Hamburg. „Masterplan Magistralen 2040+“ stößt auf Kritik bei Opposition und BUND. Oberbaudirektor sagt, wo er in Hamburg zuerst umgesetzt wird.
Der am Dienstagmittag von Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein (SPD) vorgestellte „Masterplan Magistralen 2040+ – Die Lebensadern der Stadt gestalten“ stößt bei Opposition und Naturschützern auf deutliche Kritik. Wie das Abendblatt bereits vorab exklusiv berichtet hatte, soll an den zwölf größten Hamburger Ausfallstraßen neuer Wohnraum, aber auch Platz für Gewerbe entstehen. Zudem sollen sie auch verkehrlich und klimagerecht umgestaltet werden. Baulücken sollen dabei ausgefüllt, Gebäude aufgestockt und Straßenführungen verändert werden.
Für den Naturschutzverband BUND ist der in einem rund 200 Seiten starken Papier ausgebreitete Masterplan nicht ausgegoren, da die großen Straßen aufgrund der bisher sehr hohen Verkehrsbelastung auch stark durch Lärm gekennzeichnet seien. „Die Magistralen haben große Potenziale, Hotspots der Stadtentwicklung zu werden“, sagte die Hamburger BUND-Chefin Sabine Sommer. Wenn sie sich, wie in dem Plan angekündigt, aber auch zu „Orten der Mobilitätswende“ entwickeln sollten, müsse der Senat „zuallererst das Verkehrsproblem der Stadt lösen“, so Sommer.
Wohnen Hamburg: „Magistralen bisher viel zu laut und voller Abgase“
„Technische Neuerungen wie E-Mobilität als die Lösung zu sehen ist zu kurz gedacht. Es macht den Anschein, als würde der Hamburger Senat sich blind stellen für einen dringend notwendigen Wandel in der Stadtentwicklung. Wir brauchen eine Veränderung auf ganzer Linie. Weniger Autoverkehr, weniger Parkplätze, einen Ausbau von Fuß-, Radverkehr und des Verkehrsverbundes, entsiegelte, begrünte Flächen, mehr Straßenbäume, mehr Fassadenbegrünung und vor allem: mehr Platz für Menschen.“
Denn, so fragt die BUND-Vorsitzende: „Wie groß mag die Wohnqualität sein, wenn die Luft mit Abgasen belastet, die Umgebung durch massive Versiegelung hitzebelastet und es dazu laut ist? Da kann doch irgendwann niemand mehr wohnen.“ Stattdessen müssten die Magistralen mit Blick auf die Zukunft klimaangepasst gestaltet werden, so Sommer. „Konkrete Ziele hat sich der Senat dafür aber nicht gesetzt.
Der Senat und die Bezirke müssen hier jetzt endlich Hand in Hand gehen, mit definierten Zuständigkeiten und zugeteilten Haushaltsmitteln.“ Die Bezirke müssten personelle und finanziell so ausgestattet werden, dass sie die großen Pläne auch tatschlich umsetzen können.
Masterplan Magistralen: Für die CDU dauert das alles zu lange
Kritik am Masterplan für die Magistralen, dessen Vorarbeiten bereits 2019 begannen, kam auch von der CDU. Nach mehreren Jahren der Vorplanungen sei bisher „kein einziger rechtskräftiger Bebauungsplan entstanden“, sagte CDU-Stadtentwicklungspolitikerin Anke Frieling. „In Altona im westlichen Bereich der Sülldorfer Landstraße war der Bezirk mit dem Bebauungsplan schon recht weit gekommen bis zu dem Zeitpunkt, an dem Mobilitätssenator Tjarks seine Bedarfe für Verkehrsflächenerweiterungen für Busse und Radwege anmeldete.“
Dafür habe der grüne Verkehrssenator „Teile der privaten Grundstücksflächen benötigt, auf die er in nicht wenigen Fällen nur durch Enteignungsmaßnahmen Zugriff gewinnen kann“. Das Ganze zeige: „Magistralenbebauung ist ein komplexes Projekt, auch ohne dass gleichzeitig alle Verkehrsflächen neu geplant werden. Die Grundstücke gehören verschiedenen Besitzern mit unterschiedlichen Interessenlagen. Selbst wenn ein Investor Grundstücke zusammenkauft, kann sich dieser Prozess über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte hinziehen.“
Immobilien Hamburg: Sollen Sozialwohnungen künftig die Bewohner in zweiter Reihe vor Lärm schützen?
