Hamburg. Ärztinnen klären auf: Was Kinder brauchen, um gut im Schulalltag zurechtzukommen. Erstklässler starten jetzt in Hamburg in neues Leben.

  • Kinderärzte schauen, ob Kind auf einem Bein hüpfen und balancieren kann
  • Lesen und Schreiben ist bei Einschulung nicht notwendig
  • Normal begabtes Kind holt Stand der anderen in zwölf Monaten ein

Wann ist mein Kind schulreif? Kann es bereits alles, was es braucht, um gut ins Schulleben zu starten? In welchen Fällen sollte man es zurückstellen lassen, in welchen vielleicht sogar frühzeitig einschulen lassen? Antworten auf diese Fragen geben die Hamburger Kinderärztinnen Claudia Haupt und Charlotte Schulz vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte Hamburg. Sie unterscheiden kognitive, körperliche und psychische Voraussetzungen. Eines ist klar: Schon vorab Lesen und Schreiben zu können ist keine Voraussetzung – ja, nicht einmal immer ein Garant für Schulfähigkeit, denn: „Was nützt es, wenn ein Kind diese Fähigkeiten bereits beherrscht, sich morgens aber nicht von der Mutter trennen kann?“

Will heißen: Um gut in der Schule klarzukommen, müssen mehrere Faktoren erfüllt sein. „Es geht nicht nur darum geht, was Kinder intellektuell oder körperlich mitbringen, sondern sehr wichtig ist auch das Psychosoziale“, sagt Claudia Haupt, Vorsitzende des Hamburger Berufsverbandes.

Schule in Hamburg: Auf einem Bein hüpfen, einen Stift halten können

Zunächst einmal zur Körpermotorik: Da schauen die Kinderärzte, ob ein Kind gut auf einem Bein hüpfen und möglichst vorwärts und rückwärts balancieren, einen Ball werfen und fangen kann. Warum das wichtig ist? „Wir schauen, wie sicher sie in ihrem Körper sind, wie viel Energie sie brauchen, um eine Haltungskontrolle zu haben, ohne dass zu viel Konzentration verloren geht“, sagt Charlotte Schulz. Die Kinder müssen in der Lage sein, über eine gewisse Zeit einer Sache zu folgen.

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KinderDocs: Wann ist mein Kind reif für die Schule?

Die KinderDocs - der Eltern-Ratgeber-Podcast

Das Koordinationsvermögen kann auch Auswirkungen auf die Feinmotorik haben: Das Kind sollte einen Stift halten und führen können, imstande sein, eine gerade Linie aufs Papier zu malen. Und, ganz banal: Kann es seine Schleife selbst binden? Sich allein an- und ausziehen, etwa zum Sportunterricht? Kann es Knöpfe schließen? Ist es sicher trocken oder benötigt es noch eine Windel? „Diese Fragen besprechen wir mit den Eltern. Es geht darum, dass die Kinder den Schulalltag gut bewältigen können“, so Schulz.

Namen, Geburtstag, Farben, Zählen – dies sollten Kinder können

Und was sollten die Erstklässlerinnen und Erstklässler schon wissen? Alltagswissen wäre gut – sie sollten ihren Vor- und Nachnamen sagen können, ihren Geburtstag kennen, Farben benennen, einige Materialien kennen, Zählen „bis 20 wäre schön“, dazu Gegensätze wie hoch und tief, groß und klein kennen und wissen, was zusammengehört und was nicht. Also ein wenig logisches Denken.

Ganz wichtig ist auch die Sprache: Verstehen Kinder sprachliche Anweisungen? Können sie Sprache entschlüsseln und fließend sprechen, sich darin ausdrücken? „Das alles ist nicht selbstverständlich. Um schulreif zu sein, sollten sie alle geläufigen Anweisungen sicher verstehen und in gut strukturierten Sätzen sagen, was sie zu sagen haben. Sie sollten in der Lage sein, Geschichten länger als drei Minuten zu folgen und sich einfache Texte zu merken“, sagt Kinderärztin Haupt.

