Hamburg. Von Wien nach Hamburg: Andreas W. Dick hat alle U-Bahn-Linien der Hamburger Hochbahn befahren – und dabei einen Rekord aufgestellt.
Menschen eilen am Dienstagmorgen durch die zahlreichen unterirdischen Gänge des Hamburger Jungfernstiegs. U-Bahnen halten und verlassen die Bahnsteige im Minutentakt. In all dem wuseligen Treiben strahlt ein Fahrgast eine gewisse Ruhe aus. Der Österreicher Andreas W. Dick steht dort am Gleis der U1, umringt von zahlreichen Journalisten und Kamerateams.
Der Wiener möchte einen Rekord im Hamburger U-Bahn-Netz aufstellen: „Ich versuche heute in möglichst schneller Zeit, alle Linien und Stationen abzufahren.“ Dick hat diese Art von Versuch bereits in 17 Städten in vier Ländern absolviert. Heute ist er bekleidet mit Turnschuhen, einer Kopfbedeckung mit Smileys und einem Altona-93-T-Shirt. „Ich trage bei jedem Versuch ein Sport-T-Shirt eines lokalen Vereins“, sagt Dick. In größeren Städten, wie Hamburg, gebe es mehrere Vereine, die populär sind, wie den HSV und den FC St. Pauli. „Mit dem einen Shirt kann man in manchen Vierteln vielleicht allergieauslösend sein. Ich entscheide mich dann immer für den Underdog“, sagt der 55-Jährige. Pünktlich, wie geplant, betritt Dick mit seinem Hamburger-Shirt um 9.30 Uhr die erste U-Bahn in Richtung Ohlstedt.
Schafft es der Wiener mit seinem Hamburger Rekord in das Guinnessbuch?
Die Route an seinem Rekord-Tag habe er innerhalb von zehn Minuten geplant, malte die vier U-Bahn-Linien mit ihren 93 Stationen mit Buntstiften ab. „Dann hoffe ich, dass etwas Sinnvolles herauskommt“, sagt der Motorjournalist. So muss er einige Stationen auf dem Hin- und dem Rückweg befahren, rechnet mit sechs bis sieben Stunden Fahrtzeit.
Für das Hamburger U-Bahn-Netz gibt es laut Hochbahn keinen offiziellen Rekord. Dick muss keinen alten knacken, sondern einen neuen aufstellen. Im Guinnessbuch der Rekorde habe es mal eine Bestzeit aus Hamburg gegeben, sagt Dick. Damals brauchte der Fahrgast vier Stunden – allerdings mit deutlich kleinerem U-Bahn-Netz.
Seine Fahrtzeit werde Dick nicht an das Rekordbuch übermitteln. „Es ist zu teuer: Man muss eine Gebühr sowie Flüge und Hotel für Mitarbeiter bezahlen.“ Seine Bestzeiten hält der dreifache Vater in seinem „persönlichem Rekordbuch“ fest. In 17 Städten, darunter Graz, Berlin, Lyon und Zürich, stellte er bereits 22 Rekorde auf. Und weitere seien in Planung: Dick möchte als Nächstes den öffentlichen Nahverkehr in Budapest, Zagreb und Athen besteigen. Er habe Spaß an der Sache, nehme seinen Rekordversuch aber auch ernst: „An meinem Outfit erkennt man schon, dass es irgendwo dazwischenliegt.“
Hamburger U-Bahn: „Finde es amüsant, eine Stadt auf diese Art und Weise kennenzulernen“
Doch wie kommt man auf so ein kurioses Hobby? „Mein ältester Sohn hat mich darauf gebracht“, sagt Dick. Und: „Ich finde es amüsant, eine Stadt auf diese Art und Weise kennenzulernen“, so Dick. So erzähle jede U-Bahn- oder Straßenbahn-Linie ihre eigene Geschichte. Oberirdisch ändere sich die Landschaft, unterirdisch das Publikum, sagt der Journalist. „Ich kann durchaus erkennen, ob ich gerade in einer studentischen, bürgerlichen oder Arbeitergegend bin.“
„Ich finde es amüsant, eine Stadt auf diese Art und Weise kennenzulernen“
Jede Stadt habe ihre Besonderheiten. „Ich empfehle es auch Einheimischen, sich einen Tag Zeit zu nehmen und mal dahin zu fahren, wo man noch nie war“, sagt der 55-Jährige. Das Highlight in Hamburg sei die U3-Strecke mit Blick auf Elbphilharmonie, Landungsbrücken, Elbe und Hafen. Die Linie sei gleichzeitig auch die größte Herausforderung am Rekordtag. „Ich musste überlegen, ob ich den Ring erst einmal befahre oder bei Knotenpunkte in andere Linien umsteige.“
Der Österreicher hat für seine U-Bahn-Rundreise Proviant und Comics eingepackt
Das erste Mal in der Hansestadt war der Österreicher 1987, danach immer mal wieder für seine Arbeit. Dadurch lernte er seinen Kollegen Sven kennen, der ihn nicht nur bei seinem Versuch begleitet, sondern auch Franzbrötchen mitgebracht hat. Doch bei sechs bis sieben Stunden Fahrtzeit könnte dem ein oder anderem auch mal langweilig werden. Auf Dick treffe das nicht zu. „Mein Begleiter kann mir immer was über die Gegend erzählen.“ Auch mit im Gepäck: Zwei Donald-Duck-Comics, mehrere Fachmagazine über Autos, Lkw und Co., sowie Essen und Trinken. „Die Zeit vergeht, obwohl wir mit der Bahn fahren, wie im Flug“, ist sich der Modelleisenbahnfan sicher.
