Hamburg. Der frühere Bürgermeister Ole von Beust fordert mehrere Schritte gegen den Vertrauensverlust: Er will die Asylgesetze ändern.

Die Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen werden, weit über die reinen Prozentzahlen hinaus, Politik und das politische Denken in Deutschland verändern. Der Common Sense, alles das, was die politischen Werte seit 1949 und dann seit der Wiedervereinigung ausgemacht hat, ist verloren, wenn über 30 Prozent ihn nicht mehr mittragen. Dieses Gemeinschaftsgefühl lautete vereinfacht: Rechtsradikale wählt man nicht. Deren völkisches, nationalistisches, intolerantes wie inhumanes Gedankengut ist unmoralisch.

Doch dieses letzte Wohlgefühl der alten Bonner Republik ist seit Sonntag dahin.

Hamburgs Ex-Bürgermeister: Die Dämonisierung der AfD ist gescheitert

Der Hinweis auf den faschistischen Charakter großer Teile der AfD, oft mit der Formulierung „Wir müssen den Menschen erklären, dass ...“, reicht nicht mehr als Abschreckung, Zum einen, weil viele bewusst rechtsradikal wählen wollten, zum anderen, weil das gerade in den öffentlich-rechtlichen Medien immer wieder vorgetragene Attribut der „gesicherten Rechtsradikalität“ in seiner Häufung manipulativ wirkt. Diese Dämonisierung hat das Gegenteil erreicht, es hat die Partei zunächst interessant und dann attraktiv gemacht.

Die Auseinandersetzung mit der AfD ist zu vordergründig. Parallelen zur Nazizeit verpuffen, weil das „Nie wieder“ auf viele nur noch ritualisiert wirkte. Gleiches gilt für den Vorwurf des Populismus. Denn Züge von Populismus trägt jede Partei. Ist etwa der ständige Ruf nach der Erhöhung des Mindestlohns oder die Ankündigung von der „ganzen Härte des Rechtsstaates“ nicht populistisch? Auch der Vorwurf, die AfD habe kein Programm, geht ins Leere. Sie hat ja eines, wie die Schließung der nationalen Grenzen, den sukzessiven Austritt aus der EU, die Relativierung der NATO, die Frau am Herd.

Ole von Beust: Messerattacken und Asylmissbrauch sind nur die Spitze des Eisbergs

Die Wahlergebnisse von Sachsen und Thüringen zeigen: Die breite Stimmung ist anders, als Politik und Medien artikulieren. Die Skepsis gegenüber der Zuwanderung ist riesig. Messerattacken und Asylmissbrauch sind nur die Spitze des Eisbergs. Derzeit kommt vieles zusammen, vom Kleinen bis zum Großen: Autoposer mit Luxuswagen, Jugendgangs, die ganze Straßen tyrannisieren, Niveauverlust an den Schulen durch mangelnde Deutschkenntnisse, rücksichtsloses Benehmen in Bahnen und Bussen, Clan- und Dealerkriminalität. Im Einzelfall ist manches harmlos, und es gibt auch genug Deutsche, die sich indiskutabel benehmen. Aber in der Ballung wachsen die Vorbehalte.

Zudem hat sich die Stimmung in Sachen Klimaschutz gedreht. Zwar bestreitet kaum jemand den Klimawandel, aber die Klimapolitik gerät mehr und mehr in der Kritik. Es herrscht das Gefühl vor, dass wir Deutschland auf Kosten von Wirtschaft und Wohlstand zum Musterland mit kaum spürbarer Auswirkung auf den weltweiten CO2-Ausstoß machen, während andere ihre nationalen Interessen nicht aus den Augen verlieren.

Ex-Bürgermeister beklagte sinkendes Vertrauen in die Politik

Das Vertrauen in die Politik sinkt gegen null. Daher sind Wahlversprechen fast egal, weil sie ohnehin keiner glaubt. Der Vertrauensverlust liegt in objektiven Missständen begründet wie dem Zustand der Bahn, der Schwäche der Bundeswehr, der Einschränkung der Postzustellung, einer mangelnden digitalen und analogen Infrastruktur, den absehbaren Risiken für die Sozial- und Krankenversicherung.

Hinzu kommt das Gefühl, dass manche Politiker Wasser predigen und Wein trinken: Jeder Einzelne soll sich für seine Flüge schämen, aber Politiker jetten zur EM; die staatlichen Leistungen werden zurückgefahren, aber der Neubau des Kanzleramts wird immer teurer, die Stäbe in den Ministerien wachsen, und der Steuerbürger zahlt für Stylisten und Fotografen. Das mag Kleinkram sein – aber die Symbolik ist verheerend.

Ole von Beust empfiehlt drei konkrete Dinge

Was also ist zu tun?

Ich denke an drei Dinge: Gefühle schlagen jede Statistik. Der Sorge vor Überfremdung kann man nicht mit dem Hinweis auf Fachkräftemangel begegnen, der Angst vor Kriminalität nicht durch eine ausgewählte Polizeistatistik. Alle Belehrungen gehen ins Leere. Es geht darum, die Gefühle zu verstehen oder zumindest nachvollziehen zu können und auf sie mit Maßnahmen und nicht mit Phrasen zu reagieren. Wir müssen alles für die Integration derjenigen Zuwanderer tun, die bereits in Deutschland sind, aber gleichzeitig den Zuzug jetzt massiv begrenzen. Und keiner soll sich auf Gesetze berufen, die dem entgegenstehen: Gesetze kann man ändern.

Mehr zum Thema

Zweitens gilt: Haltung und Verhalten sind wichtiger als Programm. Politik muss beim Sparen bei sich selbst anfangen, sensibel sein bei Repräsentationskosten, bescheiden im Auftritt. Es wäre schon hilfreich, schlechte oder mäßige Wahlergebnisse nicht schönzureden; es geht um verbale Abrüstung: Nicht alles ist ein Skandal oder ein Schlag ins Gesicht, wir brauchen mehr Leichtigkeit und Ironie statt Empörung.

Und drittens: Wir benötigen Stolz und Patriotismus statt immer neue Ängste zu schüren. Deutschland ist ein großartiges Land, das der Welt gezeigt hat, wie man die Verantwortung für die eigene verbrecherische Geschichte übernimmt und trotzdem nach vorne blickt, zusammensteht und Wohlstand für alle schaffen kann.