Hamburg. Darf Historiker aus den Schreiben Oscar Toepffers zitieren? Enkelin will Streichung; Schulbehörde lehnt Vergleich ab.

„Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen. Wir trennen es von uns ab und stellen uns fremd.“ Diese ersten Sätze aus Christa Wolfs Roman „Kindheitsmuster“ können als Motto für einen Prozess gelten, der demnächst vor einer Zivilkammer des Landgerichts in die zweite Runde gehen wird. Gut 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges geht es darum, ob der Historiker, frühere Lehrer und Hauptseminarleiter Hans-Peter de Lorent in seiner Studie „Täterprofile“ aus einem Briefwechsel der Jahre 1939 bis 1945 zwischen Oscar Toepffer, dem Leiter des Rechts- und Personalamts und kurzzeitigen Schulsenator während der Nazizeit, und seiner Frau zitieren darf.

De Lorent hatte Leben und berufliches Wirken des Juristen Toepffer, der nach 1945 als Rechtsanwalt zahlreiche NS-Täter verteidigt hatte, im zweiten Band der dreibändigen „Täterprofile“ bereits 2017 beschrieben. Der frühere Grünen-Politiker, der bis 1989 DKP-Mitglied war, hatte dabei ausführlich aus dem Briefwechsel der Eheleute Toepffer zitiert, der ihm von deren inzwischen gestorbenen Töchtern überlassen worden war.

Eine Enkelin Toepffers versucht nun, im Nachhinein zu erreichen, dass der Briefwechsel ihrer Großeltern, die darin zumindest in der ersten Phase des Zweiten Weltkrieges deutliche Sympathien besonders für Adolf Hitler zu erkennen geben, aus der Online-Version des Buchs und bei einer gedruckten Neuauflage getilgt wird. In dem von der Enkelin angestrengten Prozess vor dem Landgericht geht es vordergründig um die juristische Klärung einer möglichen Verletzung des Urheberrechts.

Toepffer war Berater des NS-Gauleiters Karl Kaufmann

Dahinter steht jedoch die grundsätzliche Frage, was historische Forschung darf. Welche Originalquellen dürfen Historiker benutzen? Und letztlich: Dürfen Nachkommen zumindest indirekt darüber mitentscheiden, ob ihr Vorfahr in einen Zusammenhang mit dem NS-Regime gerückt wird oder nicht, indem sie zum Beispiel wichtige Dokumente vorenthalten? Ursprünglich hatte die Klägerin sogar die komplette Veröffentlichung der Biografie ihres Großvaters in den „Täterprofilen“ verhindern wollen, also die Tilgung des gesamten Textes verlangt. Allerdings hatten die Richter bereits in der ersten Verhandlung Mitte Juni darauf hingewiesen, dass es einen „postmortalen Persönlichkeitsschutz“ im Falle Toepffers nicht geben könne.

Worum geht es? De Lorent schildert den biografischen Hintergrund Toepffers, seine militärische Karriere im Ersten Weltkrieg und schließlich seinen rasanten Aufstieg bis zum Schulsenator während der NS-Zeit. Toepffer war als Leiter des Hamburger Rechtsamts Ende der 30er- Jahre unter anderem für die rechtliche Ausgestaltung des Groß-Hamburg-Gesetzes verantwortlich und hatte als Berater engen Kontakt zu dem von den Nazis eingesetzten Bürgermeister Carl Vincent Krogmann und dem NSDAP-Gauleiter Karl Kaufmann.

Auf Druck zum NSDAP-Mitglied

Dass Toepffer kurzzeitig Senator war, erfuhr de Lorent zuerst von einem inzwischen gestorbenen Toepffer-Enkel, der sich nach dem Erscheinen des ersten Bandes der „Täterprofile“ an ihn gewandt und den Kontakt zu den Töchtern hergestellt hatte. De Lorent konnte die Personal- und Entnazifizierungsakte Toepffers­ im Staatsarchiv einsehen. De Lorent verschweigt auch Entlastendes nicht. So war Toepffer erst 1937 und auf massiven Druck hin Mitglied der NSDAP geworden und hatte sich stets geweigert, auch der SS beizutreten.

