Hamburg. Gegenüber Ende 2022 rund 30 Prozent weniger Kinder und Jugendliche in den Vorbereitungsklassen; Stadtteilschulen haben größten Anteil.
Für Kinder und Jugendliche, die in der Regel mit ihren Familien nach Deutschland flüchten, besteht Schulpflicht. Sie werden in Hamburg zunächst zumeist ein Jahr lang in Internationalen Vorbereitungsklassen (IVK) unterrichtet, ehe sie in die Regelklassen der Schulen wechseln. Aktuell lernen 3406 geflüchtete Schülerinnen und Schüler in 278 IVK. Das hat der Senat in seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bürgerschaftsfraktionschefin Sabine Boeddinghaus mitgeteilt.
Die Zahl entspricht etwa dem Niveau der Jahre 2015/16 mit der damaligen bundesweit starken Zuwanderung von Flüchtlingen. Nach einem zwischenzeitlichen Rückgang auf rund 1500 IVK-Schüler wuchs die Zahl der geflüchteten Kinder und Jugendlichen mit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine noch einmal deutlich und stieg sprunghaft an. Ende 2022 wurden 4852 Jungen und Mädchen in IVK unterrichtet. Dem gegenüber verzeichnen die Schulen jetzt also einen Rückgang um 29,8 Prozent der IVK-Schülerinnen und Schüler.
Schule Hamburg: Die meisten Flüchtlingskinder werden an Stadtteilschulen unterrichtet
Die Schulbehörde bemüht sich um eine möglichst gleichmäßige Verteilung der zugewanderten Schülerinnen und Schüler auf die Schulformen und bietet dazu Zahlen an, die den Erfolg der Bemühungen zu bestätigen scheinen. „Aktuell gibt es IVK an 56 Grundschulen, 51 Stadtteilschulen, 54 Gymnasien sowie drei Sonderschulen“, heißt es in der Senatsantwort auf die Boeddinghaus-Anfrage. Vergleicht man allerdings die Schülerzahlen, so offenbart sich ein Ungleichgewicht.
Aus der detaillierten Anlage der Senatsantwort ergibt sich, dass 757 Schüler in IVK an Grundschulen, 1100 Schüler an Gymnasien und 1523 Schüler an Stadtteilschulen sowie 26 Kinder an Sonderschulen unterrichtet werden. Im direkten Vergleich der weiterführenden Schulen besuchen 58,1 Prozent der Geflüchteten eine IVK der Stadtteilschule, während nur 41,9 Prozent an einem Gymnasium unterrichtet werden. Allerdings haben die Gymnasien ihren Anteil gegenüber 2015/16 deutlich gesteigert.
An einzelnen Standorten lernen bis zu 80 geflüchtete Kinder und Jugendliche
Und auch diese Zahlen belegen die stärkere Inanspruchnahme der Stadtteilschulen: Während im Durchschnitt gut 14 IVK-Kinder auf jede beteiligte Grundschule entfallen, sind es knapp 20 Schülerinnen und Schüler pro Gymnasium und knapp 30 pro Stadtteilschule. Allerdings sind die Unterschiede von Standort zu Standort erheblich. Die Schulen mit den meisten IVK-Schülern und -Klassen sind das Louise-Weiss-Gymnasium mit 78 Jungen und Mädchen in sechs Klassen sowie die Stadtteilschulen Stübenhofer Weg mit 72 Schülern in sechs Klassen, Hamburg Mitte mit 79 Schülern, Am Hafen mit 80 Schülern und Mümmelmannsberg mit 77 Schülern in jeweils fünf Klassen. Alle Schulen liegen im Bezirk Hamburg-Mitte.
Mit Blick auf den sechsstufigen Sozialindex bietet der Senat Zahlen an, die eine relativ gleichmäßige Verteilung nahelegen. „Auch bezogen auf den Sozialindex der Hamburger Schulen ergibt sich eine breite Streuung: 30 Prozent (der IVK, die Red.) an Schulen mit Sozialindex 1–2, 41 Prozent mit Sozialindex 3–4 und 29 Prozent mit Sozialindex 5–6“, heißt es in der Senatsantwort auf die Boeddinghaus-Anfrage.
Nur zwei Privatschulen haben Internationale Vorbereitungsklassen eingerichtet
Doch auch hier zeigen die absoluten Zahlen der Schülerinnen und Schüler, die sich aus der Anlage der Senatsantwort ergeben, ein anderes Bild. Schulen mit dem niedrigsten Sozialindex 1 besuchen 462 Jungen und Mädchen – im Durchschnitt 23,1 Kinder pro Schule. Die weiteren Werte: An Schulen mit Sozialindex 2 gibt es 912 IVK-Schüler (Durchschnitt 31,45), mit Sozialindex 3 540 Schüler (Durchschnitt 19,29), mit Sozialindex 4 710 Kinder (Durchschnitt 20,29), mit Sozialindex 5 517 Kinder (Durchschnitt 18,46) und Sozialindex 6 223 Kinder (Durchschnitt 14,87).
