Hamburg. In Hamburg-Nord könnte es ein Bündnis von SPD, CDU und FDP geben – Grüne wären als stärkste Kraft außen vor. Auch Wandsbek vor Wechsel.

Die Bezirkswahlen am 9. Juni sind in mehrfacher Hinsicht Testlauf und Stimmungsbarometer für die Bürgerschaftswahl in acht Monaten. Allein deswegen geht der Blick vom Rathaus, von Senat und Bürgerschaft aus sehr genau auf die kommunale Ebene. Viel spricht dafür, dass das Spektrum der Koalitionen in den sieben Bezirksversammlungen künftig noch vielfältiger wird als bisher. Manch bestehendem Bündnis haben die Wählerinnen und Wähler einen Strich durch die Rechnung gemacht. Bisweilen orientieren sich Parteien aber auch ohne Wähler-Veto neu, und es kommt zu einem Machtwechsel. Dieser Fall könnte jetzt in Hamburg-Nord eintreten.

„Wir sprechen dieses Mal mit mehreren Parteien. Es ist nicht gottgegeben, dass wir die Koalition mit den Grünen unbedingt fortsetzen“, sagt Lena Otto, die Vorsitzende des SPD-Kreisverbandes Hamburg-Nord. Rechnerisch wäre eine Neuauflage des grün-roten Bündnisses möglich – es wäre das Einzige in den sieben Bezirksversammlungen. Zwar haben die Grünen 7,8 Prozentpunkte verloren, bleiben aber mit 27,9 Prozent stärkste Kraft in Nord. Die SPD legt um 2,6 Punkte zu und kommt auf 23,4 Prozent. Zusammen hätten Grüne und SPD mit 27 Abgeordneten weiterhin eine Mehrheit in der 51-köpfigen Bezirksversammlung.

Bezirke Hamburg: Machtwechsel im Bezirk Nord? Geheimplan Deutschland-Koalition

Aber auf der anderen Seite ist auch ein Bündnis der Sozialdemokraten mit CDU und FDP möglich. Eine solche Deutschland-Koalition hätte in der Bezirksversammlung eine etwas knappere Mehrheit von 26 Sitzen. Die SPD hat die Wahl zwischen zwei Optionen, und so führen die Sozialdemokraten Sondierungsgespräche nicht nur mit den Grünen, sondern auch mit Christdemokraten und Liberalen. Die Grünen haben sich auf einer Kreismitgliederversammlung bereits für eine Fortsetzung von Grün-Rot im Bezirk ausgesprochen.

Nach Informationen des Abendblatts hat die SPD zur Überraschung der Grünen im ersten Sondierungsgepräch inhaltliche Differenzen zwischen beiden Parteien ausgemacht. Dabei geht es um eine aus Sicht der SPD bisweilen nicht ausreichende Bürgerbeteiligung im Bezirk und immer wieder um die (grüne) Verkehrspolitik, die den Autofahrern das Leben schwer macht. Stichworte sind Anwohnerparken, Parkplatzabbau und Radfahrstreifen. Aber die Genossen zeigten sich auch unzufrieden mit Bezirksamtsleiter Michael Werner-Boelz.

SPD kritisiert Amtsführung von Bezirksamtsleiter Michael Werner-Boelz (Grüne)

Der Grünen-Politiker war nach dem Erdrutschsieg seiner Partei bei der Bezirkswahl 2019 ins Amt gekommen. Kritiker werfen dem langjährigen Bezirksabgeordneten und früheren Referenten der Grünen-Bürgerschaftsfraktion gelegentliche Alleingänge vor.

Michael Werner-Boelz (Grüne) ist seit Februar 2020 Bezirksamtsleiter in Hamburg-Nord. Seine Amtsperiode endet Anfang 2026.
Michael Werner-Boelz (Grüne) ist seit Februar 2020 Bezirksamtsleiter in Hamburg-Nord. Seine Amtsperiode endet Anfang 2026. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Nicht von ungefähr melden die Sozialdemokraten Bedenken gegen den Bezirksamtsleiter mit grünem Parteibuch an. Traditionell steht der stärksten Fraktion zwar der Posten an der Spitze der Bezirksverwaltung zu. Aber in Nord könnte die SPD in einer Deutschland-Koalition als dann stärkste Partnerin den Anspruch auf die Bezirksamtsleitung erheben. Werner-Boelz‘ Amtsperiode endet Anfang 2026, aber er könnte auch vorher von der Bezirksversammlung abgewählt werden.

Chance, wieder einen Bezirksamtsleiter zu stellen, dürfte für die SPD verlockend sein

Es dürfte für die SPD sehr verlockend sein, den öffentlich sichtbarsten und wirkungsvollsten Posten auf Bezirksebene wieder mit einem Mitglied aus den eigenen Reihen zu bekleiden. Werner-Boelz war der erste grüne Bezirksamtsleiter nach einer langen Reihe von Sozialdemokraten. Und es kursiert auch schon ein erster Name. So wird der SPD-Co-Kreisvorsitzende Alexander Kleinow als möglicher Bezirksamtsleiter gehandelt.

CDU und FDP, seit vielen Jahren in der Opposition, dürften sich über die Chance „mitzuregieren“ freuen. „Der ideologischen Politik der grünen Partei, die vor allem von sinnloser Parkplatzvernichtung, immer neuen Parkgebühren und dem Verbot von Einfamilienhäusern geprägt war, haben die Wähler eine klare Absage erteilt. Alle Parteien sind gut beraten, diesen deutlichen Wählerwillen in die Praxis umzusetzen“, sagt der CDU-Kreisvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Christoph Ploß, ohne die in Nord mitregierende SPD in seine Kritik einzuschließen. Das nennt man ein kaum verhülltes Koalitionsangebot an deren Adresse.

