Hamburg. Oberlandesgericht zweifelt an Urheberrechtsschutz bei Oscar Toepffer. Hamburger Historiker darf wohl doch aus Briefwechsel zitieren.
Am Ende, nach einer gut einstündigen Verhandlung vor einem Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts (OLG), war Hans-Peter de Lorent die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. „Ich bin froh darüber, dass Enkel fast 80 Jahre nach Ende der NS-Zeit nicht verhindern können, wie die Geschichte aufgearbeitet wird“, sagte der Historiker und frühere Hamburger Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).
Seit sechs Jahren läuft der Prozess, in dem es um de Lorents Porträt des Juristen Oscar Toepffer (1896-1982) geht, während der NS-Zeit hochrangiger Verwaltungsbeamter in Hamburg und kurzzeitig Schulsenator sowie Berater des NSDAP-Gauleiters Karl Kaufmann und des von den Nazis eingesetzten Bürgermeisters Vincent Krogmann. Und auch wenn es noch kein Urteil gibt, so war doch die Tendenz des Gerichts, was die Bewertung des Falls angeht, unmissverständlich und eindeutig.
Darum geht es: De Lorent hatte für seine Darstellung Oscar Toepffers dessen umfangreichen Briefwechsel mit seiner Frau Gretchen während der NS-Zeit ausgewertet. Das 150 Seiten starke Konvolut war dem Autor von zwei inzwischen verstorbenen Töchtern Toepffers überlassen worden. Der Historiker hatte in seinem rund 30 Seiten umfassenden Porträt, das bereits 2017 im zweiten Band des dreibändigen Werks „Täterprofile – Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz“ erschien, aus dem Briefwechsel mehrfach Passagen zitiert, die Toepffer als überzeugten Anhänger des NS-Regimes darstellen, dem erst gegen Ende des Zweiten Weltkrieges Zweifel kamen.
Hamburger NS-Senator: Töchter hatten die Erlaubnis zur Veröffentlichung gegeben
Gegen die Verwendung der Zitate klagt eine Enkelin Toepffers, die das Urheberrecht verletzt sieht. Es sei nicht im Interesse ihrer Mutter gewesen, dass der Briefwechsel in der von de Lorent gewählten Form veröffentlicht werde. Zudem hätte de Lorent auch sie – die Enkelin – wie alle anderen Nachkommen um Erlaubnis für die Verwendung der Toepffer-Sätze fragen müssen. Vordergründig mag es um den postmortalen Urheberrechtsschutz gehen, dahinter steht jedoch zugleich die sehr grundsätzliche Frage, welcher Quellen sich historische Forschung überhaupt bedienen darf. Auf der zivilrechtlichen Beklagtenbank sitzt neben Hans-Peter de Lorent auch die Schulbehörde, weil die ihr unterstellte Landeszentrale für politische Bildung die „Täterprofile“ herausgegeben hat.
In erster Instanz hatte eine Zivilkammer des Landgerichts im April 2023 mit ihrer Entscheidung der historischen Arbeit de Lorents einen schweren Schlag versetzt, indem es die Herausgeber verpflichtete, nicht weniger als 39 Toepffer-Zitate in noch nicht verkauften Exemplaren der „Täterprofile“ sowie aus dem PDF des Buchs, das im Internet abrufbar ist, zu streichen, unkenntlich zu machen oder zu löschen. Das Gericht fasste den postmortalen Urheberrechtsschutz sehr weit und kam zu dem Ergebnis, dass de Lorent die Erlaubnis aller Erben Toepffers hätte einholen müssen. Schutzwürdig seien die Toepffer-Sätze zudem, weil sich aus Form und Inhalt ergebe, dass „die erforderliche individuelle Prägung“ vorliege, die sich zum Beispiel im Sprachstil zeige.
Das Oberlandesgericht hat Bedenken, ob Urheberrechtsschutz für die Zitate besteht
Gegen das Urteil legten die Schulbehörde und de Lorent Berufung ein, die nun vor dem OLG verhandelt wird. Und die drei Richter des Zivilsenats, die den Prozessparteien in der Verhandlung am Mittwoch das Ergebnis ihrer Vorberatung präsentierten, kommen zu einer gänzlich anderen Einschätzung als die Vorinstanz. „Briefe sind in aller Regel nicht schutzwürdig. Zwischen Briefen und Tagebüchern besteht in dieser Hinsicht grundsätzlich kein Unterschied“, sagte der Vorsitzende Richter. Dennoch bedürfe jeder Einzelfall, also auch jedes Zitat, der konkreten Prüfung. Wenn es um die Veröffentlichung des gesamten, sehr umfangreichen Briefwechsels der Eheleute Toepffer ginge, so das Gericht, dann käme der Urheberrechtsschutz in Betracht.
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Entscheidend sei, so das OLG in Übereinstimmung mit dem Landgericht, die individuelle geistige Prägung oder geistige Leistung der schriftlichen Äußerungen. De Lorent, so das OLG, zitiere in seinem Porträt jedoch keine längeren Passagen, die eine eigenständige Gedankenführung erkennen ließen. „Je kürzer ein Text, desto weniger kann eine schöpferische Leistung angenommen werden“, so der Vorsitzende Richter. Bei dem mit militärischen Begriffen angereicherten Sprachstil Toepffers müsse man den zeitlichen Kontext sehen, in dem diese Ausdrucksweise durchaus typisch war. Also auch hier keine individuelle und damit schutzwürdige geistige Prägung der Zitate. Kurzum: „Der Senat hat Bedenken, ob ein Urheberrechtsschutz für einzelne Textpassagen besteht“, sagte der Richter. Wenn kein Anspruch auf einen solchen Schutz bestehe, dann hätte de Lorent auch nicht alle Erben um Erlaubnis für die Veröffentlichung fragen müssen.
Hamburger NS-Buch „Täterprofile“: Entscheidung nach der Sommerpause
Der OLG-Zivilsenat kündigte an, seine Entscheidung nach der Sommerpause verkünden zu wollen. Es sieht danach aus, dass mit dem Urteil der jahrelange Rechtsstreit zu einem Ende kommt. Eine Revision des Urteils vor dem Bundesgerichtshof gilt als unwahrscheinlich. „Die Landeszentrale für politische Bildung und ich fühlen uns ermuntert, unsere Arbeit konsequent fortzusetzen“, sagte de Lorent, der in der Verhandlung darauf hingewiesen hatte, dass sich andere Enkel Oscar Toepffers von der Klägerin distanziert und ihn unterstützend angesprochen hatten.