Hamburg. Weniger Behandlungen an Mandeln, Polypen & Co., aber für Kinder dringlich: Sind 277 Euro für einen Eingriff bei Vollnarkose angemessen?
Es ist ein emotionales Thema und führt erneut zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Ärzten und Krankenkassen: Viele Eltern finden für dringende Ohrenoperationen ihrer Kinder keinen Spezialisten, der das ohne längere Wartezeit machen kann. Weil die Vergütung für diese Eingriffe aus Sicht der „Macher“ zu niedrig ist, gibt es immer weniger Krankenhäuser und HNO-Ärzte, die sie anbieten.
Für die Kinder, die nicht an Mandeln oder Polypen behandelt werden können, verschlimmert sich dadurch nicht nur ihr medizinisches Leid. Sie können aufgrund von Höreinschränkungen weniger am Alltag teilnehmen als ihre Altersgenossen, und es drohen im schlimmsten Fall Verzögerungen in der kindlichen Entwicklung.
Nach letzten Angaben des Berufsverbands der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte ist allein in Hamburg die Zahl der Eingriffe von der Vor-Corona-Zeit (Anfang 2019) bis Anfang 2022 um mehr als 75 Prozent zurückgegangen. Die Zahl der Ärzte für diese OPs sank von 50 auf 20. Von einem „Versorgungsnotstand in der HNO-Kinderchirurgie“ war die Rede.
HNO-Operationen für Kinder: Zahl der Spezialisten sinkt
Jetzt veröffentlicht der Verband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) Daten, nach denen deutschlandweit wieder mehr ambulante OPs an Gaumen- und Rachenmandeln zu verzeichnen waren. 26.000 OPs seien es im ersten Halbjahr 2022 gewesen, im selben Zeitraum 2023 dann rund 31.000 dieser Eingriffe – ein Anstieg um 19 Prozent. „Dies zeigt, mit welch großem Engagement sich die niedergelassenen HNO-Ärztinnen und -Ärzte um ihre Patientinnen und Patienten kümmern.“
Das nahmen die HNO-Ärzte als vergiftetes Lob. Das sei eine „irreführende Darstellung“, sagte der Präsident des Berufsverbands der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte, Prof. Jan Löhler (Bad Bramstedt). Der Anstieg bei den OP-Zahlen sei erklärbar mit einem weitgehenden Stopp der Eingriffe während des Corona-Lockdowns. Das habe für „Nachholeffekte“ gesorgt. Löhler sagte: Vergleicht man die Zahlen des zweiten Quartals 2019 mit dem zweiten Quartal 2023, ist trotz des Nachholeffekts ein Rückgang um 8,1 Prozent festzustellen.“
277 Euro für einen Eingriff: Ist das Honorar ausreichend?
Was die Ärzte noch mehr empört, ist die Vergütungsrechnung der Kassen. Der GKV-Verband erklärte, die Ärzte würden „gut“ honoriert. Eine Entfernung der Rachenmandeln dauere 15 bis 20 Minuten. „Die gesetzliche Krankenversicherung vergütet diesen Eingriff mit insgesamt bis zu 277 Euro. Die Vergütung setzt sich zusammen aus 111 Euro für den direkten Eingriff, bis zu 47 Euro für die postoperative Überwachung und Nachbeobachtung und 119 Euro für die Anästhesie. Das Einsetzen eines ,Paukenröhrchens‘ dauert ebenfalls 15 bis 20 Minuten und wird auch mit bis zu 277 Euro vergütet.“
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Dagegen wenden die Ärzte ein: Von den 277 Euro für die Polypenentfernung erhalte der HNO-Operateur 111 Euro. Das sei jedoch nicht sein Honorar. „Von der Summe müssen alle mit der OP verbundenen Kosten bezahlt werden: OP-Miete, OP-Personal, Instrumentenaufbereitung, Versicherung, Rufbereitschaft.“ Der übrige Teil von den 277 Euro gehe an den Anästhesisten oder den Inhaber des OP-Saals. Die Einlage eines Paukenröhrchens werde zumeist gemeinsam mit der Polypenentfernung gemacht und sei „als Begleiteingriff nicht zusätzlich abrechenbar“.
Warum Mittelohrentzündungen bei Kindern so gefährlich sein können
Prof. Löhler sagte: „Der ohnehin viel zu geringe Betrag, der für die Operation eines Kleinkindes unter Vollnarkose, mit einem potenziellen Blutungsrisiko an den kritischen Atemwegen und der folgenden 24-Stunden-Rufbereitschaft des Operateurs bezahlt wird, wurde Anfang 2023 sogar noch abgesenkt. Die Folge sind lange Wartezeiten mit oft weitreichenden Atmungs-, Schlaf- und Entwicklungsstörungen bei den betroffenen Kindern.“
Bei den Kindern, die auf eine OP warten müssen, kommt häufig hinzu: Das Mittelohr ist oft nicht gut „belüftet“, was zu Entzündungen führen kann. Um diese zu bekämpfen, braucht es leider oft passgenaue Antibiotika. Die allerdings fehlen aktuell noch immer in vielen Apotheken aufgrund von Lieferengpässen (das Abendblatt berichtete).