Hamburg. Herausforderung Inklusion: Welche Rolle ein niedriger Sozialindex spielt, wer auf Hamburger Stadtteilschulen und wer auf Gymnasien geht.
Unter den Kindern und Jugendlichen, die nach den Sommerferien an Hamburgs Grundschulen und weiterführenden Schulen starten, sind etliche, die einen sonderpädagogischen Förderbedarf in den Bereichen Lernen, Sprache sowie emotionale und soziale Entwicklung (LSE) haben – oder einen Bedarf an spezieller sonderpädagogischer Förderung. Wie diese Mädchen und Jungen auf die Schulen verteilt sein werden, geht aus Antworten des Senats auf zwei schriftliche Kleine Anfragen der Hamburger Linken-Fraktion hervor.
Deren Vorsitzende Sabine Boeddinghaus kommt nach einer Auswertung der Daten zu dem Schluss: Es zeige sich die deutliche Tendenz, dass Schulen mit einem niedrigen Sozialindex sowie Stadtteilschulen überwiegend die Verantwortung für die Aufgaben der Inklusion übernehmen müssen. „Ein weiteres Mal wird deutlich, dass wir dringend auch die Gymnasien mehr in die Pflicht nehmen müssen“, sagt Boeddinghaus. „Denn alle Schulen, ausnahmslos, müssen sich der Inklusion verpflichten.“
Wie sich neue Erst- und Fünftklässler mit Förderbedarf auf die Schulen verteilen
Der Sozialindex beschreibt die sozio-ökonomische Zusammensetzung der Schülerschaft an Hamburgs staatlichen Schulen auf einer Skala von 1 bis 6. Eine 1 steht für Schulen, die eher Schülerinnen und Schüler aus schwierigen Verhältnissen beschulen, eine 6 für Schulen, die von Kindern und Jugendlichen aus einem eher privilegierten sozio-ökonomischen Umfeld besucht werden. Um soziale Ungleichheiten in der Bildung abzumildern, bekommen Schulen in benachteiligten Lagen mehr Lehrkräfte.
In ihren schriftlichen Kleinen Anfragen hatte Boeddinghaus sich danach erkundigt, an welchen Einrichtungen wie viele neue Erst- und Fünftklässler mit Förderbedarf starten. Der Senatsantwort zufolge liegen die Zahlen von Kindern mit Förderbedarf an etlichen Schulen jeweils im zweistelligen Bereich, bis hin zu 32 Mädchen und Jungen im Förderbereich LSE einer Stadtteilschule. Zahlenwerte unter fünf Kindern im Bereich LSE an einer Schule, die ebenfalls häufig vorkommen, gibt der Senat allerdings nicht exakt an – aus datenschutzrechtlichen Gründen, wie es heißt.
Linken-Fraktion fordert regionale Bildungskonferenzen in Hamburg
Um zumindest eine Tendenz erkennen zu können, hat die Linken-Fraktion nach eigenen Angaben bei Zahlenangaben unter fünf Kindern für ihre Berechnungen eine „4“ eingesetzt. Unter dieser Annahme kommt die Fraktion zu dem Ergebnis, dass im Mittel etwa 19 neu angemeldete Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf an einer Schule mit dem Sozialindex 1 lernen werden und im Mittel etwa 17 an einer Schule mit dem Sozialindex 2. Für Schulen mit dem Sozialindex 6 dagegen kommen die Linken auf einen Wert von nur 1,41. Den Berechnungen zufolge zeige sich außerdem, dass im Mittel 19 Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf an einer Stadtteilschule lernen werden, etwa elf an einer Sonderschule, aber nur rechnerisch 3,57 an einem Gymnasium.
Nun entscheiden allerdings die Eltern in Hamburg, an welcher Schule sie ihr Kind anmelden – und in 95 Prozent der Fälle kann die Schulbehörde die Erstwünsche erfüllen. Die Linken-Fraktion wolle das Elternwahlrecht nicht abschaffen, betont Boeddinghaus. Sie plädiert dafür, wieder regionale Bildungskonferenzen einzuführen, „damit sich die Schulen in einer Region in gemeinsamer Verantwortung um die Verteilung aller jungen Menschen im jeweiligen Stadtteil kümmern – dazu gehört dann auch eine gerechte Verteilung derjenigen, die besondere Hilfen brauchen“. Einen entsprechenden Linken-Antrag in der Bürgerschaft lehnten die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen allerdings vor Kurzem ab.
Sabine Boeddinghaus: Stadtteilschule muss „im Neubau Vorfahrt bekommen“
Boeddinghaus fordert zudem: „Die Stadtteilschule mit ihrem pädagogischen Anspruch und Programm, Schule für alle Schülerinnen und Schüler zu sein, muss die Regelschule werden – und somit im Neubau Vorfahrt bekommen.“ Auch das könnte dazu beitragen, dass Kinder mit Förderbedarf zumindest an den Stadtteilschulen besser verteilt sind, sagt sie.
Die Schulbehörde erklärt auf Anfrage, Eltern entschieden sich bewusst für eine Schule, oft für eine im unmittelbaren Wohnumfeld der Familie. „Das kann gerade bei Kindern mit besonderem Förderbedarf wichtig sein.“ Das könne die Schulbehörde nicht ignorieren und stattdessen die Kinder mit Förderbedarf an ganz andere, von ihnen nicht gewünschte Schule verweisen. Bildungskonferenzen könnten ein „gutes Instrument der regionalen Schulentwicklung“ sein, „aber auf gar keinen Fall über dem Elternwunsch stehen oder über die Zuschulung von Kindern entscheiden“, so die Behörde. „Das wäre absolut widerrechtlich.“
Was Hamburgs Schulbehörde zu den Forderungen der Linken-Fraktion sagt
Stadtteilschulen und Gymnasien haben laut Schulgesetz unterschiedliche Aufgaben und „sprechen damit auch unterschiedliche Schülergruppen an, sind personell unterschiedlich ausgestattet“, so die Behörde. Die Klassen an Stadtteilschulen seien kleiner als an Gymnasien; im Durchschnitt erhalte eine Stadtteilschule rund 40 Prozent mehr Lehrerstellen als ein gleich großes Gymnasium. „Die Stadtteilschulen können damit ihren besonderen Herausforderungen gerecht werden. Schulen mit niedrigem Sozialindex werden noch einmal besser ausgestattet als andere Schulen.“
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Das geplante und vom kommenden Schuljahr an startende „Startchancen-Programm“ mit insgesamt 215 Mio. Euro für 80 bis 90 Hamburger Schulen mit den schwierigsten Voraussetzungen bedeute noch einmal eine „besondere Unterstützung auch für Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarfen“.
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