Hamburg. Das Geld weckte Neider: Harry P. starb mit 83 Jahren, weil er sich zu Lebenszeiten eine beachtliche Summe erarbeitet hatte.

Es ist ein Fall, der zeigt, wie schmal die Grenze zwischen Mord und Notwehr sein kann. Zwischen lebenslanger Freiheitsstrafe und Freispruch. „Dabei ist der Ausgangspunkt derselbe: Ein Mann ist tot“, sagt Rechtsmediziner Klaus Püschel im Abendblatt-Crime-Podcast „Dem Tod auf der Spur“. „Es ist aber eine Frage, wie man die Umstände wertet, unter denen er zu Tode gekommen ist.“

„Zunächst die Fakten: Der betagte Tote lag in seiner Wohnung, hingestreckt neben seiner Nähmaschine“, erklärt Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher. „Es war der 22. März 2020, als sein Leichnam gefunden wurde. Sein Zuhause in Hamburg-Wilhelmsburg war vollkommen durchwühlt, eine beträchtliche Menge Bargeld fehlte. War Harry P. Opfer eines Raubmordes geworden?“

Hamburger legte einen sechsstelligen Betrag auf die hohe Kante

Harry P. ist 83 Jahre alt geworden. Er hat als Chemiker gearbeitet, war zweimal verheiratet. Nach dem Tod seiner zweiten Frau hat er ein zurückgezogenes Leben geführt. Vor allem ist er sehr sparsam gewesen. Über die Jahre hat der Hamburger einen sechsstelligen Betrag auf die hohe Kante gelegt. Dass er vermögend war und sich offenbar herumgesprochen hat, dass er sein Geld zu Hause lagert, wurde ihm später zum Verhängnis. Das Geld hat Neider geweckt beziehungsweise jemanden, der meinte, sich die Summe illegal aneignen zu wollen. Und genau das hat er auch durchgezogen, mit letzter Konsequenz und einem massiven Einsatz von Gewalt.

„Was konntet ihr bei der Untersuchung des Leichnams über die Umstände herausfinden?“, fragt Mittelacher. „Der Rentner war war erstickt worden und wies Strangulationsmarken auf“, erklärt der Rechtsmediziner. Als mutmaßlicher Täter wurde später ein guter Bekannter des 83-Jährigen ermittelt. Neun Tage nach dem Tod des Hamburgers wurde dieser Bekannte des Opfers, den wir hier Emir M. nennen, der aber eigentlich ganz anders heißt, verhaftet. Ein halbes Jahr später, am 17. September 2020, begann vor dem Schwurgericht der Prozess gegen den 54-Jährigen. Die Anklage lautete auf Mord.

„Laut Staatsanwaltschaft hat Änderungsschneider Emir M. den Wilhelmsburger Harry P. in dessen Wohnung an der Mokrystraße am Vormittag des 20. März unter einem Vorwand aufgesucht“, erläutert Püschel. „Er hat demnach behauptet, eine Nähmaschine ansehen zu wollen, die Harry P. verkaufen wollte. Dann habe er den Rentner unvermittelt und heimtückisch von hinten stranguliert und dessen Wohnung nach Bargeld durchsucht. Dabei soll er aus einem Koffer mindestens 99.950 Euro geraubt haben. Weitere 50.050 Euro blieben unangetastet.“

„Der Angeklagte schilderte den Rentner als beleidigenden, aggressiven, bewaffneten Mann, der ihn mit üblen Beschimpfungen überzogen habe“, erzählt Mittel­acher. „Außerdem habe er ihn mit einer Schere bedroht und immer wieder geschrien: ,Ich bringe dich um!‘ Er habe sich wehren müssen, ist die Quintessenz der Aussage des 54-Jährigen. Und: Er sei kein Mörder. Er habe ein Stück Stoff genommen, dieses dem aggressiven Harry P. auf den Mund gedrückt, damit er nicht weiter schreit. ,Mit einem Mal war der Harry, der geschrien hatte, der mich beleidigt hatte, dieser Harry war mit einem Mal still‘, erzählte der Angeklagte weiter.“ Doch das Gericht hat dem Angeklagten seine Version nicht geglaubt.

Vorsitzende Richterin: Das ist einer „klassischer Raubmord“

Vielmehr sei es ein „klassischer Raubmord“ gewesen, so die Vorsitzende Richterin. Die Kammer verurteilte Emir M. zu lebenslanger Haft wegen Mordes und stellte die besondere Schwere der Schuld fest. Unter dem Vorwand, eine Nähmaschine bei dem 83-Jährigen kaufen zu wollen, habe der angeklagte Schneidermeister sich Zutritt zu der Wohnung des Opfers verschafft. Als dieser sich über die Maschine gebeugt habe, habe Emir M. den alten Mann „überrumpelt“. „Er war der Angreifende“, so die Richterin. Dann habe er den Senior stranguliert, sehr wahrscheinlich mit einem Stück Stoff. Anschließend habe er die Wohnung nach Bargeld durchsucht und 99.950 Euro aus einem Versteck an sich gebracht. „Das Motiv des Angeklagten sei eine schwierige finanzielle Situation gewesen, ist das Gericht überzeugt“, so Mittelacher weiter. „Ein starkes Motiv. Geldnot beziehungsweise Habgier“, findet Püschel. „Und was hat das Gericht zu der Version des Angeklagten gesagt, der 83-Jährige habe Todesdrohungen gegen ihn ausgesprochen?“

„Das Gericht ging davon aus, dass die Todesdrohung ,frei erfunden war, um eine Notwehrsituation zu konstruieren‘, erläutert Mittelacher. Es sei Emir M. um die planvolle Umsetzung eigener Interessen gegangen, nämlich an das Geld zu gelangen. Der Angeklagte habe versucht, die Eskalation einer Konfrontation zu kons­truieren. Dieses könne man als frei erfunden ansehen. Es gab wohl eine Schere, die Harry P. gehörte, aber das war keine lange und spitze Schneiderschere, sondern eine gebogene Verbandsschere. Und diese sei ungeeignet, um schwere Verletzungen zu verursachen. „Er war es, der das Opfer zu Boden gebracht hatte. Die Todesdrohung ist frei erfunden, um Notwehrsituation zu konstruieren. Das ist wie ein Kartenhaus zusammengefallen.“