Hamburg. Weniger Auflagen: Neue Bauordnung soll Genehmigungen beschleunigen. Der Bürgermeister über Staus, Anwohnerparken und die politische Konkurrenz.
Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher im großen Abendblatt-Sommerinterview über Verbesserungspotenzial bei der Baustellenkoordination, wann der Verkehr wieder flüssiger fließt, wie der Wohnungsbau in der Stadt wieder angekurbelt werden soll, die Zukunft Oberbillwerders und warum die Hamburger CDU nicht regierungsfähig sei.
Die Verkehrspolitik in Hamburg ist heftig umstritten. Der SPD geht es stets darum, allen Verkehrsteilnehmern gerecht zu werden, ausdrücklich auch den Autofahrern. Hamburg ist seit Jahren in manchen Rankings „Stauhauptstadt”. Was sagen Sie Autofahrern, die das massiv kritisieren?
Diese Rankings sind oft Auswertungen von Navigationssystemen. In Studien der darauf spezialisierten Institute – wie in der erst vor Kurzem veröffentlichten INRIX-Studie – liegt Hamburg deutlich hinter anderen Großstädten wie München, Köln oder Berlin. Aber in der Tat: Ich wünsche mir auch, dass das Autofahren in Hamburg wieder leichter wird. Wir sind derzeit in einer Transformationsphase. Auf der einen Seite bauen wir unser Mobilitätssystem um – von einem fossilen, Auto-zentrierten System zu einem effizienten, klimafreundlichen System. Dazu gehören - neben dem Auto – neue U- und S-Bahnen, Carsharing, autonome Shuttle und moderne Radwege. Das Rückgrat der Mobilität von Millionen-Metropolen wie Hamburg sind die U- und S-Bahnen: Sie fahren im Zentrum überwiegend unterirdisch und verursachen keine Staus. Das macht dann auch das Autofahren wieder leichter.
Aber während des langwierigen Baus etwa der U5 sind Baustellen erforderlich, die wiederum zu Staus führen.
In dieser Transformationsphase kommen wir um Baustellen nicht herum, die die Sache schwer machen. Der Bau der U5 hätte schon vor 20 Jahren beginnen müssen. Stattdessen hat der Vorgängersenat ein veraltetes Stadtbahnsystem geplant und ist damit an dem erbitterten Widerstand der Bürgerinnen und Bürger gescheitert. Dadurch wurde viel Zeit verloren, und wir müssen den Bau der U- und S-Bahnen jetzt nachholen. Doch mit jeder neuen Station wird es leichter. Denn alle, die umsteigen, machen Straßenraum frei. Jede neue Schnellbahn-Station entlastet den gesamten Verkehrsraum.
Und der zweite Transformationsprozess?
Wir befinden uns insgesamt in einer Modernisierungsphase der Stadt. Das Strom- und Fernwärmenetz wird aus- und umgebaut. Wir brauchen ein modernes Gas- und Wasserstoffnetz, es müssen Glasfaserkabel verlegt und das Sielnetz saniert werden. Das können wir nicht einfach abmoderieren, weil die Stadt damit ins Hintertreffen kommen würde. Diese Modernisierung ist nötig als Antwort auf die großen Anforderungen unserer Zeit: die Digitalisierung, der demografische Wandel und der Klimaschutz. Das müssen wir hinbekommen. Die Modernisierungsinvestitionen machen den Verkehr wegen der vielen Baustellen für einige Jahre schwierig. Aber perspektivisch wird sich die Staulage verbessern.
Gibt es denn schon jetzt Verbesserungspotenzial bei der Baustellenkoordinierung?
Ja, durch Digitalisierung und Mitwirkung der beteiligten Unternehmen in der Planung von Baustellen. Der Senat arbeitet an einer modernen IT, die eine tagesaktuelle und lageabhängige Prognose der Verkehrslage ermöglicht. Trotzdem kann Unvorhergesehenes passieren wie der Einbruch von Sielen oder Komplikationen im Bauablauf. Dazu zählen auch unerwartete Sperrungen der A1 oder A7, wenn die Fahrbahndecke plötzlich einbricht, weil der Bund die Autobahnen seit Jahrzehnten nicht anständig saniert hat. Das hat dann immer massive Auswirkungen auf die Verkehrslage in Hamburg.
