Hamburg. Jahrestag des Angriffs der Hamas auf Israel. Auch in der Hansestadt sind die Folgen zu spüren. Was Juden in Hamburg erleben.

  • Bedrohungslage führt zur Verdrängung von Juden.
  • Juden werden in ihrer Bekenntnisfreiheit und Meinungsfreiheit eingeschränkt.
  • Es ist „noch schwieriger geworden“, sich öffentlich zu zeigen.

Der Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hat das gesellschaftliche Leben verändert – auch in Hamburg. Das Leben der Juden in der Hansestadt sei eingeschränkter als zuvor, sagte Philipp Stricharz, 1. Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Hamburg, anlässlich des Jahrestages 7. Oktober. Es sei seit dem Angriff der Hamas auf Israel „noch schwieriger“, so Stricharz, als Jude erkennbar im öffentlichen Raum unterwegs zu sein. Zudem seien Juden noch mehr in der Ausübung ihrer Grundfreiheiten wie Bekenntnisfreiheit und Meinungsfreiheit behindert. „Für die jüdische Community ist es noch schwieriger geworden, sich öffentlich zu zeigen.“

Vor einem Jahr waren Terroristen der Hamas auf israelisches Staatsgebiet eingedrungen und hatten rund 1200 Menschen, darunter auch Kinder, ermordet sowie Hunderte Menschen verschleppt. Seitdem seien Sicherheitserwägungen der jüdischen Mitbürger in Hamburg gezwungenermaßen „immer auf höchstem Niveau“. Selbst jüdische Kinder erlebten, etwa in Hamburger Schulen, dass man sie verantwortlich für die Politik der Regierung Netanjahus mache. Diese, so die Meinung von Kritikern, habe den Konflikt mit Bombenangriffen der Israelis auf den Gazastreifen und Ziele im Libanon eskaliert. Inzwischen sei „Zionist als Schimpfwort gang und gäbe geworden“, erklärt Stricharz. Zudem beschäftige sich „niemand ernstlich damit, wie man die Sicherheit von Jüdinnen und Juden verbessern kann“.

Dramatisch: Straftaten gegen Juden haben sich verdoppelt

„Jüdisches Leben ist in der Stadt fast schon unsichtbar“, fasste der Hamburger Antisemitismusbeauftrage Stefan Hensel die Auswirkungen des Terroraktes vom 7. Oktober auf Hamburg zusammen. „Die extreme Bedrohungslage führt zu einer Verdrängung von Jüdinnen und Juden ins Private. Wann sieht man Menschen mit einer Kippa?“ Sogar Kinder seien von den Einschränkungen betroffen. Denn ihnen werde aus Sicherheitsgründen von den Eltern und Großeltern eingeschärft, dass sie in der Schule „auf keinen Fall“ sagen sollten, dass sie Juden sind.

Dass jüdisches Leben aus dem Stadtbild verdrängt worden sei, sei auch einer der Gründe dafür, „warum die Antisemitismuszahlen so vergleichsweise niedrig ausfallen, obwohl sie so drastisch gestiegen sind“, sagte Hensel. „Jüdinnen und Juden werden gezwungen, unsichtbar zu sein.“ Tatsächlich habe sich die Zahl antisemitischer Straftaten bundesweit im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt, erklärte der Antisemitismusbeauftragte.

In Hamburg seien die Auswirkungen ähnlich. Juden würden die gesamte Palette von gegen sie gerichtete Straftaten auch in der Hansestadt erleben. Unterdessen fehle es bislang bei der Gesamtbevölkerung der Stadt an Sensibilität, „dass wir ein Problem haben“. Jeder einzelne Fall von Antisemitismus schädige die Community insgesamt. „Es ist das Grundgefühl, das in Deutschland existiert, dass man kein gleichberechtigter Bürger dieses Landes ist“, sagte Hensel.

Warnung: Jüdisches Leben wird ins Private verdrängt

Seit dem Angriff der Hamas vom 7. Oktober fänden auch an der Universität Hamburg Veranstaltungen statt, die anti-israelisch seien, sagte Rebecca Vaneeva, Vorsitzende des Verbands Jüdischer Studierender Nord. „Israel-solidarische Studierende fühlen sich unsicher.“ Unter anderem auch in Chats oder in Form von Stickern, die verteilt würden, gebe es Israel-bezogenen Antisemitismus. Zudem komme es vor, dass Bilder, die von der Hamas entführte, jüdische Geiseln zeigen, zerrissen würden.

„Jüdische Studierende fühlen sich allein gelassen“, mahnte Vaneeva. Es gebe unter ihnen ein Gefühl der Angst und der Verunsicherung. „Es kann nicht sein, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Jüdinnen und Juden Angst haben, auf den Campus zu gehen.“ Vaneeva zitierte Studenten, die schilderten, wie sie ihre Situation an der Universität wahrnähmen. „Bis zum 7. Oktober habe ich gern über meine Herkunft gesprochen“, habe beispielsweise ein Studierender erzählt. Jetzt tue er das nicht mehr – „zu meinem Selbstschutz“.

Versprechen: „Stehen fest an der Seite der Jüdinnen und Juden“

Ein anderer sagte, jüdische Studierende erlebten immer wieder Hetze und würden damit allein gelassen. „In Deutschland ist jüdisch zu sein unheimlich schwer“, war eine weitere Aussage, die Vaneeva zitierte. Ein weiterer Studierender habe die „Kälte“ erwähnt, mit dem ihm begegnet werde. Diese sei „schockierender als offener Antisemitismus“. Vaneeva sprach von „höchst alarmierenden Statements“.

Unterdessen hat Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) anlässlich des Jahrestages des Angriffs der Hamas auf Israel am 7. Oktober betont, dass Hamburg „fest an der Seite der Jüdinnen und Juden in unserer Stadt“ stehe. „Wir schützen und stärken das jüdische Leben als einen wichtigen Teil unserer Stadtgesellschaft“, sagte Tschentscher.

Tschentscher: „Wir trauern mit den Familien und hoffen auf Freilassung der Geiseln“

Der Bürgermeister erinnerte daran, dass vor einem Jahr „Terroristen der Hamas über 1000 israelische Bürgerinnen und Bürger auf grausame Weise ermordet und Hunderte weitere Personen verschleppt“ hätten. „Viele der Geiseln sind noch immer in der Hand der Terroristen. Mit ihrem brutalen Angriff auf Israel hat die Hamas eine Eskalation der Gewalt in Nahost ausgelöst, die zu zahlreichen weiteren Opfern, zu massiver Zerstörung und großem Leid in der gesamten Region geführt hat.“

Die internationale Staatengemeinschaft müsse sich „konsequent für einen Waffenstillstand einsetzen, die Zivilbevölkerung schützen und eine Lösung finden, die die Existenz Israels und Palästinas gewährleistet und den Menschen in Nahost ein Leben in Sicherheit und Frieden ermöglicht“, forderte Tschentscher.

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Auch in Hamburg werde der Opfer des Angriffs der Hamas gedacht, betonte Tschentscher. „Wir trauern mit ihren Familien, Angehörigen und Freunden und hoffen weiterhin auf die Freilassung aller Geiseln.“ Die Hamburger Sicherheitsbehörden würden konsequent gegen antisemitische und islamistische Aktivitäten vorgehen, so der Bürgermeister weiter. „Die Hamburger Religionsgemeinschaften wenden sich gemeinsam gegen jede Form von Diskriminierung, Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus.“ Tschentscher wird am 7. Oktober an einer Gedenkveranstaltung in der Synagoge Hohe Weide teilnehmen. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz hat sein Kommen angekündigt.