Hamburg. 215 Millionen Euro erhält Hamburg vom Bund für 90 Schulen; eigentlich sollte das „Startchancen“-Projekt schon im neuen Schuljahr beginnen.
Das Geld schnell an die Schulen zu bringen, das war das erklärte Ziel von Schulsenatorin Ksenija Bekeris (SPD), als Anfang Juni die Bund-Länder-Vereinbarung über das „Startchancen“-Programm offiziell in Kraft trat. Es ist eines der größten Förderprojekte in der Geschichte des Hamburger Schulwesens: Insgesamt werden 90 ausgewählten Hamburger Schulen „in sozial herausfordernder Lage“ verteilt über zehn Jahre 430 Millionen Euro zur Verfügung stehen – jeweils zur Hälfte finanziert vom Bund und Hamburg als Bundesland. Durch geeignete pädagogische, bauliche und organisatorische Maßnahmen soll erreicht werden, „dass möglichst alle Kinder und Jugendlichen ihre Talente und Potenziale frei entfalten ... können und Bildungserfolg von sozialer Herkunft entkoppelt wird“, wie es in der Bund-Länder-Vereinbarung zum „Startchancen“-Programm heißt.
Nun zeigt sich, dass der Geldregen so schnell noch nicht auf die Schulen niedergehen wird. Aus der Antwort des Senats auf eine Große Anfrage der Linken-Bürgerschaftsfraktion ergibt sich, dass die Lehrkräfte an den Schulen zunächst einmal nur eine Beschreibung der Ausgangslage vornehmen und das weitere Vorgehen planen sollen. Für das Schuljahr 2024/25 erhalten die staatlichen Grundschulen (es nehmen auch zwei katholische Schulen teil) laut Senatsantwort lediglich neun Wochenarbeitszeitstunden (WAZ) für Lehrer zusätzlich „für eine Bestandsaufnahme sowie die individuelle strategische Planung des Startchancen-Programms“. Für die weiterführenden Schulen sind elf WAZ vorgesehen. „Die Finanzierung dieser Mittelzuweisung erfolgt aus Bundesmitteln“, erläutert der Senat.
Hamburg investiert wie der Bund 215 Millionen Euro bis 2034 in die Schulen
Ausgenommen sind die Schulen, die an dem bereits etablierten Hamburger Programm „23+- Starke Schulen“ teilnehmen und nun in das „Startchancen“-Projekt überführt werden. Die Förderung der „23+“-Schulen, die pädagogisch in die gleiche Richtung zielt, soll in unveränderter Höhe weiterlaufen. „Diese Mittelzuweisung wird aus Landesmitteln (aus dem Hamburger Haushalt, die Red.) finanziert“, schreibt der Senat. „Für alle weiteren Mittelzuweisungen für die allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen sind die Überlegungen der für Bildung zuständigen Behörde noch nicht abgeschlossen“, heißt es in der Senatsantwort. Mit anderen Worten: Mehr Geld gibt es vorerst nicht für das groß angekündigte „Startchancen“-Programm.
Die Formulierung, Planungen und Überlegungen seien „noch nicht abgeschlossen“, taucht in etlichen Antworten des Senats auf konkrete Fragen der Linken-Fraktion auf. „Das kommende Schuljahr dient der Konkretisierung der Ziele, der Verständigung über die Rahmensetzungen und der darauf basierenden Ausgestaltung des Programms“, erläutert der Senat. Den Schulen sollen „Maßnahmenbausteine“ zur Verfügung gestellt werden, „deren Umsetzung im Regelfall zum Schuljahr 2025/26 erfolgt“. Es sei nicht möglich, „Maßnahmen für alle Zielsetzungen gleichzeitig zu planen und diese umzusetzen“, dämpft der Senat die Erwartungen. „Entsprechend erfolgen Planung und Umsetzung sukzessive“, schreibt der Senat auch mit Blick auf die bewusst gewählte lange Laufzeit des Programms von zehn Jahren.