Wie wollen Sie die Unternehmen stärker in die Baustellenplanung einbinden?
Indem wir zum Beispiel mit den Telekomkommunikationsunternehmen über einen längeren Zeitraum Absprachen treffen, welche Straßen wann umgebaut oder saniert werden. Es gibt einen gesetzlichen Anspruch, Glasfaserleitungen zu verlegen. Wenn eine Straße aufgegraben wird, sollten aber gleich alle Unternehmen ihre Arbeiten durchführen, damit dann erst mal für einige Jahre Ruhe ist.
Was soll das IT-System leisten?
Das Verkehrssystem in Hamburg ist hochkomplex. Das Wetter, Veranstaltungen, Demonstrationen, die unterschiedlichen Wochentage – alles hat einen Einfluss auf den Verkehr. Alle diese Daten müssen von der IT erfasst und verarbeitet werden. Das Ziel ist, dass das System dann ermittelt, wie die Ampelschaltungen geändert werden müssen und welche Umleitungen die besten sind, damit bei Baustellen oder anderen Behinderungen möglichst wenig Staus entstehen.
Manchmal hilft auch eine bessere Kommunikation zu Baustellen und Informationen zu den Gründen, um Verständnis bei Bürgerinnen und Bürger zu wecken.
Ja, das ist auch eine Erwartung an uns selbst, möglichst frühzeitig über die Einrichtung von Baustellen zu informieren. Bei größeren Maßnahmen wird das auch heute schon gemacht.
Verkehr ist für viele Hamburgerinnen und Hamburger ein Thema, das ihnen sehr unter den Nägeln brennt. Da gibt es auch Unzufriedenheit, etwa darüber, dass Verkehrssenator Anjes Tjarks von den Grünen dem Ausbau des Radverkehrs klar den Vorrang gibt. Hat die SPD den Grünen und ihrem Verkehrssenator zu sehr das Feld überlassen?
Wir müssen den Radverkehr tatsächlich stärker nutzen. Er hat sich durch die systematische Förderung des Senats seit 2011 schon verdoppelt. Das ist enorm hilfreich, weil alle, die aufs Rad steigen, Straßenraum freimachen und damit allen anderen die Mobilität erleichtern. Der Verkehrssenator hat eine anspruchsvolle Aufgabe: die Baustellen organisieren, den U- und S-Bahn-Bau planen und Großprojekte wie die Überdeckelung der A7 zu ermöglichen. Da macht Herr Tjarks einen guten Job. Bei größeren Maßnahmen achten wir im Senat darauf, dass es vernünftig zugeht und kein unnötiger Parkplatzabbau erfolgt. Aber wir können nicht jede einzelne bezirkliche Maßnahme vom Senat aus entscheiden. Das entspricht nicht unserer Verfassung, denn Einzelmaßnahmen von nicht gesamtstädtischer Bedeutung sind Durchführungsaufgaben der Bezirke. Zu Recht gibt es daher gerade jetzt nach den Bezirkswahlen eine große Diskussion darüber, wie man besser mit Stellplätzen und Parkmöglichkeiten umgeht.
Mit Blick auf das Wahlprogramm zur Bürgerschaftswahl: Wird die SPD einen weiteren Parkplatzabbau verhindern wollen?
Wir wollen Parkplätze möglichst erhalten. Es geht aber oft um Abwägungsentscheidungen im Hinblick auf Sicherheit und Ordnung oder die Nutzung des Straßenraums für andere Zwecke. Ich hatte eben angedeutet, dass wir im Senat schon öfter Planungen von Umbauten nicht gebilligt haben, weil es Alternativen mit mehr Stellplätzen gab. Das Problem besteht vor allem in hoch verdichteten Quartieren wie zum Beispiel Eppendorf, wo die Menschen wirklich für jeden Stellplatz dankbar sind. Gerade in solchen Gebieten will die SPD Parkplätze erhalten, wenn dies im Hinblick auf Sicherheit und Ordnung möglich ist.
