Hamburg. Richter Krieten rief Projekt ins Leben, das Juristen besseren Einblick in Arbeit der Polizei bietet. Wie die Hospitationen ankommen.

Neulich waren Richter bei einer Demonstration dabei. Andere Juristen haben das Fußballspiel HSV gegen Hansa Rostock im Dezember genau beobachtet. Und dann gab es Richter, die sich in der Nähe der Davidwache und in St. Georg unter das Volk gemischt haben. Diese auf den ersten Blick ungewöhnliche Präsenz ist rein dienstlich – und erfüllt einen durchaus positiven Effekt. Denn die Juristen in Hamburg bekommen durch diese Visiten Einblicke in die Arbeit der Polizei. Es ist ein Projekt, von dem offenbar beide Seiten sehr profitieren. „Ein Erfolgsmodell“, nennt das beispielsweise ein Polizist.

Initiiert hat diese Aktionen Amtsrichter Johann Krieten. Der Jurist, aus diversen öffentlichkeitswirksamen Prozessen und mit markigen Ansagen in Urteilsbegründungen bekannt, ist seit einem Jahr in Pension – bei Krieten allerdings eher ein Unruhestand. Der 68-Jährige organisiert für Richter Hospitationen bei der Polizei und hat damit ein Projekt ins Leben gerufen, das die Arbeit von Justiz und Polizei besser verzahnen soll – ohne dabei die kritische Distanz zu verlieren. Mittlerweile hat es mehr als 80 Hospitationen gegeben, bei denen Juristen die Gelegenheit wahrgenommen haben, die Polizeiarbeit vor Ort kennenzulernen.

Justiz Hamburg: Wenn Richter zu Demonstrationen und ins Fußballstadion gehen

„Wir freuen uns sehr darüber, dass das Projekt die Möglichkeit für Richterinnen und Richter schafft, die Arbeit der Polizei Hamburg einmal unmittelbar vor Ort kennenzulernen“, sagt Gerichtssprecherin Marayke Frantzen dazu. „Der Polizei Hamburg und Herrn Krieten danken wir für ihr Engagement und hoffen, dass auch weiterhin noch viele Richterinnen und Richter mitmachen dürfen.“ Und Polizeisprecher Florian Abbenseth sagt: „Die Hospitationen sind eine perfekte Gelegenheit, um unsere Arbeit und gerade auch die Abläufe dahinter besser kennenzulernen. Und auch wir profitieren von dem Austausch unmittelbar. Auf ganzer Linie also ein Erfolgsmodell.“

Auf die Idee, ehrenamtlich die Kontakte zwischen Justiz und Polizei zu vermitteln, kam Krieten aufgrund seiner jahrzehntelangen Richtertätigkeit. „Ich habe insbesondere zu Beginn meiner Zeit als Amtsrichter gemerkt, dass ich für bestimmte Abläufe bei der Polizei wenig Verständnis hatte. Deshalb war mir selber sehr wichtig, mich immer wieder über die Arbeit der Einsatzkräfte vor Ort zu informieren“, betont Krieten. „Ich habe Polizisten, die bei Demonstrationen im Einsatz waren, begleitet und außerdem Einsätze im Fußballstadion verfolgt. Dort kommt es häufig zu Situationen mit mehreren Beteiligten, die eine besondere Dynamik entwickeln. Und ich habe mir beispielsweise ebenfalls angeguckt: Was passiert bei einer Verkehrskontrolle? Wie schnell kann sich die Situation bei einer Festnahme auf der Reeperbahn hochschaukeln? Wie läuft es bei den Drogengeschäften an der Balduintreppe?“

Hamburg: Richter haben oft wenig Kenntnis von polizeilichen Abläufen

Als Richter habe man häufig bestimmte Erwartungen, wie die Arbeit der Polizei ablaufen solle und wie die Berichte, die die Einsatzkräfte hinterher verfassen, auszusehen hätten, sagt Krieten. Durch seine Erfahrungen, nachdem er Einsätze beobachtet hatte, habe er jedoch festgestellt, dass die Anforderungen der Justiz an besonnene Polizeibeamte mitunter überzogen seien. „Denn wenn man solche Polizeieinsätze begleitet, erlebt man, dass es immer wieder zu überraschenden Entwicklungen kommt, auf die binnen kürzester Zeit reagiert werden muss.“ Und der Einblick veranschauliche auch, „dass nach einem acht oder zehn Stunden langen Dienst ein anschließend verfasster Bericht nicht unbedingt die Qualität aufweisen kann, die man als Jurist gern hätte“.

Richter Johann Krieten, seit gut einem Jahr in Pension, engagiert sich ehrenamtlich dafür, dass Richter in Hamburg Einblicke in die Polizeiarbeit erhalten.
Richter Johann Krieten, seit gut einem Jahr in Pension, engagiert sich ehrenamtlich dafür, dass Richter in Hamburg Einblicke in die Polizeiarbeit erhalten. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Bei dem Bestreben, als Jurist die Polizeiarbeit auf der Wache oder bei Einsätzen kennenzulernen, gehe es „nicht darum, nachsichtiger zu sein“, betont Krieten. „Es geht darum, ein Verständnis für die Abläufe zu entwickeln. Mit dieser Kenntnis ist man als Richter besser in der Lage, die polizeiliche Arbeit kritisch zu hinterfragen.“

