Hamburg. Durchfallquote von mehr als 60 Prozent bei Bewerbern zum mittleren Dienst. Klippe Rechtschreibtest. Bundesländer rangeln um Nachwuchs.
Mit dem Welcome Day will die Hamburger Polizei Bewerber und Bewerberinnen an sich binden, um zu verhindern, dass sie im letzten Moment abspringen. Die Veranstaltung ist so etwas wie eine Messe oder Leistungsschau einer modernen Großstadtpolizei. Nach der Erweiterung des Konzepts dürfen bereits angenommene Bewerber jetzt auch Freunde und Bekannte mitbringen. Außerdem sind gezielt Schulen angesprochen worden, um potenzielle Bewerber als Gäste für die Veranstaltung zu gewinnen. Hintergrund sind die enormen Schwierigkeiten, die die Polizei gerade bei der Besetzung der Ausbildungsstellen mit geeigneten Bewerbern für den mittleren Dienst hat.
Es ist alles aufgeboten, um den jungen Besuchern des Welcome Days die Polizei schmackhaft zu machen. Auf dem großen Platz des Polizeigeländes an der Carl-Cohn-Straße (Alsterdorf) stehen der Polizeihubschrauber, Wasserwerfer, der Survivor, das gepanzerte Einsatzfahrzeug des SEK. Die Taucher haben ebenso einen Stand wie die Reiterstaffel, die Wasserschutzpolizei oder die Mordkommission. An der Fotobox können Besucher schon mal ein Bild von sich in der Uniform machen, die sie am Stand nebenan zu Anprobe bekommen haben. Hundeführer zeigen, was ihre vierbeinigen Kollegen können. Beamte des SEK in voller Montur und mit Waffen erklären den teilweise bewundernd dreinblickenden angehenden Polizisten geduldig ihren speziellen Job.
Extra-App für 110-Sekunden-Bewerbung nur für den Welcome Day
An diesem Tag sind es nicht nur die 250 künftigen Polizisten, die den Einstellungstest bewältigt und ihre Zusage in der Tasche haben, die zum Welcome Day gekommen sind. Sie haben 190 Freunde und Bekannte mitgebracht, die einfach mal „reinschnuppern“ und sich zeigen lassen wollen, was bei der Hamburger Polizei möglich ist. Am Nachmittag kommen noch einmal 120 Schüler und Schülerinnen aus 15 Hamburger Schulen. Auch sie können die Polizei so geballt erleben, wie es nur selten möglich ist. Dazu wurde extra für den Welcome Day eine App entwickelt, die man per QR-Code öffnen und über die man sich in 110 Sekunden bewerben konnte.
Der Hintergrund dieser „Show“, die von der Einstellungsstelle mit viel Zeit und Mühe organisiert wird, sind die Schwierigkeiten, geeignete Bewerber für den mittleren Dienst zu bekommen. „Es ist passiert, dass von 33 Bewerbern, die zum Einstellungstest geladen wurden, nach dem Lückendiktat noch sechs übrig waren. Dann stellt man fest, dass gegen einige Ermittlungsverfahren laufen, die sie für den Polizeidienst ungeeignet machen würden. Wer dann noch übrig bleibt, hat noch nicht den Sporttest und den Gesundheitscheck bestanden“, beschreibt ein Beamter die Situation.
Durchfallquote bei Test für mittleren Dienst liegt bei mehr als 60 Prozent
Tatsächlich liegt die Durchfallquote bei den Tests für den mittleren Dienst mittlerweile bei über 60 Prozent – Tendenz steigend. Die Schulabgänger, die sich bei der Polizei bewerben, bringen immer weniger Kompetenzen mit. Um einen geeigneten Kandidaten zu bekommen, braucht man, so ist die Faustformel, zehn Bewerber. Aktuell gibt es acht Bewerbungen pro Platz.
Dabei ist es gerade der mittlere Dienst, für den sich Männer und Frauen mit Realschulabschluss oder mit Hauptschulabschluss und abgeschlossener Berufsausbildung bewerben können, der Aufstiegsmöglichkeiten bietet. Viele Polizisten in höchsten Positionen haben im mittleren Dienst bei der Hamburger Polizei angefangen.
Abiturienten „retten“ den mittleren Dienst
Heute sind, so Klemens Burzlaff von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), bis zu 80 Prozent der Polizeianwärter für den mittleren Dienst Abiturienten, von denen sich der größte Teil zuvor für den gehobenen Dienst mit noch anspruchsvollerem Test beworben hat, dort aber nicht genommen wurde. Das Problem: Viele bewerben sich gleichzeitig in anderen Bundesländern, die die sogenannte zweigeteilte Laufbahn bei der Polizei haben. Das bedeutet, dass sie dort immer im gehobenen Dienst anfangen. Kommt von dort eine Zusage, springen sie in Hamburg ab.
So waren es im vergangenen August 125 junge Leute, die die Ausbildung im mittleren Dienst beginnen wollen. Doch es kamen nur 107.
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Das wird in diesem Jahr nicht passieren. Die Polizei, so sieht es aus, kann die Lehrgänge komplett besetzen. Dazu hat man alle Register im Bereich sozialer Medien gezogen, aber auch zu ein paar „Kniffen“ gegriffen. Das Höchstalter, um Polizist zu werden, wurde auf 36 hochgesetzt. Die Mindestgröße schrumpfte um zwei Zentimeter auf 1,58 Meter, und auch beim Body-Mass-Index hat man Zugeständnisse gemacht. Der Joker: Es gibt einen Lehrgang mehr im höheren Dienst als ursprünglich vorgesehen.
Wovon die Polizei nicht abrücken will, sind die sprachlichen Kompetenzen, die ein angehender Polizist haben muss. „Wir haben einen sehr kommunikativen Beruf“, sagt der Chef der Einstellungsstelle, Christian Bräuer. Polizisten müssen den Bürgern Maßnahmen glasklar erklären können – schon mit Blick auf mögliche Konsequenzen.