Hamburg. Stadt verzichtet in diesem Jahr schon auf viel höhere Summe als in ganz 2023. Viel davon ist Erbschaftssteuer. Linke: Das Geld fehlt.

Das dürfte eine neue Rekordsumme sein: Bis Ende August 2024 hat Hamburg bereits auf 654 Millionen Euro an Steuern verzichtet, die der Stadt eigentlich zuständen. Das geht aus der Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bürgerschaftsfraktion hervor.

Hintergrund: Nach der geltenden Rechtslage kann der Staat, in diesem Fall die Stadt, Steuern aus „Billigkeitsgründen“ ganz oder teilweise erlassen, wenn die Eintreibung eine besondere Härte für den Steuerpflichtigen bedeuten würde. Zudem können Steueransprüche „niedergeschlagen werden“, wenn klar ist, dass das Eintreiben der Steuern ohnedies nicht gelingen wird, oder wenn die Kosten der Einziehung in keinem Verhältnis zum Steuerbetrag stehen.

Erbschaftssteuer Hamburg: Erlassene Summe stark angestiegen

Laut Angaben des Senats haben Hamburgs Finanzämter in diesem Jahr bis Ende August bereits aus Billigkeitsgründen Steuern in Höhe von 173.310.000 Euro erlassen. Der mit Abstand größte Teil davon stammt aus dem Erlass von Erbschaftssteuern von insgesamt mehr als 148 Millionen Euro. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2023 erließ Hamburg Erbschaftssteuern lediglich in einer Höhe von rund 17 Millionen Euro. Allerdings: Im Jahr 2022 wurden sogar mehr als 248 Millionen Euro an Erbschaftssteuern erlassen.

Niedergeschlagen wurden im laufenden Jahr bis 31. August dazu Forderungen von 480.758.000 Euro. Die größten Anteile daran hatten der Verzicht auf Umsatz-, Körperschafts- und Gewerbesteuer. Damit beläuft sich der gesamte Verzicht der Stadt mit Stand Ende August in diesem Jahr bereits auf 654.068.000 Euro. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2023 lag diese Summe etwas unter 278 Millionen Euro. In keinem Jahr seit 2020 wurde bisher auf mehr als 440 Millionen Euro verzichtet.

Steuern Hamburg: „Es gibt Rekorde, auf die kann man nicht stolz sein“

„Es gibt Rekorde, auf die unsere Stadt nicht stolz sein sollte“, sagte Linken-Haushaltspolitiker David Stoop angesichts dieser Zahlen. „Und dieser neue Rekordwert an nicht eingetriebenen Steuern gehört ganz sicher dazu. Das Geld fehlt der Stadt dauerhaft zur Finanzierung der öffentlichen sozialen Infrastruktur wie beispielsweise der Ausstattung der Schulen und Kitas, der Sanierung von Brücken oder der Ausfinanzierung der Kinder- und Jugendarbeit.“

Sitzung der Hamburgischen Bürgerschaft
Linke-Haushaltspolitiker David Stoop, hier in Aktion am Rednerpult der Bürgerschaft, kritisiert den Rekordverzicht bei Steuern, besonders den bei der Erbschaftssteuer. © DPA Images | Georg Wendt

Vor allem auf die hohe Summe der erlassenen Erbschaftssteuern werfen die Linken einen kritischen Blick. „Wer ein großes Erbe oder eine Schenkung erhält, sollte doch wohl in der Lage sein, davon Steuern zu bezahlen – natürlich unter Berücksichtigung der ja schon hohen Freibeträge für Betriebsvermögen oder innerfamiliäre Erbschaften sowie der selbst genutzten Wohnimmobilie“, so Linken-Politiker Stoop.

Linke findet Verzicht auf Unternehmenssteuern problematisch

Doch auch die niedergeschlagenen Körperschaftsteuern, die zur Hälfte Hamburg zustünden, sowie die Gewerbesteuern, die vollständig Hamburg zufallen würden, hätten neue Höchstwerte mit mehr als 248 Millionen Euro erreicht, so Stoop. Damit habe sich der Wert gegenüber dem Vorjahr bereits zum Stand August verfünffacht.

„Da diese Steuern auf den Gewinn von Unternehmen gezahlt werden und nicht auf die Substanz, ist höchst fraglich, ob der Senatsverweis auf nicht mehr betreibbare Forderungen aus Corona-Maßnahmen berechtigt ist“, sagte der Linken-Bürgerschaftsabgeordnete. „Wer Gewinne macht, kann auch Steuern zahlen. Der Senat muss dringend erklären, warum Steuern erlassen oder niedergeschlagen wurden.“

Finanzsenator Dressel versucht die hohen Ausfälle zu erklären

Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) lieferte auf Abendblatt-Anfrage denn auch gleich eine Erklärung – und verwies vor allem auf zwei Faktoren, die für die hohen Summen verantwortlich seien. Zum einen gebe es noch Nachwirkungen der Corona-Pandemie, die sich hier auswirkten. Zum anderen habe ein einziger Insolvenzfall schon zu einem Ausfall von gut 200 Millionen Euro geführt.

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„Mitnichten lassen wir uns Steuern entgehen“, sagte Dressel dem Abendblatt. „Wenn plötzlich 200 Millionen Euro Steuergeld aus einem einzigen Insolvenzfall wegfallen, dann lässt sich das schwerlich der Finanzverwaltung zum Vorwurf machen.“ Hamburgs Steuerverwaltung arbeite effizient und streng nach den steuergesetzlichen Bestimmungen. „Dies gilt – auch hier sind es oft wenige Einzelfälle mit großen Effekten – ebenfalls bei der Erbschaftssteuer.“

Gründe für Steuerausfall: Corona, Ukrainekrieg, Inflation und schwache Konjunktur

Insgesamt seien „bei den rückständigen Beträgen auch heute noch die Nachwirkungen der Corona-Pandemie zu spüren“, so Dressel. „Denn die seinerzeit großzügig gestundeten Beträge müssen selbstverständlich nach Auslaufen der Stundungen gezahlt werden und das neben den laufend zu entrichtenden und gegebenenfalls neu hinzukommenden Steuerbeträgen.“

Der Ukrainekrieg, die Inflation und die „konjunkturelle Schwäche“ hätten die Situation in den letzten Jahren zusätzlich belastet, „sodass entsprechende Zuwächse, ausgehend von einem nach Corona ohnehin schon sehr hohen Niveau, nicht verwunderlich sind“. 

„Die Erlasse im Bereich der Erbschaftsteuer sind auch uns ein Dorn im Auge“, so Dressel. „Niemand darf sich da auf null runterrechnen, das muss aus Gründen der Steuergerechtigkeit geändert werden. Dafür setzen wir uns auf Bundesebene ein.“