Hamburg. Kennt sich mit Social Media (180.000 Insta-Follower) aus: Psychologin Claudia Schwarzlmüller aus Hamburg schrieb jüngst ein Buch für Eltern. Aus Kindersicht.
- Eltern ist oftmals nicht klar, dass es ein Grundverständnis für das Leben mit Kindern braucht
- Es geht um Folge- und Leitmomente zwischen Kindern und Eltern
- Warum der Job des Apfelsaft-Managers für mehr Teamgeist im Familienhaushalt beitragen kann
Wenn man Claudia Schwarzlmüller zuhört, macht plötzlich alles wieder Sinn. Auch wenn man vorher nicht dachte, dass man die Ausbrüche des eigenen Kindes jemals verstehen würde. Oder dass man logisch nachvollziehen könnte, warum es schreiend auf dem Boden rollt, muffig in einer Ecke hockt oder alternativ laut weinend die Nachbarschaft aufmischt. „Eltern machen sich das Leben so schwer“, sagt Schwarzlmüller mit Blick auf die heutige Art und Weise der Kindererziehung, deren Unterbau oftmals von mannigfaltigen Ratgebern, Seminaren und Coachings geprägt ist. Dabei klingt die Psychologin aus Hamburg total zugewandt, und ein wenig Mitgefühl schwingt in ihrer Stimme mit.
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Seit mehr als 20 Jahren gibt sie – mittlerweile auch online – Kurse für Eltern, Pädagogen und Erzieher und war viele Jahre Coach in Kitas in ganz Hamburg. Sie hat ein untrügliches Gefühl dafür, was Eltern aktuell bewegt. „Da ist ganz viel Unsicherheit, und es wird den Eltern gerade in den sozialen Medien Angst gemacht“, sagt sie. „Reels mit Titeln wie ‚Durch diese fünf Sätze traumatisierst du dein Kind nachhaltig‘ oder ‚Damit schädigst du die Bindung zu deinem Kind für immer‘ werden leider bestens geklickt, bürden den Eltern aber eine irrsinnige Last auf.“
Autorin aus Hamburg ist sich sicher: „Eltern machen sich das Leben zu schwer“
Wie es besser geht, hat die Hamburgerin in einem Erziehungsratgeber beschrieben, der jüngst zum Bestseller wurde. „Die Kinderdolmetscherin: Was dein Kind fühlt, denkt und wie du damit umgehst“ heißt das Buch, das in diesem Jahr erschien. Erziehung von Kindern, das sei viel leichter, meint Schwarzlmüller mit besonderem Blick auf das Alter von null bis sechs Jahre. Zwar befänden sich die Eltern von heute in einem Spannungsfeld: „Sie wollen nicht mehr autoritär erziehen, wie sie es selbst vielleicht wurden, deshalb entscheiden sie sich für einen bindungsorientierten Erziehungsstil“, so die Diplom-Psychologin.
Was grundsätzlich begrüßenswert sei. Freier, selbstbestimmter, ohne Strafen und Bedingungen, den Bedürfnissen von Kindern (im besten Fall ebenfalls der Eltern) angepasst. Doch warum dann die Wutanfälle und offensichtliche Unzufriedenheit? Warum hört das Kind dennoch nicht?
Schwarzlmüller gluckst, sie freut sich schon, eine Antwort geben zu können: „Weil das Gleichgewicht fehlt“, sagt sie. Und zwar das, was nötig ist für eine gewisse Grundzufriedenheit und Ruhe. Und die resultiere aus dem Grundprinzip, ja, der Formel der Kindererziehung, die seit Jahrzehnten weltweit beobachtet wird. „Die Beziehung zwischen Eltern und Kind besteht aus sogenannten Leitungs- und Folgemomenten, das ist die Basis für den Umgang mit deinem Kind.“ Alle Interaktionen ließen sich in eine der beiden Kategorien einteilen, die Psychologin nennt es einen „sozialen Tanz“. Verteilt über den Tag müsse eine Ausgeglichenheit herrschen, die zur Zufriedenheit beitrage.
Erziehung Hamburg: Warum Eltern unbedingt Reiseleiter von Kindern sein müssen
Deshalb gibt es mit Kindern für Eltern nur eine Frage: „Ist dies ein Folge- oder ein Leitungsmoment?“ Klingt herrlich einfach. Doch was ist nun was, und wer bestimmt, wann welcher Moment ist? Doch kein Kinderspiel? Irgendwie schon, denn schließlich beobachte man dieses schon immer dann, wenn Erwachsene intuitiv und natürlich mit Babys und Kindern umgehen. „In den Folgemomenten folgst du deinem Kind“, sagt die Autorin Schwarzlmüller. „Sie entstehen in Spielsituationen und beim Entdecken, wenn dein Kind sich von Impulsen treiben lässt und du diesen folgst.“
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Beispiel aus dem Buch: „Dein Kleinkind (2) sitzt auf dem Boden. Du sitzt in der Nähe und sortierst vielleicht gerade Socken. Dein Kind wollte dir eine Zeitlang begeistert helfen und hat auch einige Socken sortiert, aber nur für eine sehr kurze Zeit, denn so lange kann es sich in diesem Alter noch nicht konzentrieren. Es folgt jetzt seinem nächsten Impuls und nimmt sich einen roten Baustein aus der Spielzeugkiste. Du schaust hin, lächelst es vielleicht an und sagst freundlich: „Ja, ein roter Baustein.“ Dein Kind setzt ihn vorsichtig auf einen anderen drauf. Du sagst: „Du setzt ihn auf den grünen Baustein.“ Es nimmt einen weiteren Baustein, und du sagst freundlich: „Oh, ein blauer Baustein kommt obendrauf.“ Fertig.
