hatte eine wahnsinnige Wut.“ Allerdings sei er „richtig verdutzt“ gewesen, dass die Waffe losging. „Dass sich jemand verletzt, das hatte ich nicht in meinem Kopf.“

In der Situation des Schusses habe er sich „genötigt“ gefühlt, eine Kugel als Drohung abzufeuern. „Wenn der meinen Anweisungen gefolgt wäre, wäre das gar nicht nötig gewesen. Den Vorwurf eines versuchten Tötungsdeliktes halte ich für absurd.“ Wenn er einen Tötungsvorsatz gehabt hätte, so Michael J., „würde ich das sofort sagen. Ich komme hier sowieso nicht mehr raus.“ Er habe „von vornherein nicht in einer Bank schießen“ wollen, „schon gar nicht auf Menschen, weil ich weiß, was dann für eine Fahndung losgeht.“ Die Vorsitzende Richterin wirft ein, dass es ja vielleicht auch ein nachvollziehbarer Grund wäre, nicht zu schießen, „damit kein Mensch verletzt wird“. Doch Michael J. winkt ab und bescheidet der Richterin: „Sie können nicht so denken wie ein Räuber. Ihnen fehlt es an kognitivem Denken.“

Bankangestellter: "Er hat einfach abgedrückt"

Für Bankmitarbeiter Lars K. war es bereits der vierte Banküberfall, den er miterlebt hat. Aber noch nie zuvor war er verletzt. Bereits zwei Wochen, nachdem er die Kugel abbekommen und nur haarscharf mit dem Leben davongekommen ist, saß der 48-Jährige bereits wieder am Schalter. Der Bankräuber habe damals mit einer Waffe gedroht und „mit Nachdruck Geld gefordert“, schildert der Zeuge.

Sein Kollege habe daraufhin dem Täter Scheine ausgehändigt. Einige seien heruntergefallen, der Bankräuber habe sich gebückt, um sie aufzuheben. Dann habe der Pistolenmann die Waffe hochgenommen. „Für mich sah es so aus, dass er die Waffe gezielt auf mich gerichtet hat. Das war eine bewusste Bewegung in meine Richtung. Ich stand da, er stand da. Er hat einfach abgedrückt.“ Dass der Angeklagte sich durch die Bankangestellten provoziert gefühlt haben könne, könne er nicht nachvollziehen, sagt der Zeuge. „Das Geld wurde ausgehändigt.“

Schütze zu Opfer: "Bauchschuss hätten Sie verhindern können"

Michael J. hat noch Fragen. „Natürlich“ habe er die, prescht der Angeklagte vor. Doch eigentlich sind es eher Vorhaltungen, die der 70-Jährige vorbringt. „Sie sind der Forderung, die ich mit Waffengewalt gemacht habe, überhaupt nicht nachgekommen“, wirft der Angeklagte dem Zeugen vor. „Sind Sie sich bewusst, dass ich alles verhindert hätte, auch den Schuss, wenn Sie meiner Forderung nachgekommen wären?“ Die Vorsitzende Richterin greift ein. „Diese Frage lasse ich nicht zu“, entscheidet sie. Zum Abschluss wolle er dem Zeugen noch etwas sagen, kündigt Michael J. an. Bei anderen Angeklagten, so hört man es oft in Prozessen, ist dies häufig die Ankündigung, sich bei einem Opfer entschuldigen zu wollen. Nicht so bei Michael J. „Ich finde es schlimm und entsetzlich, einen Bauchschuss zu bekommen. Aber gleichwohl hätten Sie es verhindern können.“ Die Vorsitzende reagiert entschieden: „Das muss ein Opfer sich nicht anhören.“

Ein anderer Bankmitarbeiter war nach dem Überfall für fünf Wochen krankgeschrieben. „Er hatte eine Pistole und forderte Geld. Das hat er auch bekommen. Aber etwas ist runtergefallen“, erzählt der mittlerweile pensionierte 63-Jährige. Der Täter habe sich gebückt, die Scheine aufgehoben und sei wieder hochgekommen. „Dann hat er auf den Kollegen gezielt und den Schuss abgegeben.“ Möglicherweise habe der Bankräuber auch noch weiteres Geld bekommen, nachdem er die Kugel abgefeuert hat, überlegt der Zeuge. So genau wisse er das nicht mehr. „Aber warum hat er geschossen? Ich begreife nicht, wie man so was machen kann.“