Hamburg. Eine Enkelin verlangt Streichung von Originalzitaten aus Biografie – Autor und Stadt lehnen Vergleich des Landgerichts ab.
Er war Berater des NSDAP-Gauleiters Karl Kaufmann und des von den Nazis eingesetzten Bürgermeisters Vincent Krogmann, war langjähriger Leiter des Rechtsamtes der Stadt und für die rechtliche Ausgestaltung des Groß-Hamburg-Gesetzes 1937 verantwortlich sowie kurze Zeit Schulsenator während der Nazizeit: Dass der Jurist Oscar Toepffer (1896 –1982) eine wichtige Rolle im politischen Räderwerk der Nazis in Hamburg spielte, hat der Historiker, ehemalige GEW-Landesvorsitzende und Hauptseminarleiter Hans-Peter de Lorent im zweiten, bereits 2017 erschienenen Band der dreibändigen „Täterprofile – Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz“ herausgearbeitet.
De Lorent hat in seinem 30-seitigen Toepffer-Porträt das Leben eines Mannes dargestellt, der offensichtlich keine Bedenken hatte, in der NS-Zeit Karriere zu machen. Wie begeistert und überzeugt Toepffer von Adolf Hitler und den nationalsozialistischen Eroberungskriegen mindestens in der ersten Phase des Weltkrieges war, schildert de Lorent anhand von Zitaten aus dem Briefwechsel Toepffers mit seiner Frau Gretchen, der ihm von den beiden inzwischen verstorbenen Töchtern der Eheleute überlassen worden war.
Prozess Hamburg: Enkelin will Zitate streichen lassen
„Man wird eines Tages die Frage aufwerfen, ob der Führer als Staatsmann oder als Feldherr größer war“, schreibt Toepffer während der Besetzung Belgiens am 30. Mai 1940 an seine Frau. Fast während des gesamten Zweiten Weltkrieges war der Jurist als Soldat im Einsatz, zuletzt im Rang eines Hauptmanns. De Lorent verschweigt auch Entlastendes nicht. So war Oscar Toepffer erst 1937 und auf massiven Druck hin Mitglied der NSDAP geworden und hatte sich stets geweigert, auch der SS beizutreten.
Um de Lorents Toepffer-Porträt ist ein juristischer Streit entbrannt, der sich bereits vier Jahre hinzieht. Eine Enkelin Toepffers versucht zu erreichen, dass alle Zitate aus dem Briefwechsel ihrer Großeltern sowie ein Familienfoto aus der Onlineversion der „Täterprofile“ und bei einer gedruckten Neuauflage getilgt werden. Vordergründig geht es um die juristische Klärung einer möglichen Verletzung des Urheberrechts.
Rechtsstreit wird vor Zivilkammer des Landgerichts ausgetragen
Doch dahinter stehen sehr grundsätzliche Fragen der historischen Forschung. Welche Originalquellen dürfen Historiker benutzen? Wer muss einer Nutzung und Veröffentlichung privater Dokumente wie etwa des Briefwechsels zustimmen, falls die Urheber – wie in diesem Fall – schon lange nicht mehr leben. Und letztlich: Dürfen Nachkommen zumindest indirekt darüber mitentscheiden, ob ihr Vorfahr in einen Zusammenhang mit dem NS-Regime gerückt wird oder nicht?
In dem Rechtsstreit, der vor einer Zivilkammer des Landgerichts ausgetragen wird, stehen sich die Enkelin Toepffers als Klägerin und auf der anderen Seite de Lorent und die Stadt gegenüber. Die „Täterprofile“ sind in der Schriftenreihe der Landeszentrale für politische Bildung erschienen, deren Aufsichtsbehörde die Schulbehörde ist.
Oscar Toepffer war 1941 kurzzeitig Schulsenator
Ursprünglich hatte die Klägerin, die sich wegen des laufenden Verfahrens nicht gegenüber dem Abendblatt äußern will, sogar das komplette Porträt ihres Großvaters aus der Online-Ausgabe und künftigen Druckauflagen streichen lassen wollen, um ihn aus dem Dunstkreis des Nationalsozialismus zu entfernen. Doch das Gericht hatte bereits in einer ersten Verhandlung vor zwei Jahren deutlich gemacht, dass es einen derartigen „postmortalen Persönlichkeitsschutz“ im Falle Toepffers nicht geben könne.