Ein Besuch im Miniatur Wunderland durfte bei seinem mehrtägigen Besuch in der Hansestadt natürlich nicht fehlen. Der neue Abschnitt Monte-Carlo sei „sensationell“. In der Innenstadt habe der 55-Jährige einige „nette und spezielle“ Geschäfte entdeckt. „Hamburg bietet vieles, nicht nur die Hochbahn.“ Beim Tropenausrüster Ernst Brendler kaufte sich Dick ein Matrosenshirt. Auch an diesen Tagen setzte Dick bereits auf die Hamburger U-Bahn. „Eine neue Stadt wächst mir ein bisschen mehr ans Herz, als wenn ich das nicht mache“, sagt der studierte Publizist.
Hamburger Hochbahn unterstützt Rekordversuch
Seine Hamburger Rundreise wird von der Hochbahn unterstützt. Selbst der Zugführer der U1 spricht direkt zum Rekordhalter: „Immer schön lächeln, mein Freund“, dröhnt es aus den Lautsprechern. Andere Fahrgäste sind teilweise irritiert, andere reagieren freundlich, einige wünschen viel Glück und gutes Gelingen.
Bei einem seiner ersten Rekordversuche in Wien haben Touristinnen den Österreicher beim Interviewgeben beobachtet, so Dick, und den Kameramann gefragt: „Is he famous?“ (deutsch: Ist er berühmt?). „Da habe ich noch nicht gewusst, dass ich fürs U-Bahn-Fahren eine Berühmtheit erlangen könnte.“ Heute, rund zehn Jahre später, schlagen bei seiner Tour in Hamburg gleich mehrere Kamera-Teams Journalisten und Radioreporter auf.
Wiener Andreas W. Dick vergleicht Hamburg mit der Steiermark
Auf vergangenen Rekordtouren erlebte er ganz unterschiedliche Besonderheiten. Auf der Tramlinie 6 durch Innsbruck konnte der 55-Jährige von der Bahn aus Rehe im Wald beobachten. Auch bei der ersten Endstation Ohlstedt der Linie U1 kommen bei Dick ähnliche Naturgefühle hoch: „Mit Vogelgezwitscher, dem vielen Grün und gestapelten Holz könnte man fast meinen, wir wären in der Steiermark.“
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Einmal wollte ein Münchner Mathematiker seinen Rekord aus Wien gemeinsam mit ihm und einem Algorithmus brechen. Beim ersten Umstieg habe er sich am Arm verletzt, die beiden mussten ins Krankenhaus fahren. „Durch das Röntgen und die Behandlung haben wir es zu der Zeit verlassen, die er für das U-Bahn-Netz kalkuliert hatte.“
Um 16 Uhr hat es Andreas W. Dick dann geschafft, ganz ohne medizinischen Einsatz: In sechs Stunden und 28 Minuten ist er alle Hamburger U-Bahn-Linien und -Stationen abgefahren. „Es lief alles geschmeidig“, sagt er zufrieden. Ein neuer (erster) Rekord, der nun darauf wartet, gebrochen zu werden – diesmal vielleicht von einem Hamburger Mathematiker ohne Schleimbeutelverletzung.