Das Anwohnerparken ist durchaus ein Reizthema in der Stadt. Ein erstes Konzept des Verkehrssenators ist inzwischen gestoppt worden, auch unter tatkräftiger Mithilfe der SPD. Wann kommt ein neues Konzept?
Wir haben durchaus Zuspruch zum Bewohnerparken bei den Anwohnerinnen und Anwohnern selbst, wenn sie dadurch leichter einen Stellplatz finden. Schwierigkeiten haben Handwerker, Polizeiwachen, Krankengymnastinnen oder Hebammen, die in diesen Quartieren arbeiten müssen. In der Straßenverkehrsordnung gibt es nur Regelungen für Bewohnerparken, aber nicht für das Parken von Anliegern. Das würden wir gerne ändern, weil wir dann einfacher Parkausweise ausgeben können. Unsere Bundesratsinitiative dazu ist bisher leider an den Mehrheiten auf Bundesebene gescheitert.
Soll es dann erst mal keine neuen Anwohnerparkzonen geben?
Das wird im Einzelfall entschieden. Es gibt aus meiner Sicht keine Dogmatik, die sagt, ab sofort keine einzige Anwohnerparkzone mehr. Wenn es keinen Parkdruck gibt, muss man auch keine Anwohnerparkzone einrichten. Aber es gibt Stadtteile, in denen Anwohnerparken sinnvoll ist. Ich weiß aus meiner früheren Erfahrung aus dem Bezirk Hamburg-Nord, dass Anwohnerparkzonen zum Beispiel für die Quartiere im Umfeld des Flughafens wichtig sind, weil sonst auswärtige Fluggäste, die die Parkplatzkosten am Flughafen scheuen, ihre Autos für zwei, drei Wochen in den Wohnquartieren abstellen.
Wir haben den Verkehrssenator bislang so verstanden, dass er vorerst keine neuen Anwohnerparkzonen ausweist, weil er das Konzept verändern will.
Das unterstütze ich, weil wir eine bessere Lösung für das Anliegerparken brauchen. Das gilt aber nicht auf alle Ewigkeit. Anwohnerparken gibt es in vielen Städten in Deutschland, Österreich, der Schweiz und anderen Ländern. Das Konzept hat sich im Prinzip bewährt.
Hamburg ist bei mehreren Großprojekten der Verkehrsinfrastruktur, wie zum Beispiel dem schon erwähnten Bau der U5, aber auch dem Ersatz für die Köhlbrandbrücke auf die Unterstützung des Bundes angewiesen. Sind diese Projekte angesichts der Haushaltskrise des Bundes finanziell gesichert?
Wir haben eine große Unterstützung des Bundes gerade für unsere U-Bahn-Projekte. Herr Wissing (Bundesverkehrsminister Volker Wissing, FDP, die Red.) unterstützt die Hansestadt Hamburg konzeptionell mit Pilotprojekten und mit erheblichen finanziellen Mitteln. Jeder Abschnitt der U5 wird vom Bund gefördert, und darauf sind wir auch weiterhin angewiesen.
Oh, ein Lob für die FDP!
Ein Lob für Herrn Wissing und seine Erkenntnis, dass moderne Mobilität gefördert und finanziert werden muss. Deswegen unterstützt er eben nicht nur den Bau einer modernen U5, sondern auch Projekte zum autonomen Fahren und eine Digitalisierung der S-Bahn. Auch künftige Bundesregierungen müssen erkennen, dass die Klimaschutzziele für Deutschland nur erreichbar sind, wenn man die Mobilität in den großen Metropolen dabei einbezieht.
Oder müssen sie vielleicht doch abwarten, bis eine neue Bundesregierung die Schuldenbremse lockert?