Für das kommende Schuljahr erhalten die Schulen keine zusätzlichen Mittel aus dem Haushalt
Die Vorgehensweise hat Folgen für die Finanzierung des Projekts. „Mit der sukzessiven Konkretisierung der Maßnahmen des Startchancen-Programms wird eine Veranschlagung (der finanziellen Mittel, die Red.) im Rahmen des kommenden Doppelhaushalts erfolgen“, heißt es in der Senatsantwort. Gemeint sind die Jahre 2027/2028. „Für das aktuelle Verfahren zu Aufstellung des Doppelhaushalts 2025/2026 sind die Maßnahmen zum jetzigen Zeitpunkt weder in der Höhe noch der Art veranschlagungsreif. Maßnahmen des Startchancen-Programms werden in den kommenden beiden Haushaltsjahren damit im Rahmen der laufenden Haushaltssteuerung bewirtschaftet“, heißt es weiter. Soll heißen: Die Aufwendungen sind so überschaubar, dass sie aus dem Gesamtetat der Schulbehörde gedeckt werden können.
„Wir sollen in wenigen Wochen über einen Haushaltsplanentwurf beraten, in dem kein Startchancen-Cent ausgewiesen ist. Das ist doch ein Blindflug!“, kritisiert Linken-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus. Die Minderausstattung der „Startchancen“-Schulen sei schon jetzt erkennbar. „Es besteht die Gefahr, dass die 23+-Schulen von 2025 an weniger Mittel bekommen werden als bisher. Und das darf nicht sein“, sagt Boeddinghaus. Die Ressourcen müssten mindestens gleich bleiben – „auf keinen Fall dürfen sie schrumpfen“.
Für die Linken-Schulpolitikerin Sabine Boeddinghaus ist das Programm „dünn aufgestellt“
Grundsätzlich sei es zu begrüßen, wenn Geld zusätzlich ins Schulsystem gesteckt werde, „um die Bildungsungerechtigkeit zu verringern – schließlich wird die Koppelung von Herkunft und Bildung seit dem Jahr 2000 mit jeder Bildungsstudie bestätigt“, so die Linken-Schulpolitikerin. „Umso enttäuschender ist es, wie dünn dieses Startchancen-Programm pädagogisch, konzeptionell und materiell derzeit aufgestellt ist“, sagt Boeddinghaus. Die Schulen bekämen nur „schlappe neun bis elf WAZ für Lehrkräfte – die Schulbehörde lässt sie am langen Arm verhungern“.
In Hamburg werden rund 42.000 Schülerinnen und Schüler von dem neuen Programm profitieren. Beteiligt sind 57 Grundschulen, 24 Stadtteilschulen, vier Gymnasien und neun berufsbildende Schulen. Bundesweit werden im Laufe der nächsten zehn Jahre 20 Milliarden Euro an 4000 Schulen investiert. Die Förderung der Kinder und Jugendlichen konzentriert sich auf die Fächer Deutsch und Mathematik. Rund 20 Prozent der Schülerinnen und Schüler erreichen in Hamburg am Ende der vierten Klasse nicht die Mindeststandards im Lesen, Schreiben und Rechnen. Das ambitionierte Ziel des Programms ist es, die Quote bis 2034 zu halbieren.
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Fast alle teilnehmenden Hamburger Schulen haben den Sozialindex 1 oder 2, die niedrigsten Werte auf der sechsstufigen Skala, liegen also in sozial benachteiligten Gebieten. Das Programm umfasst drei Bereiche: 40 Prozent des Geldes fließt in Baumaßnahmen und die Ausstattung der Schulen. Jeweils 30 Prozent der staatlichen Investitionen sind für die Unterrichtsentwicklung an den Schulen sowie eine bessere personelle Ausstattung, etwa mit Sozialpädagogen, vorgesehen.