De Lorent war auf Oscar Toepffer bereits 2013 durch einen weiteren, inzwischen ebenfalls verstorbenen Enkel des Juristen aufmerksam geworden, der den Historiker darauf hinwies, dass sein Großvater 1941 kurzzeitig Schulsenator war. Der Enkel stellte für de Lorent auch den Kontakt zu seiner Mutter und deren Schwester her, die jeweils eine Abschrift des elterlichen Briefwechsels hatten. Die beiden Frauen übergaben de Lorent die Korrespondenz. Der Historiker, der die Personal- und Entnazifizierungsakte Toepffers im Staatsarchiv ausgewertet hatte, überreichte den beiden Fotos und weitere Dokumente aus dem Staatsarchiv.
Passagen könnten urheberrechtlich geschützt sein
„Beide Töchter waren einverstanden damit, dass ich das Material verwendete“, sagt de Lorent heute. Er habe dem Enkel auch den Entwurf seiner Toepffer-Biografie zu lesen gegeben, mit der er sehr einverstanden gewesen sei. Das Gericht hatte in der ersten Verhandlung 2020 jedoch angedeutet, dass einzelne Passagen des Briefwechsels auch mehr als 75 Jahre nach Kriegsende urheberrechtlich geschützt sein könnten und de Lorent möglicherweise das Einverständnis aller direkten Nachkommen Toepffers für eine Veröffentlichung hätte einholen müssen.
„Es kommt mir abwegig vor, dass ich beim Abdruck von Informationen, die mir die beiden geistig regen Töchter von Oscar Toepffer gegeben haben, zu deren Lebzeiten noch nach weiteren Familienangehörigen hätte forschen müssen, um auch deren Einverständnis einzuholen“, so de Lorent.
Richter machte einen Vergleichsvorschlag
Einen ersten Vergleichsvorschlag der Kammer im Jahr 2020, der die Tilgung des Briefwechsels aus dem Porträt vorsah und de Lorent die Wiedergabe des Inhalts mit eigenen Worten ermöglichte, lehnten de Lorent und Schulsenator Ties Rabe (SPD) ab. Auch der zweite Termin einer mündlichen Verhandlung endete jetzt mit einem Vergleichsvorschlag des Richters.
Danach soll de Lorent in allen noch nicht verkauften Druckexemplaren des Buches die Toepffer-Zitate und das Familienfoto unkenntlich machen und aus der Online-Ausgabe tilgen. Alternativ dürfen die noch vorhandenen gedruckten Exemplare bis Ende des Jahres genutzt und vertrieben werden. Der Anfang 2023 vorhandene Rest muss dann allerdings eingestampft werden. Bei einer Neuauflage dürfen die entsprechenden Passagen nicht mehr verwendet werden.
Hans-Peter de Lorent lehnt Vergleich ab
De Lorent, die Landeszentrale für politische Bildung und die Schulbehörde haben auch den erneuten Vergleich abgelehnt. „Aus meiner Sicht drängt sich die Vermutung auf, dass ein Teil der Familie darüber entscheiden möchte, dass Oscar Toepffer nicht in einen nationalsozialistischen Zusammenhang gebracht wird. Aber das hat er selbst getan, als er Mitglied des NS-Senats wurde und vorher Berater von NSDAP-Gauleiter Kaufmann und des NS-Bürgermeisters Krogmann wurde. Darum möchte ich einem Vergleich nicht zustimmen“, sagt Hans-Peter de Lorent.
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„Insbesondere wäre es undenkbar ausgerechnet im Jahr 2023, also exakt 90 Jahre nach der Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten, eine so relevante wissenschaftliche Aufarbeitung der Nazigeschichte und ihrer Folgen ,einstampfen‘ zu müssen. Daran kann niemand Interesse haben, auch nicht die klagenden Nachfahren von Oscar Toepffer“, sagt Schulsenator Ties Rabe (SPD).
Es ist davon auszugehen, dass das Landgericht de Lorent und die Schulbehörde nun zur Tilgung der Zitate verurteilen wird. Über eine Beschwerde gegen die Entscheidung müsste das Hanseatische Oberlandesgericht entscheiden.