Normal begabtes Kind holt Stand der anderen in zwölf Monaten ein

Bereits lesen und schreiben zu können ist keine Voraussetzung. „In der ersten Klasse sitzen Kinder mit ganz unterschiedlichem Stand. Aber ein normal begabtes Kind holt innerhalb der ersten sechs bis zwölf Monate den Stand der anderen ein“, sagt Charlotte Schulz, Sprecherin des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte Hamburg. „Es ist nicht notwendig, da etwas vorwegzunehmen.“

Immer wichtiger wird hingegen, dass Kinder eine gewisse Frustrationstoleranz mitbringen. Sie müssen es aushalten können, mal nicht dran zu sein, eine Aufgabe eventuell nicht lösen zu können, von Klassenkameraden gelegentlich abgewiesen zu werden, womöglich als Letzte in eine Mannschaft gewählt zu werden, sich nicht vorzudrängeln. Das alles kann man gut einüben mit Spielen wie „Mensch ärgere Dich nicht“, da lernen die Kinder, dass sie auch mal rausgeworfen werden und dann trotzdem weitermachen.

„Die Schulkinder müssen in der Lage sein, eine Aufgabe zu Ende zu führen, und generell akzeptieren, dass die Lehrkräfte zumeist das Programm gestalten und nicht die Kinder, dass die Schülerinnen und Schüler sich auch mal fügen müssen, dass in einer Klasse andere Regeln gelten als zu Hause. Sie sollten dann nicht gleich einen Wutanfall kriegen“, sagt Claudia Haupt.

Unruhiges Klassenzimmer: Schulreife heute wichtiger denn je

„Im Idealfall können die Kinder auch selbst Kontakte knüpfen und ihre eigenen Bedürfnisse äußern“, so Charlotte Schulz. Zur sozialen Reife gehört es auch, Kompromisse schließen zu können – und überhaupt in der Lage zu sein, sich morgens von Mama und Papa zu lösen, und ohne den Trost der Eltern auszukommen.

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Die Schulreife werde heute tendenziell strenger überprüft, weil die Arbeitsatmosphäre im Klassenzimmer viel unruhiger ist als früher. Auch offener statt Frontalunterricht sowie das Arbeiten mit Wochenplänen fordern von den Kindern besonderes Konzentrations- oder Selbstorganisationsvermögen. „Für manche Kinder, die leicht ablenkbar sind, ist das eine große Herausforderung“, sagt Charlotte Schulz.

Schulreife – in Hamburg gilt die Stichtag-Regelung

Generell gilt in Hamburg eine Stichtag-Regelung: Kinder, die bis zum 30. Juni geboren werden, sind in dem Jahr schulpflichtig. Wer ab Juli seinen sechsten Geburtstag feiert, ist ein sogenanntes Kann-Kind. Die Neigung vieler Eltern, ihre Kinder eher früher einzuschulen, habe abgenommen, berichten die Kinderärztinnen.

Bei der Entscheidung müssen alle kognitiven, körperlichen und psychosozialen Faktoren zusammen betrachtet werden. Kinderärzte beraten Eltern da gern. „Wir verstehen uns als Ratgeber, weil wir alle Facetten aus der ärztlichen Begleitung der Kinder über Jahre hinweg und zuletzt bei der U9 mit fünf Jahren im Blick haben“, sagt Claudia Haupt. Auch in der Kita des Kindes gibt es kompetente Beratung. Schließlich gibt es auch die Schuleingangsuntersuchung.

Wichtig: Eine Rückstellung eines sechsjährigen Kindes macht nur dann Sinn, wenn abzusehen ist, dass die Voraussetzung für die erfolgreiche Teilnahme am Schulunterricht nach einem Jahr deutlich besser sein wird.

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