Bei Richterkolleginnen und -kollegen habe er wiederholt erlebt, dass auch sie wenig Kenntnis von polizeilichen Abläufen haben. Wie flexibel Einsatzkräfte beispielsweise reagieren müssen, wenn mehrere Personen mit polizeilichem Handeln nicht einverstanden sind oder wenn sich bei Geschehen mit mehreren Beteiligten dynamische Situationen entwickeln. „Eine Kollegin wunderte sich zum Beispiel darüber, mit welchem polizeilichen Aufwand ein Fußballspiel St. Pauli gegen Hansa Rostock begleitet wird.“

Justiz Hamburg: Richter hospitieren auch an der Davidwache

Später war ihr klar, warum dort so viele Polizeikräfte im Einsatz waren. Diese Erkenntnis hat die Juristin gewonnen, nachdem sie bei einem vergleichbaren Termin die polizeiliche Arbeit beobachten konnte. Ermöglicht hat dies eine Hospitation während eines entsprechenden Einsatzes. Andere Richter waren mittlerweile beispielsweise dabei, wenn die Polizei eine Demonstration am 1. Mai begleitete, oder beim Fußballspiel HSV gegen St. Pauli und zuletzt bei dem Europameisterschaftsspiel Polen gegen Niederlande. Krieten hat diese Besuche vermittelt, nachdem er sich mit seiner Idee zu Hospitationen an den Leiter Schutzpolizei Matthias Tresp gewandt hatte – und dort auf großes Entgegenkommen stieß.

Seitdem gibt es auch von der Polizei manchmal Vorschläge, bei welchen Gelegenheiten und zu welchen Terminen Richter den Einsatzkräften bei deren Arbeit „über die Schulter“ gucken können. Manche Juristen gehen dann an die Wachen, zum Beispiel in Rahlstedt, in Billstedt, am Steindamm oder an die Davidwache und begleiten Beamte bei ihren Einsätzen. Andere schauen sich die Arbeit bei Massenveranstaltungen an, sind dann beispielsweise beim Führungsstab im Polizeipräsidium dabei, wo mitunter binnen Sekunden weitreichende Entscheidungen getroffen werden müssen.

Das Angebot, die polizeiliche Arbeit durch Hospitation kennenzulernen, werde gern angenommen, erzählt Krieten. Dies sowohl von Kollegen, die noch nicht lange Richter sind, und ebenso von sehr erfahrenen Juristen. „Ich bekomme durchweg positive Resonanz von Kollegen, die solche Hospitanzen wahrgenommen haben. Manche sprechen auch von einem ,Aha-Erlebnis‘.“

Hamburg: „Authentischer Einblick in die Arbeit der Polizei“

Einer von denen, die eine Hospitation gemacht haben, ist Stefan Philipp, Vorsitzender Richter am Landgericht. Philipp hat im Zusammenhang mit dem Fußballspiel HSV gegen St. Pauli am 1. Dezember vergangenen Jahres im Präsidium der Polizei im Lagezentrum hospitiert. „Dadurch habe ich einen authentischen Einblick in die Arbeit der Polizei bekommen und gesehen, wie die Einsätze der jeweiligen Polizeikräfte koordiniert wurden“, erzählt der Jurist.

Insgesamt könnten die Hospitationen dazu beitragen, dass „wir einerseits wechselseitig die Arbeit des anderen authentisch einsehen und auf dem Weg ein Verständnis für die Abläufe entwickeln können und andererseits möglicherweise kritisch die Abläufe bewerten können“. Es gehe „nicht darum, sich zu solidarisieren, sondern den Blick für die jeweils andere Seite zu schärfen und sie zu verstehen“.

Durch Hospitationen Verständnis für polizeiliche Abläufe gewinnen

Er empfinde die Erfahrung als „wertvolle Ergänzung meiner Richtertätigkeit, um Verständnis für die polizeilichen Abläufe zu gewinnen“, erzählt Stefan Philipp weiter. Bei seiner Hospitation im Zusammenhang mit dem Lokalderby HSV gegen St. Pauli habe er mitbekommen, dass „alles gemacht wurde, um möglichst deeskalierend zu handeln“.  

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Und Amtsrichter Sebastian Gößling, der ebenfalls eine Hospitation absolviert hat, findet das Projekt „sehr lohnenswert, weil es ermöglicht, einen Einblick in die polizeiliche Arbeit zu bekommen und in die umfangreichen Herausforderungen, die sich den Beamten dabei stellen“, sagt Gößling.

Hamburger Richter bekommen Einblick in die Arbeit der Polizei

Auch bekomme man so zu sehen, wie minutiös ein Einsatz geplant werde, wie er tatsächlich ablaufe und schließlich dokumentiert werde. „Es geht nicht darum, dass wir Richter uns mit der Polizei gemeinmachen wollen“, betont Gößling, „sondern vielmehr darum, die Einsatzrealitäten zu verstehen, um sie möglicherweise in einer Hauptverhandlung vor Gericht einordnen und kritisch hinterfragen zu können.“

Die positiven Rückmeldungen freuen ihn, erzählt Krieten, der sich schon in seiner Dienstzeit als Richter in der Fortbildung engagiert hat. So habe er unter anderem Jugendstrafrecht für Jugendsachbearbeiter der Polizei unterrichtet, habe Dienstunterricht an Wachen abgehalten sowie Polizisten, die in der Ausbildung waren, zu Prozessen begleitet. „Dieses Engagement habe ich immer als sehr wertvoll empfunden und wollte das jetzt, nach meiner Dienstzeit, ehrenamtlich weiter leisten. Wenn mir etwas wichtig ist, dann mache ich das auch zu 150 Prozent. Ich bin halt Überzeugungstäter.“