Hamburg. Vom Alstertal nach Brüssel: Deutschlands einzige schwarze EU-Spitzenkandidatin Nela Riehl von der Partei Volt hat große Pläne.
Aus dem Alstertal nach Brüssel: Nela Riehl ist die Senkrechtstarterin der Partei Volt. Erst seit gut einem Jahr ist sie Mitglied, vier Wochen vor der Europawahl am 9. Juni ist Deutschlands einzige schwarze Europa-Spitzenkandidatin auf dem besten Weg ins EU-Parlament. Aktuell befindet sie sich mitten im Wahlkampf. Das bedeutet bei einer Kleinpartei wie Volt vor allem: selbst anpacken. Mit Kabelbindern und Wahlplakaten zieht sie beispielsweise durch die Straßen Nienstedtens – und dann im August nach Brüssel?
Klimakrise, Pandemie und Krieg: „Für mich ist ganz klar, dass die Antworten europäisch sein müssen“, sagt die 38-Jährige. Polykrisen würden nicht an einer Grenze haltmachen. Deshalb habe sie sich der Partei Volt angeschlossen. „Wir sind die einzige europäische Partei“, sagt Nela Riehl. „Wir treten zur Europawahl in 14 Staaten mit demselben Wahlprogramm an. Das heißt, wir machen als einzige Partei eine wirklich echte europäische Politik.“
Europawahl 2024: Hamburger Volt-Kandidatin auf dem Weg nach Brüssel
Die Deutschlehrerin hat bis vor einer Woche noch an einer Hamburger Stadtteilschule unterrichtet, jetzt befindet sie sich im Wahlkampf-„Urlaub“. Dass sie im August schon in Brüssel sein könnte, kann sich die zweifache Mutter noch gar nicht vorstellen – an Listenplatz zwei stehen ihre Chancen aber gut. „Das ist völlig verrückt, weil ich ja nie den Plan hatte, Berufspolitikerin zu werden, das war nie vorgesehen für mich. Jetzt ist es das, was ich am allermeisten möchte.“
Bereits als Jugendliche habe sie sich bei verschiedenen Parteien umgeschaut, aber nirgendwo eine politische Heimat gefunden. Während eines Austauschjahres in Schweden habe sie von Schülern aus der ganzen Welt gehört, wie toll es ist, in Europa zu leben – mit kultureller Vielfalt und trotzdem offenen Grenzen. „Vor eineinhalb Jahren mit Corona, dem Krieg und all diesen Krisen saß ich abends am Bett meines schlafenden Sohnes und dachte, dass dieses Generationenversprechen ‚Ihr sollt es mal besser haben als wir‘, nicht mehr gilt.“ Seit März 2023 ist sie bei Volt. „Europa ist und bleibt das größte Friedensprojekt aller Zeiten und wir müssen dafür sorgen, dass es weiter funktioniert.“
Hamburgerin Nela Riehl von der Partei Volt will Europas erste Außenministerin werden
„Herzensthema“ der Hamburgerin mit ghanaischen Wurzeln ist vor allem feministische Außenpolitik. In Brüssel würde sie gerne in den Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten und den Unterausschuss für Menschenrechte. Ihr Ziel: Europas erste Außenministerin zu werden. „Ich möchte als Lehrerin natürlich auch in den Bildungsausschuss und in den Ausschuss für Frauenrechte und Geschlechtergerechtigkeit.“ Das Erste, was sie im Europaparlament angehen würde, sei die EU-Antidiskriminierungsrichtlinie, die bisher nur von Männern und Frauen spricht. Diese Geschlechterbinarität würde sie gerne aufheben.
Zu den Zielen von Volt gehört auch eine Reform der Europäischen Union. Dazu zählt unter anderem eine „Vereinheitlichung der nationalen Armeen“, heißt es auf der Internetseite der Partei. Dadurch wäre die EU in der Lage, „selbst für ihre Sicherheit zu sorgen, ihre Interessen in der Welt mit der nötigen Glaubwürdigkeit auch gegenüber Großmächten wie China zu vertreten und besser für globale Stabilität zu sorgen“. Weiterhin fordert die Partei ein umfassendes Energieembargo gegen Russland sowie eine gemeinsame Außenpolitik.
