Hamburg. Familienexpertin Frauke Ludwig rät dazu, kindliche Handlungen nicht dauerhaft in den Himmel zu heben.
Auf den ersten Blick ist alles wie es sein sollte: Kind rutscht auf einem Spielplatz wiederholt, klettert allein die Stufen hoch, turnt auf dem Spielgerät. Der Blick geht nach jedem Rutschen zur Mutter, sie schaut zurück, ruft flugs, „super gemacht!“, „klasse!“, „richtig toll!“.
Wollte man in dieser Szene den Fehler finden, so könnte man natürlich die Mutter gegen den Vater/den Opa/die Tante austauschen und das Kind könnte ein Bild malen. Oder sein Essen mit der Gabel aufspießen. Aus dem Mund der Erwachsenen tönte es: „Super gemacht!“, „Klasse!“, „richtig toll!“ Und das ist es, was stören muss, wenn man auf diese Interaktion schaut. Das Lob, es stört. Es gehört hier nämlich nicht hin.
Kinder zu loben ist ein vielschichtiges Thema
Wie bitte? Loben ist doch etwas Gutes, stärkt das Kind und sein Selbstwertgefühl! Das war auch immer mein Gedanke, bis ich mich mit dem Thema näher auseinander gesetzt habe.
Wie vielschichtig das Thema „Loben“ ist, erzählt in unserem Familienpodcast auch Expertin Frauke Ludwig, die sich – seit sie das meistzitierte Werk zu diesem Thema, das 2010 erschienene Buch „Liebe und Eigenständigkeit“ des amerikanischen Autors Alfie Kohn – stark mit Lob und Belohnung beschäftigt hat. „Hinter dem Loben steckt mehr als diese paar Worte“, sagt Ludwig. „Bestärken finde ich super, aber loben nicht. Jedenfalls nicht so, wie wir es im Alltag einsetzten.“
"Toll, du hast aber fein die Wäsche aufgehängt"
In der bindungsorientierten Begleitung werde das Loben kontrovers diskutiert, wenn nicht sogar abgelehnt. „Durch das dauerhafte Loben wird kurz wird Dopamin und Oxytocin beim Kind ausgeschüttet, aber es bringt das Kind nicht weiter, weil wir es nur bewertet haben.“ Das ist der Punkt des Umdenkens: Durch das immer wiederholte Lob, das mit dem Gießkannenprinzip über den Kindern verschüttet wird, werden sie gelabelt, kurz bewertet und eingeordnet.
Es ist schlicht überflüssig, jede Rutschbewegung zu loben. „Bei jedem Rutschen ist es einfach nicht authentisch. Loben könnte man als Dessert sehen, nicht zusätzlich zur Vor -und Hauptspeise“, meint Ludwig. „Wenn unser Mann das mit uns machen würde: ‚Toll, du hast aber fein die Wäsche aufgehängt‘, da würden wir uns ja auch nicht ernst genommen fühlen.“
Eltern wollen Kindern etwas Gutes angedeihen lassen
Viele Eltern loben ihre Kinder über alle Maßen, weil sie überzeugt sind, dem Kind damit etwas Gutes angedeihen zu lassen und, weil sie es durch die eigene Erziehung erfahren haben. „Man denkt, es wäre gut fürs Selbstbewusstsein, aber man kann sich das sparen. Wir sind es so gewohnt und kennen es so.“ Ludwig versteht das Bestreben der Eltern. „Wir wollen, dass die Kinder sich gut fühlen, immer.“ Jedoch: „Nicht nur, wenn wir sie bewerten.“
Wenn man lobt, dass das Kind beispielsweise das Zimmer immer so gut aufräumt, dann macht es das, um sich das Lob wieder abzuholen. Es denkt, dass die Liebe der Eltern daran gekoppelt ist, wenn das gewünschte Verhalten gezeigt wird. Doch in der Beziehung zu den eigenen Kindern gehe es um Bedingungslosigkeit. „Darum, dass die Kinder gänzlich ohne Bedingung geliebt werden.“
Kohn ordnet das überbordende Loben gar als positive Art der Bestrafung ein, denn man manipuliert durch Lob, weiß auch Ludwig. Ein Grundbedürfnis aller Kinder sei es eben, komplett bedingungslos geliebt zu werden. Zu wissen, dass sie auch dann angenommen sind, wenn sie mal voll aufdrehen oder wenn ihnen etwas misslingt. Übliche Erziehungsmethoden wie Bestrafung oder Belohnung versagen an dieser Stelle, so Kohn in seinem Buch. Sie setzen auf Kontrolle und vermitteln unseren Kindern so, dass sie nur dann geliebt werden, wenn sie uns gefallen oder wenn sie uns beeindrucken.
Lobst du mich dann, wenn ich das mache?
Daraus kann auch resultieren, dass viele Kinder das Gelobtwerden regelrecht einfordern: „Habe ich das gut gemacht? Lobst du mich dann, wenn ich das mache?“ „Auch die Frage, warum das Kind sich immer ein Lob abholen will, sollte man sich stellen. Könnte ja sein, dass es nicht voll genug an Aufmerksamkeit ist, vielleicht hilft es, das Handy wirklich weg zu legen und mit Herz und Seele beim Kind sein“, rät Ludwig und beteuert zugleich, dass sie wisse, wie kräftezehrend gerade diese Zeiten seien und sie niemanden schelten wolle.
Denn: „Es ist so schwer, sich im Alltag umzustellen, das musste ich auch richtig üben“, sagt die Mutter zweier Töchter. „Ziel sollte ja sein, mit dem Kind fragend ins Gespräch zu gehen. Wenn das Kind zum Beispiel unglücklich über ein selbstgemaltes Bild ist, offene Fragen stellen, um keine Ja/Nein-Antworten zu bekommen, also das Kind zum Sprechen motivieren.“
Kinder sollen etwas nicht nur wegen des Lobes tun
Der Ausweg aus der „Super/Klasse/Toll-Falle“ geht darüber, den Weg zu beschreiben und nicht das Ergebnis zu loben. Man kann beispielsweise sagen: „Ich sehe, dass du viele unterschiedliche Farben benutzt hast und mit viel Kraft gemalt hast.“ Zusätzlich vielleicht noch etwas wie: „An was hast du denn beim Malen gedacht?“ So bemerkt das Kind, dass der Fragende an dem Prozess interessiert ist, an den Gedanken, die sich das Kind derweil gemacht hat, was in ihm vorgeht. Was der Erwachsene aussendet ist: Ich sehe dich. Ich sehe dich, so wie du bist. Ich liebe dich genau so, wie du bist. Übrigens unterscheidet Ludwig zwischen dem „authentischen Freuen“ und dem damit verbundenen „authentischen Lob“.
„Wenn mein Kind die ersten Schritte macht – oh mein Gott – da freue ich mich wie verrückt und lobe natürlich auch“, sagt Ludwig. Es ginge ja darum, das lobende Feedback zu unterlassen. Die Kinder sollen innerlich – intrinsisch - motiviert bleiben, etwas zu tun. Nicht deshalb, damit sie ob des Lobes und der Belohnung Willen ein Ziel zu erreichen.
Wie genau das mit dem Beispiel des Tischabräumens, Kochens oder Zimmer Aufräumens bei Ludwigs zuhause abläuft, erzählt die Familienexpertin im Podcast. Und auch, warum es eigentlich nicht haltbar ist, dass in Schulen Belohnungssysteme eingesetzt werden.