So zeige man seinem Kleinkind, dass es wahrgenommen wird als jemand, der gute Ideen hat, was motivierend ist und einlädt, weitere solcher guten Ideen zu entwickeln. Liebevoll wird so verstärkt, was das Kleine tun soll. Ein gemeinsamer Moment, in dem die Erwachsenen den kindlichen Impulsen gefolgt sind.
„Eltern leiten kein pädagogisches Fachzentrum!“ – Appell der Diplom-Psychologin aus Hamburg
Hingegen geht es bei den Leitungsmomenten darum, dass Eltern ihr Kind führen. Diese Situationen sind dann da, wenn es sowohl ein Ziel als auch eine Reihenfolge gibt: Erst die Sachen in den Einkaufswagen legen, dann bezahlen. Erst die Hände waschen, dann abtrocknen. Erst die Socken, dann die Schuhe anziehen. Andersherum funktioniert es nicht. „Wir Eltern sind da wie eine Reiseleitung, die als Einzige das große Ganze im Blick hat und diesen Weg in Abschnitte unterteilt“, sagt Schwarzlmüller. „Hier geht es hauptsächlich darum, Orientierung und Sicherheit auszustrahlen.“
Das Gleichgewicht zwischen diesen beiden Beziehungssituationen auszutarieren, gelingt sicher nicht immer, aber Konflikte, Probleme, Stimmungen, Stress und Ausnahmegefühle gehören einfach zum Familienalltag. Oder wie die Fachfrau es ausdrückt: „Eltern leiten doch kein pädagogisches Fachzentrum, sondern sie leben mit ihrem Kind oder Kindern in einem Zuhause!“
Kinder helfen zu wenig im Haushalt mit? Wie ein Apfelsaft-Manager das ändern kann
Was als Gedanke für Eltern helfen kann, wenn Kinder dauernörgeln oder auch wütend sind, also eine Unzufriedenheit ausstrahlen: „Meist erlebt das Kind dann zu viele Leitungsmomente“, sagt Schwarzlmüller. „Es war in der Kita, dann Nachmittagsprogramm mit festen Vorgaben und so weiter: Kinder wollen mitmachen, sie wollen ein aktives Mitglied der Familie sein und nicht Empfänger von Dienstleistungen!“
Also: Kind einbinden in den Haushalt, je nach Alter kann es beispielsweise der „Apfelsaft-Manager“ sein. Eine umfassende, ernsthafte Aufgabe mit Verantwortung. Dazu gehörte, den Saft aus dem Keller zu holen, immer dafür zu sorgen, dass genügend Vorrat da sei, Bescheid geben, wenn ein Einkauf nötig wird, diesen mitmachen.
„Oft unterschätzen wir die praktischen Kompetenzen der Kinder und überschätzen ihre geistigen“, sagt Schwarzlmüller noch, die sehr dafür plädiert, sich immer wieder mit dem Kind zu verbünden und zu versuchen, die Welt und die vielen Situationen des Alltags mit dem Blick des Kindes zu analysieren.
170.000 Follower klicken die Videos der Expertin aus Hamburg auf TikTok und Insta
So habe sie es auch selbst gemacht mit ihren beiden Söhnen, die heute schon aus dem Haus sind. „Ohne sie hätte ich übrigens sicher kein Buch geschrieben“, sagt die Autorin und lacht laut. Denn: „Niemand, kein Verlag, würde mich ohne sie kennen.“ Als sie vor einigen Jahren anfing, auf YouTube kleine Videos mit Botschaften für Eltern auszusenden und ihre Jungs um Rat bat, sagten die folgendes: „Mama, sorry, aber ehrlich, deine Videos sind nicht professionell genug für YouTube, geh mal zu TikTok, da kann man das so machen.“ Zugehört, getan: Mehr als 180.000 Follower hat sie hier und auf Instagram unter @kinderdolmetscher mittlerweile, fünf Verlage haben sie gefragt, ob sie nicht ein Buch schreiben möchte.
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Dem Fischer Verlag hat Schwarzlmüller schlussendlich den Zuschlag gegeben und ihren Ratgeber „Die Kinderdolmetscherin. Wie dein Kind fühlt, denkt und wie du damit umgehst“ veröffentlicht. Es zu lesen, ist ein einziger Folgemoment. Dieses Mal für Eltern.