Nicht, was diese Projekte angeht, aber es gibt andere Themen, die der Bund mit seiner aktuellen Haushaltsplanung nicht lösen kann. Der Sanierungsstau der Bundesautobahnen und des Schienennetzes der Deutschen Bahn ist so groß, dass es schon erstaunlich ist, dass die CDU den Eindruck vermittelt, das ließe sich aus dem laufenden Betrieb jährlicher Haushalte finanzieren. Dort ist ein Problem nachzuarbeiten, das über Jahrzehnte gerade auch in der Verantwortung der CDU aufgelaufen ist. Das kann man jetzt nicht innerhalb einzelner Haushalte abbilden, sondern es braucht ein kaufmännisch organisiertes Sondervermögen. Ich bin sicher, sollte die CDU in die Bundesregierung kommen, würde sie genau das gleich am ersten Tag beschließen.
Wie der Wohnungsbau in Hamburg wieder angekurbelt werden soll
Zum Wohnungsbau: Die Zielzahl von 10.000 Wohnungen im Jahr, lange ein Wahlkampfhit der SPD, ist in weite Ferne gerückt. Das hat mit den gestiegenen Baukosten, dem hohen Zinsniveau zu tun. Aber hat Rot-Grün auch Fehler gemacht?
Zunächst einmal: Wir sind sehr erfolgreich gewesen. Es gab eine Wohnungsbaukrise, die politisch verursacht war. Die CDU-geführten Senate haben nicht einmal halb so viele Wohnungen gebaut wie Rot-Grün. Wir haben diese Krise durch aktives Management gelöst, mit neuen Bebauungsplänen, durch die Aktivierung von Grundstücken und ein erfolgreiches Bündnis mit der Wohnungswirtschaft. Seit 2011 wurden so über 100.000 Wohnungen geplant, genehmigt und fertiggestellt. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft Saga hat in der CDU-Regierungszeit zuletzt keine einzige Wohnung mehr gebaut. Mittlerweile hat sie 10.000 neue Wohnungen fertiggestellt. Die Hamburger Wohnungspolitik ist ein Riesenerfolg, der in ganz Deutschland anerkannt wird, der aber jetzt durch eine marktbedingte Krise ins Stocken gekommen ist. Der Einbruch der Wohnungsbauzahlen wurde nicht politisch verursacht. Er ergibt sich aus dem Zusammenwirken von großer Baukostensteigerung, überhöhten Grundstückspreisen und massiven Zinserhöhungen.
Wie reagieren Sie auf diese Entwicklung?
Wir müssen Wege finden, den Wohnungsbau auch unter diesen Bedingungen in Schwung zu halten. Es gibt Auflagen für den Wohnungsbau, die verzichtbar sind. Wir werden demnächst eine neue Hamburger Bauordnung beschließen, die eine Entlastung von Auflagen bedeutet und das Baugenehmigungsverfahren beschleunigt. Wir wollen zugleich einen sogenannten Standard E wie „einfach“ umsetzen. Einfach bedeutet nicht qualitativ schlecht. Es geht darum, auf besonders teure Elemente im Bauen zu verzichten. Es geht also um eine Kombination aus Entbürokratisierung, eine Verringerung technischer Auflagen und der Aktivierung neuer Flächen, die zu günstigeren Preisen zu kaufen sind.
Können Sie dafür Beispiele geben? Werden die Wände der Häuser jetzt dünner?
Es gibt Tausende DIN-Normen für den Wohnungsbau, die die Politik gar nicht vorgegeben hat, sondern die aus der Industrie, aus der Bauwirtschaft stammen. Diese Normen müssen wir hinterfragen, damit wir wieder günstiger bauen können, als es derzeit der Fall ist. Ein Beispiel sind übertriebene Trittschallanforderungen, ein weiteres sind energetische Standards, die bei einer klimafreundlichen Heizung gar nicht nötig und nicht kosteneffizient sind. Man kann auch auf teure Fassadengestaltungen verzichten und sollte den gesamten Bau von Anfang an kosteneffizient planen. Wenn Sie an ein Treppenhaus nicht nur zwei Wohnungen anschließen, sondern gleich vier, dann ergibt sich daraus ein hoher Kostenvorteil für das Gesamtprojekt. Das übliche Vorgehen im Geschosswohnungsbau ist so, dass ein Architekt einen Entwurf macht, das Ganze genehmigt wird und schließlich der Bauunternehmer kommt und erklärt, wie teuer es wird. Bei einem Pilotprojekt der SAGA hat sich gezeigt, dass die Baukosten erheblich gesenkt werden können, wenn Architekten und Bauunternehmen von Anfang an zusammenarbeiten, um ein qualitativ hochwertiges und dennoch günstiges Haus zu bauen.