Der Senat solle daher dringend prüfen, „ob er an der Entwicklung von Angebotsbebauungsplänen wirklich festhalten will“, so Frieling „Bei vielen Grundstücken würde es sich lohnen, mit den Befreiungsmöglichkeiten des Baulandmobilisierungsgesetzes zu arbeiten. Angesichts der Wohnungsnot in Hamburg müssen pragmatisch alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, schnell Baurechte für Wohnungsbau entlang der Magistralen zu schaffen.“
Linken-Stadtentwicklungspolitikerin Heike Sudmann begrüßte den Masterplan des Senats zwar, warnte aber vor einer sozialen Schieflage. „Es ist gut, Hamburgs Magistralen in den Blick zu nehmen und sie umzugestalten“, sagte Sudmann. „Doch 2040 und plus ist weit weg. Schon heute sind die Hauptverkehrsstraßen der Lebens- und Wohnort von mehreren Hunderttausend Hamburgern, die unter zu viel Autoverkehr und Lärm leiden.“ Hoffnung auf schnelle Verbesserung gebe es nicht. „Nicht mal Tempo 30 will der Senat dort jetzt einführen, um wenigstens den Lärm zu reduzieren“, kritisierte Sudmann.
Immobilien Hamburg: „Der Masterplan ist ein zentraler Grundstein der Stadtentwicklung“
„Und Sorgen bereitet mir auch die erkennbare Tendenz, den geförderten Wohnungsbau vor allem als Lärmriegel an den Straßen zu nutzen. Wenn die Magistralen kein attraktiver Leben- und Wohnraum für alle werden, dann ist das Konzept gescheitert“, sagte die Linken-Bürgerschaftsabgeordnete. Und: „Nach jahrelanger Planung werden die Bürger erst jetzt beteiligt: Ich habe die Sorge, dass es dabei dann nur noch um Akzeptanzbeschaffung geht und nicht um Änderungsmöglichkeiten.“
SPD-Stadtentwicklungspolitikerin Martina Koeppen bezeichnete der Masterplan dagegen als „zentralen Grundstein für die Stadtentwicklung der nächsten Jahrzehnte“. Die Weiterentwicklung der Hauptverkehrsstraßen werde das Gesicht der Stadt „prägen und positiv verändern“. Im Austausch mit den Menschen vor Ort gelte es nun, „die Belange des Wohnens, Arbeitens, der Mobilität und der Freiraumplanung zusammenzubinden, um schlummernde Potentiale zu heben“.
Masterplan Magistralen: „Wir wollen diese Hauptstraßen behutsam, aber entschlossen verändern“
AfD-Stadtentwicklungspolitiker Alexander Wolf warnte vor Nachteilen für den Verkehr durch die Umgestaltung der Magistralen. „Die Abschnürung der verkehrlichen Hauptschlagadern hat den Verkehrsinfarkt zur Folge. Hamburg muss erreichbar bleiben und braucht dringend eine intakte Verkehrsinfrastruktur sowie eine weitere Elbquerung“, so Wolf. Stattdessen solle das Schließen der Grenzen und die Ausreise aller Ausreispflichtigen „den Nachfragedruck auf den Wohnungsmarkt spürbar verringern“, sagte der AfD-Fraktionsvize. „Dieser Masterplan ist nichts weiter als hilfloser Aktionismus im Vorfeld des Bürgerschaftswahlkampfs. Ich fordere die Einstellung dieser kostspieligen Sinnlos-Experimente, wirksame Investitionen zur Erhaltung der Verkehrsinfrastruktur sowie die Abschaffung des Sonderbaurechts für Asylunterkünfte.“
Zuspruch kam dagegen aus der Wohnungswirtschaft. „Alles, was der Stadt hilft, Grundstücke für den Bau bezahlbarer Wohnungen bereitzustellen, ist sinnvoll und richtig“, sagte Andreas Breitner, Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW). „Zudem wird sich Hamburgs künftige wohnungsbauliche Entwicklung entlang der Magistralen entscheiden.“ Es gebe dort noch reichlich entwickelbare Flächen, so Breitner.
