Hamburg. Senat legt Daten vor und warnt vor allem vor zwei Gruppen. Präventionsmaßnahmen stark ausgebaut. Zahl der Islamisten steigt trotzdem.

Die Zahl der Islamisten in Hamburg ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen, daran konnten auch zahlreiche Programme zur Eindämmung dieser demokratiefeindlichen Strömung des Islam nichts ändern. Das muss der Senat auch in einer großen Berichtsdrucksache zum Thema Islamismus einräumen, die er jetzt beschließen will und die dem Abendblatt vorliegt. Darin wird die Entwicklung des Islamismus in Hamburg in den vergangenen Jahren detailliert dargelegt und der Senat benennt die sehr vielen unterschiedlichen Präventionsmaßnahmen der Stadt, mit denen die Radikalisierung eingedämmt werden soll.

Laut der Senatsdrucksache gab es im vergangenen Jahr 1840 Islamisten in Hamburg, im Jahr 2014 waren es noch 955. Seither hat sich die Zahl der Islamisten, für die islamische Gebote einen Absolutheitsanspruch auch gegenüber weltlichen Regeln wie der Verfassung und den Gesetzen haben, kontinuierlich erhöht. Verschärft hat sich die Situation laut Senat noch einmal durch den brutalen Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und den nachfolgenden Angriff Israels auf Gaza.

Islamismus Hamburg: Situation hat sich durch Hamas-Überfall und Gaza-Krieg verschärft

„Der 7. Oktober 2023 machte, ebenso wie zahlreiche Anschläge weltweit, deutlich, wie hoch die Bedrohungslage durch dschihadistischen bzw. islamistisch-extremistischen Terrorismus international und national ist“, schreibt der Senat in der Drucksache. Allerdings war die Lage auch vorher schon angespannt. „Auch in Hamburg ist das Sicherheitsrisiko nach wie vor hoch“, so der Senat. „Dieses zeigte sich im Frühjahr 2023, als zwei syrische Brüder, einer davon wohnte in Hamburg, ein Sprengstoffattentat in Schweden planten, das durch die Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden verhindert wurde.“

Nach dem Angriff der Hamas auf Israel sei es auch in Hamburg „zu antiisraelischen und antisemitischen Reaktionen“ gekommen. „In Hamburg wurden diese im Oktober und Dezember 2023 – ebenso wie im Frühjahr 2024 – besonders bei den Demonstrationen der Gruppierung Muslim Interaktiv sichtbar.“ Die Gruppe hat bei Kundgebungen für die Einführung eines Kalifats, also eines islamischen Gottesstaates, in Deutschland demonstriert.

Hohe Bedrohungslage in Hamburg durch Gruppen und mögliche Einzeltäter

In der aktuellen Lage sei Hamburg „weiterhin mit einem hohen Bedrohungspotenzial konfrontiert“, so die Senatsdrucksache weiter. „Die aktuellen Entwicklungen im Nahostkonflikt haben nicht nur zu einer Zunahme antisemitischer Straftaten geführt, sondern befördern auch antimuslimischen Rassismus. Zusätzlich ist eine Zunahme von vor allem digitalen Mobilisierungs- und Radikalisierungsprozessen zu beobachten. Eine zusätzliche Herausforderung ist der Umgang mit Täterinnen und Tätern, die nicht in festen Gruppen organisiert sind und deren Auftreten psychische Auffälligkeiten aufweist.“

Nachdem die Zahl der Menschen, die der ultrakonservativen islamistischen Strömung des Salafismus angehören, zuletzt in Hamburg gesunken war, registrieren die Sicherheitsbehörden seit Ende des Jahres 2022 „eine Zunahme salafistischer Missionierungsarbeit“. Seit Juli 2023 träfen sich Angehörige des salafistischen Spektrums regelmäßig in einem Objekt in St. Georg, dem Al-Azhari-Institut. Dort gebe es Vernetzungstreffen, Vorträge und Seminare, an denen auch prominente salafistische Gastprediger aus anderen Bundesländern teilgenommen hätten.

Die Gruppen Muslim Interaktiv und Hizb ut-Tahrir gewinnen mehr Anhänger

„Parallel dazu haben andere islamistische Gruppierungen ihre Anhängerzahlen steigern können und profitierten weiterhin von der Lücke, die durch die Niederlage des sogenannten Islamischen Staates (IS) in Syrien/Irak und die rückgängigen Öffentlichkeitsaktivitäten von salafistischen Gruppen entstanden ist.“ Vor allem die radikale Gruppe Hizb ut-Tahrir (HuT) habe die Zahl ihrer Anhänger und Mitglieder steigern können. Sie wuchs von 340 in im Jahr 2021 auf 410 im vergangenen Jahr.