Der damalige Schulsenator Ties Rabe (SPD) hatte bereits im Februar 2023 kritisiert, dass sich nur eine Privatschule an dem Unterricht für geflüchtete Kinder und Jugendliche beteilige. Nach Angaben der Schulbehörde liefen bereits „intensive Gespräche“ mit den Privatschulträgern zur Einrichtung von IVK. Doch viel ist daraus nicht geworden: Die aktuelle Statistik in der Anlage der Senatsantwort weist lediglich zwei Privatschulen mit IVK aus: die Moderne Schule Hamburg (Groß Borstel) mit 15 Kindern und die Katholische Schule Harburg mit sechs Schülerinnen und Schülern.
Linken-Bürgerschaftsfraktionschefin Sabine Boeddinghaus kritisiert den Senat
„Wenn der Senat behauptet, er sorge für die gleichmäßige Verteilung der IV-Klassen auf alle Schulen und Schulformen, dann ist das schlichtweg falsch“, sagt Linken-Schulpolitikerin Sabine Boeddinghaus. Die Schulen mit den Sozialindizes 1 bis 3 unterrichteten ein Drittel mehr Schülerinnen und Schülern als die Schulen mit den Sozialindizes 4 bis 6: 1914 Kinder und Jugendliche gegenüber 1450. Ein Ungleichgewicht bestehe auch zwischen den 1100 Schülern an Gymnasien und den 1523 Schülern an Stadtteilschulen. „Der Senat muss alle Schulen in die Pflicht nehmen – auch die Privatschulen“, sagt Boeddinghaus.
In welchem Umfang die vorgesehenen 27 Wochenstunden Unterricht in den IVK der Grundschulen und 30 Wochenstunden an den weiterführenden Schulen auch tatsächlich gegeben werden, kann der Senat nicht beantworten. „Die Daten der Unterrichtsausfall- und Vertretungsstatistik werden aus dem in den Schulen eingesetzten Programm UNTIS anhand feststehender Kriterien und in aggregierter Form an die für Bildung zuständige Behörde übermittelt ... Eine Datenauswertung auf Ebene einzelner Klassenarten oder Ausbildungsgänge lässt UNTIS nicht zu“, schreibt der Senat.
Die Schulbehörde hat keine Daten über den Unterrichtsausfall in den IV-Klassen
Boeddinghaus gibt sich mit der Antwort nicht zufrieden. „Die Schulbehörde kann doch wohl nicht ernsthaft behaupten, keinen Einblick in Art und Umfang des Unterrichtsausfalls in den IV-Klassen zu haben. Jedes Schulkind kann morgens um halb acht feststellen, wie viel Unterricht ausfällt – nur die Behörde nicht. Das ist unglaubwürdig“, sagt die Linken-Politikerin.
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Nicht einverstanden ist Boeddinghaus auch mit der Auskunft des Senats zu ihrer Frage nach den Qualifikationen der im Unterricht für die Flüchtlingskinder eingesetzten Lehrkräfte. „Eine Aufschlüsselung der Qualifikationen der eingesetzten Lehrkräfte in den unterschiedlichen Lerngruppen der Hamburger Schulen liegt der für Bildung zuständigen Behörde nicht vor“, antwortet der Senat. Grundsätzlich richteten sich die Qualifikationsanforderungen nach den Altersgruppen der Schüler und den gegebenen Fächern wie Deutsch als Fremdsprache, Sport oder Mathematik.
Schule Hamburg: Mehrere Hundert Lehrkräfte haben Zusatzqualifikation „Deutsch als Fremdsprache“
„Diese Ignoranz schreit zum Himmel! Wer in den IV-Klassen was tut, scheint zweitrangig, zumindest hat der Senat darüber null Kenntnis“, empört sich Boeddinghaus. „Integration gelingt nur, wenn wir auch integrieren: Das System der separaten IV-Klassen führt offenbar eher zu einer Parallelstruktur in den Schulen und eben nicht zu einer solidarischen und inklusiven Schulgemeinschaft, in der alle dieselben Rechte auf guten und sicheren Unterricht haben“, sagt die Fraktionschefin.
Auch wenn eine detaillierte Aufstellung der Lehrkräfte nach Qualifikation in den IV-Klassen fehlt, weist die Schulbehörde darauf hin, dass Lehrerinnen und Lehrer in erheblichem Umfang für den Unterricht geflüchteter Kinder aus- und weitergebildet worden sind und weiterhin werden. „Das Landesinstitut für Lehrerbildung bietet seit vielen Jahren und insbesondere seit der Flüchtlingskrise 2015 ein umfangreiches Programm mit einer Qualifizierung für Deutsch als Fremdsprache, inkl. Abschlussprüfung. Das haben inzwischen viele Hundert Lehrkräfte, wenn nicht gar mehr, absolviert, die im IVK-Bereich eingesetzt werden“, sagt Behördensprecher Peter Albrecht.
Auch Referendare können sich bereits während ihrer Ausbildung zusätzlich qualifizieren. „Eine 30-stündige Qualifizierung ,Deutsch als Zweitsprache‘ hat seit 2017 zwölfmal stattgefunden. Die Inhalte werden durch Vorträge, Praxisworkshops sowie durch Hospitationen und eigene Erprobungen von Unterricht mit anschließender Reflexion in Kleingruppen vermittelt“, sagt Albrecht. Bislang haben bereits 350 Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst das entsprechende Zertifikat erworben. „Das sind neu ausgebildete Lehrkräfte, die vorrangig in der Flüchtlingsbeschulung eingesetzt werden“, sagt der Behördensprecher.