Hamburg. Verfahren wegen Widerstands gegen Beamte oft eingestellt. Polizeigewerkschafter nennt das „inakzeptabel“. Tatort ist oft der Peterwagen.

Der Biss kam unvermittelt auf dem Rücksitz. Auf der Fahrt von einem Festnahmeort zur Wache am Wiesendamm hat in der Nacht zum Mittwoch eine betrunkene Frau (47) den neben ihr sitzenden Polizisten in den Oberarm gebissen. Sie war unter Alkoholeinfluss Auto gefahren und hatte die Beamten beleidigt, die sie angehalten hatten. Gegen sie wird jetzt auch wegen Widerstands ermittelt. Ob sie für die Tat verurteilt wird, bleibt offen. In Hamburg wird rund die Hälfte solcher Verfahren eingestellt. Für den Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft in Hamburg, Thomas Jungfer, ist das „inakzeptabel“. Vor dem Hintergrund der seit Jahren steigenden Widerstände sieht Jungfer darin das völlig falsche Signal. Er fordert eine radikale Kehrtwende und will die Taten geahndet sehen.

„Es ist grotesk dass die Staatsanwaltschaft in Hunderten von Fällen kein öffentliches Interesse an der Verfolgung dieser Straftaten sieht. Noch beunruhigender ist die hohe Anzahl von Einstellungen, obwohl die Täter bekannt sind“, so Jungfer.

Polizei Hamburg: Viele Verfahren von Widerstand gegen Polizeibeamte eingestellt

Jungfer bezieht sich auf Zahlen der Justiz. Danach gab es im vergangenen Jahr 2312 Anklagen. Das sind rund 500 mehr als im Jahr 2022. Es gab 2470 Beschuldigte. 1044 Strafbefehle wurden erlassen. 843 Verfahren stellte die Justiz wegen der geringen Schuld des Täters ein und 477 Einstellungen gab es mangels hinreichenden Tatverdachts.

Dass es immer mehr Einsätze gibt, bei denen Widerstand gegen Polizisten geleistet wird, untermauern die Zahlen der Polizei. Dort wurden in 2023 insgesamt 1708 Fälle erfasst, 14,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Diskrepanz zu den Zahlen der Justiz kommt durch die unteschiedlich geführten Statistiken. Bei der Polizei kann es pro Fall mehrere Beschuldigte geben, die dann bei der Justiz als verschiedene Verfahren geführt werden. Was die Statistiken gemeinsam haben: die Zahlen steigen.

St. Pauli und St. Georg: Meiste Auseinandersetzungen mit Polizisten im Bezirk Mitte

Das Problem ist der Bezirk Mitte. Hier ereigneten sich im vergangenen Jahr 870 der Widerstände. Das ist mehr als die Hälfte aller in Hamburg von der Polizei erfassten Fälle. Besonders auffällig sind dabei die Stadtteile St. Pauli mit 308 Fällen und St. Georg mit 285 Fällen. Beide Stadtteile fallen mit überdurchschnittlichen Steigerungen von rund 28 Prozent auf St. Pauli und mit knapp 42 Prozent in St. Georg auf.

Polizeiintern wird das mit der zunehmenden Belebung der Innenstadt nach Corona begründet, beispielsweise durch Veranstaltungen, aber auch durch die Kontrollen in einem schwierigen Milieu in St. Georg. Dort geht die Polizei durch verstärkte Präsenz gegen die Kriminalität innerhalb der Drogen- und Obdachlosenszene vor, was hohes Konfliktpotenzial mit sich bringt.

In anderen Bezirken gibt es ebenfalls mehr Widerstände. Im Bezirk Harburg dagegen nahm die Zahl der Taten um 20 Prozent auf 104 Fälle ab. Auch in Altona gab es einen leichten Rückgang.

Polizei Hamburg: Randalierer oft betrunken oder im psychischen Ausnahmezustand

Oft ist Alkohol im Spiel, wenn es zu Rangeleien mit Polizisten kommt. Auffallend oft passiert das beim Transport zur Wache, wenn der Festgenommene bereits in Handschellen im Peterwagen sitzt.

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Aber auch psychisch auffällige Personen leisten oft Widerstand. So wie ein 39-Jähriger, der ebenfalls in der Nacht zum Mittwoch in Rahlstedt festgenommen wurde, nachdem er bei seiner Ex-Freundin aufgetaucht war und Suizid androhte. Als er abgeführt wurde, spuckte er einer Polizistin ins Auge. Der Mann wurde später von einem Amtsarzt in die Psychiatrie eingewiesen. Auch hier bleibt offen, ob er für die Tat gegen die Polizisten verurteilt oder auch dieses Verfahren eingestellt wird.

Das sind die Zahlen zu Widerständen in Hamburg

  • Bezirk Mitte 870 Fälle + 21,3 Prozent
  • Bezirk Altona 171 Fälle minus 1,2 Prozent
  • Bezirk Eimsbüttel 97 Fälle + 22,8 Prozent
  • Bezirk Nord 183 Fälle + 32,6 Prozent
  • Bezirk Wandsbek 192 Fälle + 3,8 Prozent
  • Bezirk Bergedorf 87 Fälle + 29,9 Prozent
  • Bezirk Harburg 104 Fälle minus 20 Prozent

Polizeigewerkschafter Jungfer sieht einen Grund für die hohe Zahl der eingestellten Verfahren im Zusammenhang mit Widerstandshandlungen in der Überlastung und im Personalmangel bei der Justiz. „Das darf jedoch nicht dazu führen, dass Verfahren eingestellt und Tatverdächtige unzureichend verfolgt werden“, sagt Jungfer.