Wohnen Hamburg: Modernes Bauen schützt auch in Straßennähe vor Lärm
„Der Wohnungsbau hat sich technisch weiterentwickelt. Neue Baustoffe, eine geschickte Architektur und moderne Lärmschutzfenster bieten inzwischen Möglichkeiten, die das Wohnen auch an viel befahrenen Hauptstraßen erlauben“, so der VNW-Direktor. „Die hohen Anforderungen an saubere Fahrzeuge tragen ebenso dazu bei, dass die Luft besser und der Lärm weniger wird. Die Entwicklung moderner Elektrofahrzeuge lässt zudem erwarten, dass der Lärmpegel mittelfristig weiter sinken wird.“ Die Stadt müsse „rasch die rechtlichen Voraussetzungen schaffen, dass an derartigen Stellen auch gebaut werden darf“.
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Auch um die Baukosten im Blick zu behalten, solle die Entwicklung der Magistralen „dem Bau von Systemhäusern einen Schub verleihen“. So habe etwas das von der Saga entwickelte Systemhaus „das Zeug, die Wohnungswirtschaft zu revolutionieren“, so Breitner. „Es kann dazu beitragen, dass in Hamburg mehr bezahlbare Wohnungen entstehen. Wenn das künftig vermehrt an den Magistralen geschieht: umso besser.“
Stadtentwicklungssenatorin Pein hatte den Masterplan bei der Vorstellung im Rathaus als „wichtigen Meilenstein“ bezeichnet, „um Hamburgs Magistralen in den kommenden Jahren behutsam, aber entschlossen zu verändern“. Sie sollten „zu attraktiven Wohn- und Arbeitsorten und zu zukunftsfähigen und klimaangepassten Orten der Mobilität“ werden. „An diesen Zielen arbeiten wir gemeinsam mit Politik und Verwaltung auf Senats- und Bezirksebene und setzen auch weiterhin auf einen intensiven Dialog mit den Anwohnerinnen und Anwohnern sowie den Eigentümerinnen und Eigentümern.“
Oberbaudirektor Franz-Josef Höing hatte bei der Präsentation betont, dass man „auch die Lagen in der zweiten und dritten Reihe hinter den Magistralen in den Blick“ nehme. „Ob als moderner Stadtboulevard, lebendige Gewerbemeile oder grüne Vorstadtallee – gemeinsam mit den Bezirken und den Fachbehörden wollen wir die Magistralen schrittweise verändern, neue Flächen für Wohnen, Gewerbe, Freizeit und Bildung schaffen und die Magistralen fit für die Anforderungen der Zukunft machen“, so Höing.
Wohnen Hamburg: In diesen zehn „Modellräumen“ soll die Umsetzung beginnen
Auf Nachfrage stellte Höing noch einmal dar, in welchen zehn Bereichen mit der Detailplanung und Umsetzung begonnen werde. Es sind dies folgende „Modellräume“:
- Luruper Hauptstraße/Zentrum (Magistrale 2)
- Eimsbütteler Marktplatz (M3)
- Schnelsen (M3)
- Grindelallee (M4)
- Deelböge (M5)
- Gewerbegebiet am Flughafen (M5)
- Zentrum Wandsbek (M7)
- Eiffestraße (M8)
- Zentrum Bergedorf (M8)
- Trelder Weg (M9).
Im Herbst soll laut Senat „eine Stadtwerkstatt allen interessierten Hamburgerinnen und Hamburgern die Gelegenheit bieten, die Pläne für die zwölf Hamburger Magistralen kennenzulernen“. Weiterführende Informationen zum Masterplan gibt es hier.