Deutschlands einzige schwarze Europa-Spitzenkandidatin kommt aus Hamburg
Dass sie Deutschlands einzige schwarze Spitzenkandidatin bei der Europawahl ist, kann sie sich nur schwer erklären. „Es gab gute, qualifizierte Bewerberinnen in den anderen Parteien. Für mich ist das ein Zeichen dafür, dass das Demokratieversprechen an dieser Stelle noch nicht richtig funktioniert“, sagt Riehl. „Denn Demokratie bedeutet Repräsentation, aber wenn es dann an die Verteilung von Posten geht oder wer mit am Tisch sitzen darf, sind wir vielleicht doch noch nicht so weit.“
Ortstermin: 50 bis 60 Plakate wollen Nela Riehl und ihre Unterstützer zwischen dem Bahnhof Klein Flottbek und dem Elbe-Einkaufszentrum aufhängen. Auch in Zeiten von Social Media spielt diese klassische Wahlkampfmethode immer noch eine wichtige Rolle. „Für uns ist superwichtig, dass wir vor Ort sind. Wir geben auch für Instagram-Werbung Geld aus, das Vertrauen entsteht aber dadurch, dass Mitglieder wie Nela Plakate hängen“, sagt Jacob Schoo, Mitglied des Hamburger Landesvorstands von Volt, der sie an diesem Tag unterstützt.
Nela Riehl von Volt nach Angriff auf Matthias Ecke: „Wir sind immer in Gruppen unterwegs“
Seit null Uhr darf an diesem Tag Ende vergangener Woche plakatiert werden, andere Parteien hätten schon vorher angefangen. Viele gute Plätze sind bereits belegt, nicht jeder Ort eignet sich. „Eine Laterne an einer frequentierten Straße ist zum Beispiel super“, sagt Jacob Schoo. „Wir stellen Plakate da auf, wo Menschen verweilen, wo wir ein ‚Conversation Starter‘ (Gesprächsstarter, Anm. d. Red.) sein können.“ Laut Nela Riehl brauche man zum Plakatieren vor allem jede Menge Kabelbinder. Außerdem gebe es viele Regeln, an die Volt sich halte, zum Beispiel keine Fahrradfahrer und Fußgänger zu gefährden.
Auf offener Straße politische Plakate aufzuhängen bringe auch Risiken mit sich. „Ich würde es nicht allein machen, wir sind immer in Gruppen unterwegs und schicken uns gegenseitig die Standorte. Damit fühlt man sich gut“, sagt die Hamburgerin. An diesem Tag sind sie zu viert. Anfang Mai wurde der SPD-Europaabgeordnete Matthias Ecke in Dresden beim Aufhängen von Wahlplakaten von mehreren jungen Männern angegriffen und musste im Krankenhaus operiert werden.
Hamburgerin Riehl über AfD: Ein rechtes Narrativ, das jetzt leider auch in Taten umschlägt
Nela Riehl geht seitdem mit einem anderen Gefühl plakatieren, Angst habe sie aber nicht. „Das ist für uns noch mal der Ansporn zu sagen: Wir sind hier, wir zeigen Gesicht, und wir stehen für diese Demokratie. Ich finde es auch sehr schön, dass alle demokratischen Parteien sich da so offensichtlich zusammenschließen und füreinander einstehen.“
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In der Mitverantwortung sieht sie vor allem die AfD. „Das ist ein rechtes Narrativ, das jetzt leider auch in Taten umschlägt. Da würden wir uns wünschen, dass die AfD Verantwortung übernimmt. Es war für uns eigentlich erwartbar, dass wenn man Hass säht, dieser auch in Gewalt umschlägt.“ Dass die AfD es in Erwägung zieht, Deutschland solle aus der EU austreten, verstehe sie überhaupt nicht. „Wenn man nach Großbritannien schaut, dann sieht man ja, was daraus wird.“
Bündnis Sahra Wagenknecht: Noch eine lila Partei?
Eine andere Partei könnte Volt das Markenzeichen strittig machen. Mit der Parteifarbe Lila habe sich Volt bisher von anderen Parteien abgehoben. Das könnte sich aber bald ändern. Die in diesem Jahr neu gegründete Partei Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wird auch mit dieser Farbe in Verbindung gebracht. „Das ist, wie es ist, das können wir nicht ändern“, sagt Nela Riehl. „Dadurch, dass wir schon vorher präsent waren, glaube ich, dass schon viele das mit uns assoziieren. Das bestätigt uns in der Farbwahl.“