Angesichts dieser bedrohlichen Entwicklung hat die Stadt in den vergangenen Jahren auch ihre Präventionsmaßnahmen massiv ausgebaut, ist aber auch repressiv gegen einzelne Akteure vorgegangen. „Repressive Maßnahmen wurden dabei insbesondere auch gegen Muslim Interaktiv ergriffen: Im Zeitraum von Oktober 2023 bis Mai 2024 wurden durch die Staatsschutzabteilung LKA 7 gegen die Gruppierung fünf Ermittlungsverfahren wegen unterschiedlicher Delikte eingeleitet“, heißt es in der Senatsdrucksache. Dabei sei es um „mehrere Posts im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt in sozialen Netzwerken“, um Verstöße gegen Versammlungsrecht und Volksverhetzung gegangen. Insgesamt habe es zwischen 3. November 2023 und 27. Juni 2024 zehn Durchsuchungen bei der Gruppe gegeben.

Islamismus Hamburg: So versucht die Stadt der Ausbreitung entgegenzuwirken

Neben den organisierten Islamisten machen den Sicherheitsbehörden aber auch Täterinnen und Täter Sorgen, „die nicht in festen Gruppen organisiert sind und deren Auftreten psychische Auffälligkeiten aufweist“. Hier kann es auch zu einer Radikalisierung ausschließlich über das Internet kommen.

In der Drucksache legt der Senat detailliert dar, wie die Stadt in den unterschiedlichsten Bereichen versucht, den Islamismus und die Radikalisierung junger Menschen einzudämmen. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Beratungsstelle Legato, die Angehörige von Menschen berät, die eine gewaltorientierte extremistische Religionsauslegung vertreten „oder sich einem Milieu zugehörig fühlen, in dem eine solche Religionsauslegung dominiert“, wie Legato auf seiner Webseite schreibt. „Zudem richtet sich unser Angebot auch direkt an Menschen, die sich von einer Gruppe, die eine gewaltorientierte extremistische Religionsauslegung vertritt, distanzieren wollen. Weiterhin bieten wir Beratung und Informationsveranstaltungen für Fachkräfte an.“

Islamismus Hamburg: Viele junge Muslime befinden sich in einer Krisensituation

Insgesamt zählt der Senat in der mehr als 80 Seiten umfassenden Berichtsdrucksache 18 Wege auf, in denen er in allen Bereichen der Gesellschaft versucht, einer Radikalisierung entgegenzusteuern, etwa auch in Schulen, Gefängnissen oder bei der Arbeit mit Geflüchteten. Dazu zählen die Qualifizierung von Fachpersonal, die bessere Zusammenarbeit von Behörden, der Schutz von durch religiöse Radikalisierung betroffenen Kindern, der gezielte Umgang mit Rückkehrern aus Kriegsgebieten, aber auch einer verstärkten Präsenz der Behörden in einschlägigen Internetforen. Zudem setzt der Senat auf eine Stärkung der Religionsgemeinschaft und eine gute Zusammenarbeit mit den islamischen Verbänden, die selbst in die Präventionsarbeit gegen Radikalisierung eingebunden sind.

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Für die Zukunft sieht die Sozialbehörde, die die Drucksache federführend verfasst hat, „die Herausforderung unter anderem darin, die Krisensituationen, die (junge) Musliminnen und Muslime in Deutschland erleben, professionell zu thematisieren und zu begleiten, um zu verhindern, dass Gruppierungen wie Muslim Interaktiv, Generation Islam und Realität Islam die Bildungs-, Jugend- und Sozialarbeit für sich vereinnahmen“.

Islamismus Hamburg: Fokus der Prävention muss sich noch stärker aufs Internet richten

Deren „selbst produzierte Videos verbreiten eine Scheinrealität in unterschiedlichen Social-Media-Kanälen, in der eine extremistische muslimische Identität gepredigt wird“, so der Senat. „Diese konstruierten Identitätsgeflechte gilt es künftig aufzubrechen und zu zeigen, dass verfassungsfeindliche Aktivitäten in unserer Gesellschaft ebenso wenig mitgetragen werden wie antimuslimischer Rassismus.“ Dabei sei es wichtig, „die Radikalisierungsprävention im Internet weiter in den Fokus“ zu rücken.