Eine Deutschland-Koalition wäre in Hamburg-Nord kein Selbstläufer

Die Christdemokraten, die um 1,7 Punkte auf 19,3 Prozent zugelegt haben, wären wohl bereit, so ist zu hören, ein SPD-Mitglied zum Bezirksamtsleiter zu wählen. Auch wenn es in Sachen einer autofreundlicheren Verkehrspolitik und Wohnungsbau etliche Übereinstimmungen zwischen SPD und CDU, aber auch FDP gibt, ist die Deutschland-Koalition kein Selbstläufer. In der SPD bestehen Bedenken gerade gegenüber Ploß, dem konservativen Taktgeber der Elbunion. Ein ums andere Mal hat der Bundestagsabgeordnete den Senat – nicht nur Grüne, sondern auch Rote – verbal hart attackiert. Gesellschaftspolitisch trennt beide Seiten viel: Ploß tritt zum Beispiel vehement für die Anti-Gender-Volksinitiative ein, die Rot-Grün strikt ablehnt.

Andererseits ist die Bezirkspolitik in der Mehrzahl der Fälle von pragmatischem Handeln vor Ort gekennzeichnet und weniger von ideologischen Grabenkämpfen, deren große Streitfragen ohnehin im Rathaus oder in Berlin entschieden werden. Immerhin hat die erste Deutschland-Koalition auf Bezirksebene in Hamburg-Mitte bis zur Wahl durchgehalten (wurde allerdings abgewählt). Und mancher Sozialdemokrat wird sich auch sagen, dass Christoph Ploß nicht in der Bezirksversammlung sitzt, sondern weit weg im Bundestag.

Auch in Wandsbek hat die SPD zwei Optionen für eine Koalition

Auch im benachbarten Wandsbek, dem bevölkerungsreichsten Bezirk Hamburgs, hat die SPD zwei Koalitionsoptionen, obwohl sie nicht (mehr) stärkste Kraft ist. Mit 27,9 Prozent landete die CDU hauchdünn vor der SPD mit 27,7 Prozent. Beide Parteien verfügen über 16 Abgeordnete und hätten so eine Mehrheit in der 57-köpfigen Bezirksversammlung. Rot-Grün ist zwar abgewählt, aber zusammen mit der FDP würde es als Ampel-Koalition für eine Mehrheit von 31 Stimmen reichen.

Thomas Ritzenhoff (SPD) ist seit 2011 im Amt und der dienstälteste Bezirksamtsleiter.
Thomas Ritzenhoff (SPD) ist seit 2011 im Amt und der dienstälteste Bezirksamtsleiter. © Roland Magunia | Roland Magunia

„Wir haben jeweils sehr gute und konstruktive Sondierungsgespräche mit CDU, Grünen und FDP geführt“, sagt der Wandsbeker SPD-Kreisvorsitzende und Finanzsenator Andreas Dressel. „In welcher Rolle und Konstellation wir unsere Themen wie fließenden Verkehr, mehr Sicherheit und eine starke Wirtschaft in den nächsten Jahren vertreten werden, wird sich noch zeigen. Wir wollen eine stabile und verlässliche Wandsbek-Koalition für Hamburg“, sagt der Wandsbeker CDU-Kreisvorsitzende und Bürgerschafts-Fraktionschef Dennis Thering.

Im bevölkerungsreichsten Bezirk zeichnet sich eine Kursänderung in der Verkehrspolitik ab

Dass SPD und CDU in vielen Punkten im Bezirk übereinstimmen, ist kein Geheimnis, zumal die SPD bereits im Wahlkampf darauf hingewiesen hatte, dass sie allzu forsche Einschränkungen des Autoverkehrs seitens des grünen Koalitionspartners verhindert und eine Kursänderung gefordert hatte. Katja Rosenbohm, Kreisvorsitzende und Fraktionschefin der Grünen in Wandsbek, weist darauf hin, dass trotz Verlusten immerhin rund jeder fünfte Wähler den Grünen seine Stimme gegeben habe, und sagt dann diesen bemerkenswert selbstkritischen Satz: „Dennoch sehen wir den Wunsch nach einer Kurskorrektur in unserer Verkehrspolitik – ohne das Ziel der Verkehrswende aus den Augen zu verlieren.“

Mehr zum Thema

Die Aussage dürfte nicht nur in Richtung SPD zielen, sondern vor allem den potenziellen Koalitionspartner FDP erreichen sollen, der neben der Union die rot-grüne Verkehrspolitik stets scharf attackiert hatte. Auch in Wandsbek geht es um den Posten des Bezirksamtsleiters. Der dienstälteste Bezirks-„Bürgermeister“ Thomas Ritzenhoff (SPD) war im April 2023 von Rot-Grün im Amt bestätigt worden. Ritzenhoff wird 2026 altersbedingt pensioniert, aber die Chancen der SPD, auch danach den wichtigsten Posten im Bezirk zu bekleiden, stehen nicht schlecht.

Bezirke Hamburg: Wahl eines SPD-Bezirksamtsleiters würde an der CDU wohl nicht scheitern

Die lang ersehnte Rückkehr der CDU auf die politische Bühne würde an der Wahl eines neuen Bezirksamtsleiters mit SPD-Parteibuch wohl nicht scheitern. Das soll die Union intern bereits signalisiert haben. Andererseits hätte die SPD bei einer Ampel-Koalition als stärkste Kraft ohnehin das Prä. In beiden Bezirken sollen die Sondierungen bis zum Beginn der Sommerpause möglichst abgeschlossen sein. Die anschließenden Koalitionsgespräche, in welcher Konstellation auch immer, dürften bis zum Ende der Ferien dauern.