Die besondere Qualität und persönliche Dimension erhält die Darstellung durch die ausführliche Wiedergabe des Briefwechsels der Eheleute. Hier ist das Private mit dem Politischen eng verknüpft. Toepffer hatte als Offizier, von einer kurzen Pause abgesehen, am gesamten Zweiten Weltkrieg teilgenommen und seiner Frau von den wechselnden Einsatzorten geschrieben. Zu Beginn ist die Begeisterung beider nicht nur über die militärischen Erfolge der Wehrmacht, sondern auch die NS-Bewegung deutlich zu spüren.

Briefe während der Besetzung Belgiens

Als Überschrift für das Toepffer-Kapitel hat de Lorent einen Satz aus einem Brief Oscar Toepffers vom 30. Mai 1940 ausgewählt. „Man wird eines Tages die Frage aufwerfen, ob der Führer als Staatsmann oder als Feldherr größer war“, schrieb Toepffer während der Besetzung Belgiens an seine Frau. Mit Fortdauer des Krieges wachsen allerdings Ernüchterung und Skepsis beider.

Das Gericht hatte in der Verhandlung Mitte Juni zu erkennen gegeben, dass einzelne Passagen der Briefe möglicherweise auch 75 Jahre nach Kriegsende urheberrechtlich geschützt sein könnten. Es hatte auch angedeutet, dass de Lorent möglicherweise das Einverständnis aller direkten Nachkommen Toepffers zur Veröffentlichung des Briefwechsels hätte einholen müssen – nicht nur das der beiden Töchter. Die Richter hatten einen Vergleichsvorschlag erarbeitet, der die Tilgung des Briefwechsels vorsieht und de Lorent ermöglicht, den Inhalt mit seinen Worten wiederzugeben. Doch dazu wird es nicht kommen.

Schulbehörde ist mitangeklagt

„Die Lektüre der Originalquelle, also der Briefe Toepffers, ist für die Einordnung Senator Toepffers für die Nachwelt so relevant, dass der Wegfall dieser Quelle das Werk zu sehr entwerten würde. Wir haben daher den vorgeschlagenen Vergleich abgelehnt“, sagte Schulsenator Ties Rabe (SPD) dem Abendblatt. Hans-Peter de Lorent habe ein wichtiges Kapitel der deutschen Geschichte seriös aufgearbeitet und die historischen Fakten „sorgfältig und richtig“ dargestellt.

Die Schulbehörde ist als Aufsichtsbehörde der Landeszentrale für politische Bildung, in deren Schriftenreihe die „Täterprofile“ erschienen, vor dem Landgericht mitangeklagt. Sabine Bamberger-Stemmann, Direktorin der Landeszentrale für politische Bildung, betont die Unabhängigkeit wissenschaftlicher Forschung und politischer Bildung, wenn es um die Aufarbeitung der NS-Diktatur in der Stadt gehe. „Das Wissen um die Opfer und das Gedenken an sie setzt auch ein Wissen um die Dabeigewesenen und die Täter voraus. Beides ist die Aufgabe politischer Bildung. Die Landeszentrale lehnt daher eine Löschung der Originalzitate von Oscar Toepffer ab“, sagte Bamberger-Stemmann.

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„Beide Töchter Oscar Toepffers waren einverstanden damit, dass ich das Material verwendete. Aus meiner Sicht drängt sich der Eindruck auf, dass ein Teil der Familie darüber entscheiden möchte, dass Oscar Toepffer nicht in einen nationalsozialistischen Zusammenhang gebracht wird“, sagt de Lorent. Aber das habe Toepffer selbst getan, als er Mitglied des NS-Senates wurde und vorher als ständiger Berater von Krogmann und Kaufmann fungierte. „Deshalb möchte ich einem Vergleich nicht zustimmen“, sagt auch de Lorent.