Hamburg. Überraschender Triumph: Bei der Europawahl holt Volt in Hamburg sechs Prozent der Stimmen. Dabei hat sie hier nicht einmal 200 Mitglieder.
Sie würden wohl dazugewinnen bei der Europawahl, damit konnte das Team um Kira Junge, Co-Vorsitzende von Volt Hamburg, nach den letzten Umfragen rechnen. Doch was dann geschah, damit hatten sie nicht gerechnet: Im Schanzenpark verfolgten die 30-jährige Prozessingenieurin und etwa 25 Mitstreitende am Sonntag von 18 Uhr an vor einem Laptop die erste Hochrechnung in der ARD – wenige Minuten später lagen sie sich jubelnd in den Armen. Ihre Partei kommt in Deutschland auf 2,6 Prozent der Stimmen und erhält damit drei Sitze im Europaparlament. In der Hansestadt hat Volt sogar 6,0 Prozent erreicht. Das ist ein Plus von 4,7 Prozentpunkten.
Volt ist – noch – eine Kleinpartei, die in Hamburg gerade einmal 197 Mitglieder hat und bundesweit nur etwa 4500. Zum Vergleich: Der Hamburger SPD gehören mehr als 10.000 Menschen an. Zweitgrößte Partei in der Hansestadt ist die CDU mit knapp 6000 Mitgliedern; die Hamburger Grünen hatten zum Jahresbeginn 4399 Mitglieder.
Volt versteht sich ausdrücklich als europäische Partei
„Wir freuen uns riesig über unseren Erfolg bei der Europawahl“, erzählt Kira Junge am Montagvormittag. Sie kann es immer noch kaum fassen. Im Wahlbezirk Altona-Nord kommt Volt sogar auf 10,2 Prozent. Das überraschend gute Ergebnis führt die Hamburger Co-Vorsitzende unter anderem auf die Volt-Kampagne zurück, die nicht nur auf Plakate und Straßenwahlkampf gesetzt habe, sondern auch stark auf soziale Medien. „Wir haben viele junge Leute dort angesprochen und abholt, wo sie sich oft aufhalten.“
Was politische Themen angeht, so versteht Volt sich ausdrücklich als europäische Partei, vertreten in 31 Ländern, zur Europawahl angetreten in 15 Ländern mit einem Programm, das eine „mutige Vision“ sei, wie sich die EU weiterentwickeln könne, sagt Junge. Dazu gehört etwa die Forderung, ein transnationales Netz für erneuerbare Energien aufzubauen, das dazu beitragen soll, etwa Windkraft und Solarenergie überall in der EU bestmöglich zu fördern und nutzbar zu machen.
Volt will in der EU Bürokratie abbauen, um den Arbeitsmarkt zu verbessern
„Wir wollen dahin kommen, dass die Infrastruktur in der EU zusammenwächst, dass wir irgendwann eine europäische Regierung haben, dass wir uns gemeinsam als Europa wahrnehmen und nicht an den Grenzen haltmachen“, sagt Junge. Volt wolle in diesem Zusammenhang auch Bürokratie abbauen, wo es nötig sei, damit etwa ein Tischler aus Aachen auch in anderen Ländern arbeiten könne, „ohne für jeden Auftrag einen Steuerberater zu brauchen“.
Weitere große Themen für Volt seien Asyl und Migration. Die Themen Arbeitsmigration und Asylrecht würden häufig unzulässig miteinander vermengt, sagt Junge. Die Frage sei, wie die EU mit Geflüchteten menschlich umgehen und zugleich die mit Blick auf den Fachkräftemangel nötige Zuwanderung gut hinbekommen könne. Im Wahlkampf warb Volt etwa mit Plakaten, auf denen stand: „Wählen rettet Leben“. Das zielte auf die Seenotrettung ab, die es zu „entkriminalisieren“ gelte, wie Junge sagt. „Wir wollen, dass das Sterben im Mittelmeer aufhört.“
Zudem verstehe Volt sich als Partei, die Potenziale der Digitalisierung nutzen will. Damit befasst sich etwa Antje Nettelbeck, Volt-Kandidierende im Bezirk Hamburg-Nord. Es gehe ihnen etwa darum, die digitale Verwaltung zu verbessern, zum Beispiel dahingehend, dass Betriebe und Unternehmen bestimmte Genehmigungen, etwa für eine Außengastronomie, weniger bürokratisch erhalten bzw. neu beantragen könnten als bisher, erläutert Junge.
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Besonders stolz ist Volt Hamburg darauf, dass ihre Hamburger Kandidatin Nela Riehl, einen von drei Sitzen für Volt im Europaparlament bekommen wird. Die 38 Jahre alte Deutschlehrerin aus Alstertal unterrichtete bis zum Wahlkampf an einer Hamburger Stadtteilschule. Ob Klimawandel, Pandemien oder Kriege: Auch für sie sei „ganz klar, dass die Antworten europäisch sein müssen“, sagte Riehl dem Abendblatt.