Trotzdem noch mal nachgefragt: War es ein Fehler, neue Grundstücke nur noch im Wege des Erbbaurechts zu vergeben? Die Wohnungsbaugenossenschaften haben gesagt, für sie sei es deswegen nicht mehr attraktiv zu bauen in Hamburg.
Das hat sich nicht der Senat ausgedacht, sondern eine Volksinitiative. Wir haben dazu eine Vereinbarung gefunden, die vertretbar ist. Grundsätzlich vergeben wir städtische Grundstücke danach im Erbbaurecht. Das ist gar nichts Besonderes, das machen zum Beispiel Wien und Zürich genauso. Bei großen Stadtentwicklungsprojekten, die sonst gar nicht finanzierbar wären, können wir aber davon abweichen. Ein Erbbaurecht kann übrigens wirtschaftlich dem Kauf eines Grundstücks entsprechen, wenn man die Erbbaubedingungen günstig gestaltet. Und das tun wir.
Jetzt sind Sie ein bisschen abgekommen von dem Thema Baugenossenschaften.
Die Genossenschaften haben das Angebot der Stadt, zu sehr günstigen Bedingungen geförderte Wohnungen zu bauen. Beim ersten Förderweg sind die Einkommensvorgaben für Mieterinnen und Mieter zwar so niedrig, dass viele Genossenschaftsmitglieder in diese Wohnungen gar nicht einziehen könnten. Wir bieten jetzt nicht nur einen zweiten Förderweg mit höheren Einkommensgrenzen, sondern sogar einen dritten Förderweg, bei dem mehr als die Hälfte der Bevölkerung, also auch Normalverdiener, in die Wohnungen einziehen dürfen. Diese Förderung sollten Genossenschaften jetzt genauso annehmen wie die anderen Wohnungsunternehmen. Das ist jedenfalls unser Wunsch und unsere Empfehlung.
Der rot-grüne Senat plant den neuen Stadtteil Oberbillwerder mit 6000 bis 7000 Wohneinheiten. Im Bezirk Bergedorf ist das Projekt ausgesprochen ungeliebt. Wird der Senat dem Bezirk die Zuständigkeit entziehen und das Planfeststellungsverfahren selbst betreiben?
Wir haben klare Vereinbarungen mit dem Bezirk, dass wir diesen Stadtteil mit Senat und Bezirk gemeinsam entwickeln. Wenn eine neue Bezirkspolitik die schon erfolgten Zusagen nicht einhält, dann müssen wir als Senat handeln, denn es geht um 7000 Wohnungen für 15.000 Menschen. Es sind bereits erhebliche Planungsmittel in das Projekt geflossen. Das wird ein Vorzeigestadtteil, auch unter ökologischen Gesichtspunkten, und deswegen wird ein rot-grüner Senat immer darauf drängen, dass dieses Projekt umgesetzt wird.
Das heißt, der Senat könnte schon relativ schnell evozieren, also die Sache an sich ziehen.
Das ist praktisch und rechtlich möglich, aber wir legen es nicht darauf an. Der neue Stadtteil Oberbillwerder ist wichtig für Hamburg und den Wohnungsmarkt insgesamt. Er wird, wenn er fertig ist, auch ein Stadtteil sein, in dem die Menschen gerne leben.
