Hamburg. Eine Geburt stellt für das ältere Geschwisterkind einen Einschnitt dar. Was Eltern tun können, damit keine Rivalität aufkommt.
Kain und Abel, Romulus und Remus, Osiris und Seth: Schon die ältesten Erzählungen kennen die Rivalität unter Geschwistern. Es sind Geschichten um Neid und Missgunst, Streit ums Erbe und um die Liebe der Eltern. So eng die Bindungen unter Brüdern und Schwestern sind, so leicht können sich daraus auch Konflikte ergeben. Daran hat sich im Grunde bis heute nicht viel geändert.
„Geschwisterrivalität hat es immer gegeben und spielt in allen Kulturen eine Rolle“, sagt die Hamburger Kinderärztin Claudia Haupt im Podcast „Die KinderDocs“, „und sie sind auch etwas Normales.“ Oft sei die Geburt eines jüngeren Geschwisterkindes der Anlass, der Eltern mit dieser Sorge in die Kinderarztpraxen führe: Wie wird das ältere Kind reagieren, wenn es das Gefühl hat, entthront zu werden, und sich die Aufmerksamkeit von Mutter und Vater künftig teilen muss?
Sogenannte Sandwichkinder hätten an der neuen Konstellation in der Familie besonders zu knabbern: Sie waren als Zweitgeborene die Nesthäkchen und müssen diese Rolle mit der Geburt eines dritten Kindes wieder abgeben.
Allerdings gebe es keinerlei Gesetzmäßigkeiten. „Es gibt Hypothesen, dass Rivalität vor allem gleichgeschlechtliche Geschwister betrifft, wenn sie vom Alter nicht weit auseinander sind“, sagt Haupts Kollegin Charlotte Schulz, „aber es finden sich genügend Gegenbeispiele: Oft verstehen sich gerade Geschwister, die eng beieinander sind, bestens.“ Was sich allerdings verallgemeinern lasse: Unter Jungs werde Rivalität häufiger körperlich ausgetragen.
Geschwisterrivalität: Wie Eltern ihr Kind auf ein Baby einstellen können
Wie aber damit umgehen? Für die Eltern sei es wichtig zu wissen, dass die Ambivalenz zwischen „Ich liebe das Baby“ und „Wann geht es wieder weg?“ für ihre noch kleinen Kinder eine große psychische Belastung darstelle. Und das in einer Phase, in der diese älteren Geschwister womöglich selbst starke emotionale Anforderungen bewältigen müssen: sich vom Schnuller lösen, die Windel abgeben, sich in der Kita eingewöhnen, in ein neues Zuhause ziehen.
Umso wichtiger sei es, wenn sich Eltern frühzeitig Strategien überlegten, damit ihr älteres Kind seine neue Rolle des großen Geschwisterkindes für sich annimmt. Sie könnten es schon während der Schwangerschaft darauf vorbereiten, die Geburt als schönes Familienereignis ankündigen und damit positive Konsequenzen für das ältere Kind verknüpfen.
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Ist das Baby da, könne sich das ältere Kind beispielsweise bewähren, indem es ihm die Füßchen wäscht oder die Windel wegwirft und dafür Lob erhält. Sinnvoll sei auch, Großeltern oder Patentanten und -onkel für Aktivitäten mit dem größeren Kind einzubinden, die es dann als Privilegien empfindet. Vater und Mutter sollten sich selbst zudem – trotz aller Aufregung um den Neuankömmling – täglich etwas Zeit exklusiv für das Geschwisterkind nehmen.
Ermahnungen und Verbote zum Umgang mit dem Baby seien eher kontraproduktiv. Charlotte Schulz rät dazu, stattdessen positive Botschaften zu senden: „Man kann zum Beispiel sagen: ‚Wenn wir jetzt zusammen aufpassen, dass das Baby nicht wach wird, haben wir beide jetzt ein bisschen Zeit zusammen, sonst schreit es und stört uns dabei.‘“ Unter Druck setzen sollten sich die Eltern aber nicht. „Es dauert mindestens drei, wenn nicht sechs Monate, bis es sich zurechtgeruckelt und jeder seine neue Position akzeptiert hat.“
Bitte keine Vergleiche mit dem Geschwisterkind!
Komme es unter älteren Geschwistern zu Rivalitäten, zu lautstarken oder womöglich handgreiflichen Konflikten, empfehle sie den Eltern, nicht immer sofort einzuschreiten, solange keine ernsthaften Verletzungen drohen: „Man kann stattdessen Hilfe anbieten oder schauen, wie weit die Kinder untereinander kommen.“ Gut sei es, sich nicht instrumentalisieren zu lassen und möglichst für keines der streitenden Geschwisterkinder Partei zu ergreifen.
Claudia Haupt: „Kinder haben einen sehr starken Gerechtigkeitssinn. Wenn sie unterschiedlich beurteilt werden und nicht alle die gleichen, fairen Bedingungen bekommen, merken sie das sehr wohl.“ Schon gar nicht sollten Eltern anfangen, Vergleiche unter Geschwistern anzustellen wie „Dein Bruder konnte das in dem Alter schon“ oder „Deine Schwester setzt sich dahin und malt.“ Da Kinder unterschiedliche Neigungen, Stärken und Schwächen und auch ein unterschiedliches Entwicklungstempo haben, sei dies gar nicht hilfreich. Sie entwickelten sich individuell und sollten nach ihren Fortschritten beurteilt werden. An einem konkreten Lob wie „Da hast du mir aber super geholfen“ könne ein Geschwisterkind wachsen.
Was, wenn das kleinere Kind in seiner Entwicklung das größere überholt? Wenn die Familie durch einen Partnerwechsel plötzlich um weitere Mitglieder wächst? Und warum hört Rivalität unter manchen Geschwistern nie auf? Die Antworten geben die KinderDocs in dieser Folge.