Warum Tschentscher die Hamburger CDU für „nicht regierungsfähig“ hält
In gut sechs Monaten ist Bürgerschaftswahl. Sie zeigen der CDU-Opposition die kalte Schulter und sprechen ihr die Regierungsfähigkeit ab. Wie begründen Sie diese Einschätzung?
So wie sich die CDU in der Bürgerschaft verhält, halte ich sie nicht für regierungsfähig. Oberbillwerder ist ein Beispiel. Das Verhalten in der Hafenpolitik ist ein zweites Beispiel. Dass die CDU jetzt sogar bei der Umsetzung des geplanten Waffenverbots blockiert, ist für eine Metropole, die diese Notwendigkeit der Kriminalitätsbekämpfung hat, in keiner Weise nachvollziehbar. Die CDU scheint sich noch nicht klargemacht zu haben, was die Anforderungen der Zukunft für die Hamburger Stadtpolitik wirklich bedeuten. Und auf der anderen Seite haben wir eine Koalition, die gerade die letzten Jahre gut gearbeitet hat. Da ist es für mich naheliegend zu sagen: Meine Präferenz ist Rot-Grün.
Das Ungewöhnliche ist, dass sie ja strategisch betrachtet eine Bündnisoption von vornherein ausschließen.
Ich schließe nichts definitiv aus, sondern beschreibe meine Sicht der Dinge. Klar ist, es steht jetzt eine Wahl an, und dann gibt es eine politische Konstellation, mit der alle umgehen müssen. Aber wenn ich gefragt werde, sage ich klipp und klar: Hamburg braucht eine stabile Regierung. Je stärker die SPD bei der Wahl wird, umso stabiler sind die politischen Verhältnisse. Es ist wichtig für eine Millionenmetropole wie Hamburg, nicht Spielball von X Parteien zu werden, die sich am Ende nur auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner einigen. Wir brauchen eine starke politische Kraft, die Hamburg Sicherheit gibt, die Interessen zusammenführt und sich große Zukunftsprojekte zutraut. Es war gerade in den Krisen der letzten Jahre wichtig, dass Rot-Grün im Rathaus verlässlich und vertrauensvoll zusammengearbeitet hat. Das ist schon eine Referenz, eine solche Koalition fortzuführen, wenn die politischen Mehrheiten dafür da sind.
Dann hat CDU-Spitzenkandidat Dennis Thering Sie vielleicht missverstanden. Sie schließen ein Bündnis mit der CDU also nicht kategorisch aus.
Wie soll ich denn mit einer Partei ein Regierungsprogramm machen, die sagt, wir wollen mehr Wohnungsbau, aber Oberbillwerder wollen wir nicht – ohne Angabe von Gründen? Es wird von der CDU gegen die Fakten behauptet, wir hätten den unsichersten Hauptbahnhof Deutschlands. Das war schon vor einem Jahr falsch, jetzt ist es erst recht falsch. Wir liegen selbst in den absoluten Kriminalitätszahlen mittlerweile hinter Berlin, Dortmund, Köln und München. Zugleich wird das Waffenverbot im öffentlichen Raum von der CDU abgelehnt. Es für mich ist gar nicht erkennbar, welches Programm die CDU eigentlich verfolgt.
Neun Jahre Rot-Grün hier im Rathaus, gibts da gar keine Verschleißerscheinungen?
Nein – wir sind ja kein Motor, der geschmiert wird, und dann läuft es gut oder schlecht. Politik ist immer eine dynamische Entwicklung aus neuen Anforderungen und Themen. Wir haben alle vor fünf Jahren nicht geahnt, dass wir eine Pandemie vor uns haben, den Ukraine-Krieg und eine Energiepreiskrise. Politik ist ein sich stetig entwickelnder Prozess. Wichtig ist, dass die Grundlinien klar sind. Und die gemeinsame Überzeugung von SPD und Grünen ist, dass wir uns den Trends der Zeit stellen und die Zukunft im Blick haben müssen. Das Grundproblem der CDU ist, dass sie sich zu stark an der Vergangenheit orientiert, Veränderungen ablehnt und versucht, Probleme auszusitzen. Das sieht man auch bei der CDU auf Bundesebene, dass sie 16 Jahre lang die Infrastruktur nicht saniert hat, dass die Energiewende einfach nicht umgesetzt wurde. Wenn wir den demografischen Wandel, die Notwendigkeit der Digitalisierung und die Anforderungen des Klimaschutzes in den kommenden zehn Jahren sehen, dann müssen wir heute handeln. Es ist diese Zukunftssicht, die SPD und Grüne verbindet, und die uns auch gemeinsame Entscheidungen ermöglicht, die nicht leicht sind. Es ist nicht einfach, einen Klimaplan aufzustellen mit 400 Maßnahmen, mit denen so einiges an Arbeit und Mühe entsteht. Es ist aber nötig, weil jedes Jahr, in dem wir diese Dinge nicht umsetzen, es uns hinterher noch schwerer macht. Ich arbeite gerne weiter in diesem Amt und möchte stabile Verhältnisse für Hamburg. Dafür stehe ich als Bürgermeister ein.
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Die AfD ist bei den Europa- und Bezirkswahlen in klassischen SPD-Hochburgen, also früheren Arbeiterstadtteilen, sehr stark gewesen. Haben sie ein Rezept, um zu verhindern, dass die Partei in Hamburg zweistellig wird?
Es gibt keine Patentrezepte. Wir hatten bei der letzten Bürgerschaftswahl die AfD nur knapp über der Fünf-Prozent-Hürde. Bei der Europawahl in diesem Jahr lag sie unter zehn Prozent. Das ist einer der niedrigsten Werte aller Bundesländer. Die AfD hat in Hamburg also nur ein sehr begrenztes Potenzial. Es geht mir aber nicht um die AfD. Es geht mir um die Frage, was bewegt die Leute in den Quartieren, die Sie ansprechen. Was gefällt ihnen nicht, was kritisieren sie an der Politik? In meinen Gesprächen in den Stadtteilen zeigt sich, dass viele Bürgerinnen und Bürger skeptisch sind, ob wir das mit der Integration der Flüchtlinge in den Griff bekommen. Meine Antwort lautet ja, das kriegen wir hin. Wir müssen und können das Asylrecht weiterhin sicherstellen, wenn wir zugleich die irreguläre Migration begrenzen. Und die Menschen haben auch Sorgen mit den Auflagen zum Klimaschutz. Was man nicht tun sollte, ist, ein Heizungsgesetz beschließen und dann sagen, es ist uns egal, was das kostet. Deswegen hat die SPD für entsprechende Übergangsfristen und Förderprogramme gesorgt und achtet auch sonst sehr genau auf die Auswirkungen für Mieter.
Nicht nur Dennis Thering, sondern auch die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank von den Grünen als designierte Spitzenkandidatin bei der Bürgerschaftswahl will Sie herausfordern. Sie will Ihren Job und die erste Erste Bürgermeisterin in Hamburg werden. Ist das eine Belastung für die Koalition?
Es ist das gute Recht von Herrn Thering und Frau Fegebank, dieses Amt anzustreben. Ich strebe es ja auch an. Die Entscheidung darüber treffen aber nicht wir als Personen, sondern die Wählerinnen und Wähler im März nächsten Jahres. Ich bin in diesem Amt, stelle mich gerne wieder zur Wahl und freue mich über alle, die es unterstützen.
Die Frage war nach der Belastung in der Koalition.
Da gibt es kein Problem. Wir haben diese Konstellation 2020 schon einmal gehabt. Das Wählervotum war eindeutig, und das hat Frau Fegebank nicht die Freude an der Politik verdorben. Wir machen weiter unseren Job. Politik ist kein Spiel. Wir haben einen Auftrag, wir machen unsere Arbeit, und nach Ende der Legislatur wird neu gewählt. Einige Wochen vorher werde ich beginnen, Wahlkampf zu machen. Nach meiner Erfahrung interessieren sich viele Bürgerinnen und Bürger für eine Wahl auch erst dann, wenn sie ansteht.